23.04.2013 Peter Popp

Rätselhafter Vorhang: Produktionshalle von SANAA

2005 entstand das Konzept für ein neues Präsentationsgebäude der Vitra Home Möbel Linie und für eine neue Produktionshalle der Vitra-Schwesterfirma Vitrashop, die den Innenausbau von Ladengeschäften betreibt. »Die Architekten standen bereits fest: Die Lokalmatadoren Herzog & de Meuron und aus dem fernen Ausland, das damals noch unbekanntere Büro SANAA. Was lange überhaupt nicht klar war, welches Büro welches Projekt bauen sollte.« so Fehlbaum.

Der Ausgang der damaligen Debatte ist bekannt. Seit 2009 strömen Häuslebauer und Architekturbegeisterte zum VitraHaus von Herzog & de Meuron, auch die Produktionshalle war damals bereits fertig. Allein das Kleid fehlte noch. Die Produktionshalle für die Schwesterfirma Vitrashop von SANAA ist bewusst als Gegenthese zum backsteinernen Fabrikbau von Alvaro Siza konzipiert, Leichtigkeit statt Schwere, Immaterialität statt Haptik, Bewegung statt Konstanz. Diese Zielsetzung setzten SANAA mit aller Konsequenz durch, gaben sich nicht mit halbherzigen Detaillösungen zufrieden.

Ryue Nishizawa (li) mit Kazuyo Sejima (re)

Vitra-Chef Rolf Fehlbaum

Text und Fotos: Frank Kaltenbach Die unsichtbar aufgehängten, das gesamte Volumen umhüllenden Fassadenelemente aus gewelltem Acrylglas verleihen dem Gebäude einen fast immateriellen Charakter. Fassade, Dach und Tragstruktur bleiben dahinter komplett verborgen. Nichts verweist auf die hochkomplexen Produktionsabläufe im Inneren.
Architekten: Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa / SANAA, Tokio
Standort: Vitra Campus, Charles-Eames-Str. 2, D-79576 Weil am Rhein

Bauherr: Vitra Verwaltungs GmbH Architekt Ausführung: Mayer Bährle Freie Architekten BDA, Lörrach /
nkbak, Frankfurt Vorstudie: 2006
Fertigstellung: Dezember 2012 Tragwerksplanung: Bollinger und Grohmann GmbH, Frankfurt /
SAPS – Sasaki and Partners, Tokio Fassade: STRABAG AG, Wien
Fassadenpanele: k-tec GmbH, Radstadt
Fassadenstatik: Imagine structure GmbH, Frankfurt Grundstücksfläche GSF: 50.000 m²
Gebäudegrundfläche GGF: 20.455 m²
Durchmesser: 156 x 159 m
Gebäudevolumen: 206.600 m³
Gebäudefläche: 20.455 m²
Fassadenfläche: 5.740 m²

Dünn wie Papier, kristallin wie Carrara Marmor: Seit letzter Woche umhüllt ein 11 m hoher über 500 Meter langer weißer Vorhang die 20 000 m² große Produktionshalle auf dem Vitra Campus. Drei Jahre lang musste Bauherr Rolf Fehlbaum auf die Fassade seiner seit 2009 fertiggestellten Zukunftsfabrik warten. Doch die Beharrlichkeit von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa hat sich gelohnt: SANAA hat den Industriebau neu erfunden.
»You never win against Sejima« sagt Fehlbaum auf der Pressekonferenz mit einem breiten Grinsen im Gesicht. »Manchmal kann sie sogar etwas dickköpfig sein!« Nach drei Jahren weiterer intensiver Entwicklungsarbeit konnte eine geklebte Fassade realisiert werden, bei der sich die einzelnen 11 m hohen und 1,80 m breiten Platten – bei Temperaturunterschieden – rechnerisch bis zu sieben Zentimetern zwängungsfrei ausdehnen können ohne zu bauchen.

»Wir haben das Grundstück gesehen, die hügelige Landschaft und die vielen LKW’s, die ständig in Bewegung sind und an das Gebäude andocken müssen. Aus dem Diagramm dieser Bewegung hat sich der fast kreisförmige Grundriss der Halle ergeben« erklären Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa.

»Bereits bei unserem Museum in Kanazawa wollten wir keinen perfekten Kreis, sondern eine etwas weichere organische Geometrie. Damals waren wir noch unerfahrener und haben uns damals aus pragmatischen Gründen doch für einen Kreis entschieden. Bei der Produktionshalle konnten wir diese Idee nun umsetzen, weil das Gebäude viel größer ist und die Kurven dadurch weiter sind. Wir wollten der harten Geometrie des Vitra Campus ein weiches Gefühl vermitteln wie bei einem wehenden Vorhang. Deshalb ist der Grundriss keine perfekte Kreisform, deshalb ist der Faltenwurf unregelmäßig«.

Um die Produktion möglichst wenig zu beeinträchtigen wurde das Gebäude in zwei Bauabschnitten errichtet. Zunächst entstand eine Hälfte des Neubaus neben der alten Halle, nach deren Abriss das Halbrund des Neubaus zur Gesamtform ergänzt wurde.

Statt, wie von der Firmenleitung zunächst gefordert, die Gesamtfläche in vier separate Bereiche zu unterteilen, schlugen SANAA ein einziges rundes Gebäude vor.

Weitere Informationen
www.vitra.com
www.sanaa.co.jp
»Früher waren Fabrikhallen laut und oft auch schmutzig, das hat sich heute komplett geändert. Wir wollten den neuen Geist heutiger Produktionsbedingungen in der Architektur zum Ausdruck bringen: mit einem leichten, fast schwerelosen Gebäude« Rolf Fehlbaum weiß, wovon er spricht. Schon die Eltern des Vitra-Chefs hatten engste Kontakte zu Architekten und Designern, allen voran Charles und Ray Eames. Als Rolf Fehlbaum das Ruder bei Vitra übernahm, waren die Eames bereits gestorben, so wählte er Nicholas Grimshaw als Architekten seiner neuen Fabrikhalle, um das 1981 zur Hälfte abgebrannte Produktionsgebäude und die gesamte Marke neu zu positionieren. Das Konzept, das gesamte Firmengelände aus einer Hand gestalten zu lassen brachte die Bekanntschaft mit Frank Gehry gründlich durcheinander. Mit Gehry’s Vitra Design Museum, dem ehemaligen Feuerwehrhaus von Zaha Hadid, einem Seminargebäude von Tadao Ando und einer weiteren Halle von Alvaro Siza versammelte Fehlbaum die renommiertesten Architekten der Welt auf seinem Grundstück.

Bei den Führungen über den Campus wird den Besuchern erzählt, dass die aufwändige Fassade auch wichtig war, um den Bau gegenüber den Anwohnern durchzusetzen. »Wenn man sagt, wir bauen eine Fabrikhalle vor ihrem Wohnzimmer, gehen alle auf die Barrikaden. Wenn wir aber kommunizieren können, dass sie in Zukunft auf ein wichtiges Kunstwerk schauen, erfüllt sie das mit Stolz.« Und nach der dreijährigen Wartezeit haben die Anwohner das Gebäude tatsächlich lieb gewonnen. Bei nebeligem Wetter verschwindet der 20 000 m²  große Bau hinter den weißen Kirschblüten. Dann scheinen die dunklen Fenster in der Luft zwischen den Bäumen zu schweben. »Da haben Sie aber einen schlechten Tag zum Fotografieren ausgesucht«, belehrt mich ein Nachbar. Sie müssen unbedingt mal bei Sonne oder in der Abendstimmung kommen, dann kommt der Faltenwurf erst richtig zur Geltung.«

Wie Zuckerguss leuchtet die gewellte Haut der weißen überdimensionalen Torte, nimmt die Farbigkeit der Umgebung in sich auf, reflektiert Spitzlichter oder bleibt hinter den weißen Kirschblüten vor grauem Himmel vollständig unsichtbar. Das sinnlichste Schauspiel zeichnet sich an dem Saum der Traufe ab. Hier durchdringt selbst diffuses Sonnenlicht die nur 6 mm dünne Acrylglasplatte, leuchtet schimmernd weiß vor dunklen Wolken oder sackt vor fahlem Sonnenlicht, das den Nebel nicht durchdringen kann in mattes Grau.
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