01.03.2013 Frank Kaltenbach

Schaustelle Pinakothek der Moderne

Im Wettstreit um die Aufmerksamkeit im internationalen Kunstbetrieb lassen sich die Akteure so einiges einfallen. Spektakuläre Architektur, neue Typologien, transdisziplinäre Ausstellungskonzepte. Basel hat vor Jahren den Typus des »Schaulagers« erfunden, im Kunstareal München eröffnet am 13. April 2013 der temporäre Bau der »Schaustelle« von Jürgen Mayer H. Den Anlass bot in München allerdings nicht eine jahrelange Planung, sondern ein tiefer Riss zwischen Mauerwerk und Betonwand der Rotunde der Pinakothek der Moderne.

Foto: Frank Kaltenbach

Dass Museen wegen Sanierungsarbeiten schließen müssen ist nichts außergewöhliches. Dass ein Haus wegen eines Bauschadens bereits 10 Jahre nach Fertigstellung den gesamten Betrieb für Monate unterbrechen muss kommt schon seltener vor. Besonders präkär wird die Situation, wenn nicht nur ein Museum in dem Gebäude untergebracht sind, sondern vier unterschiedliche Institutionen wie in der Pinakothek der Moderne. Als Lösung aus dem Dilemma kristalliesierte sich das Konzept eines temporären Ersatzbaus, eben einer »Schaustelle« ein Worthybrid zwischen Schaulager und Baustelle. Auf der Pressekonferenz am 26.Februar 2013 stellten alle vier Museumsdirektoren, die Hauptsponsoren und der Architekt den Bau und das Programm der Öffentlichkeit vor.

Um ein Museum handelt es sich bei dem 750.000 Euro teuren Provisorium an der Südost-Ecke der Pinakothek der Moderne jedoch nicht. Das Programm ist wie die ephemere Architektur prozesshaft gedacht, als offene Plattform, die die Schwellen zum Bürger abbauen soll und sich ständig weiterentwickelt – ohne Eintrittsgeld. Viel stärker als bisher müssen und wollen die vier Institutionen, die Bayerische Staatsgemäldesammlung, die Neue Sammlung – The international Design Museum Munich, die Staatliche Grafische Sammlung und das Architekturmuseum der TU München über den Sommer auf engstem Raum zusammenarbeiten. Wertvolle Originale können aus konservatorischen Gründen nicht in dem Behelfsbau gezeigt werden. Das bietet jedoch die Notwendigkeit und Chance neue Formen zwischen digitalen, virtuellen Präsentationsformen und den Originalen zu erforschen. Zahlreiche Kooperationspartner von Hochschulen, Wissenschaft und Industrie sollen sich beteiligen.

Den entscheidenden Impuls zur baulichen Gestaltung der »Schaustelle« wie sie jetzt als Gerüstbau vor der Pinakothek steht, lieferte Andres Lepik, der frischgebackene Direktor des Architekturmuseums. Er kannte ein passendes unrealisiertes Projekt von Jürgen Mayer H. für Berlin , das der Architekt für die Situation auf dem Kunstareal abänderte.

»Baustellen faszinieren mich. Vor allem die Gerüste und Plattformen bei dem Bau des Metropol Parasol in Sevilla brachten mich auf die Idee einmal ein Gebäude zu bauen, das die veränderbare Ausstrahlung und Kraft einer Baustelle hat.« erläutert Jürgen Mayer seine Inspirationsquelle.

Foto: Frank Kaltenbach

»Das prozesshafte Denken von Cedric Price und das Centre Pompidou mit seinem Konzept der Kunst in Bewegung spielen bei diesen Überlegungen natürlich auch eine Rolle. Wir wollten eine Architektur machen wie eine Hintergrundrauschen, eine Struktur die erst beim Bespielen zu einem Bauwerk wird. Das Projekt beschränkt sich nicht nur auf den abgeschlossenen Multifunktionsraum, die offenen Plattformen auf dem Dach gehören ebenso dazu wie das gesamte Umfeld im Kunstareal.

Bei der Anpassung unseres Berliner Projekts für München waren die Rahmenbedingungen klar vorgegeben: Die Gebäudehöhe orientiert sich an der Pinakothek der Moderne, die Größe des Veranstaltungsraums gaben die Bauherren vor, die Gesamtabmessungen und die Positionierung auf dem Grundstück ergab sich durch ganz pragmatische Anforderungen wie Feuerwehrzufahrten, Abstände vom Baumbestand, ausreichende Parkplätze und schließlich Platz für die Baustelleneinrichtung.«

Foto: Frank Kaltenbach

Die »Schaustelle« soll räumlich und inhaltlich vermitteln zwischen der Institution Museum (Pinakothek der Moderne links im Bild) und den Bürgern der Stadt. Das 39,50 m lange und 15,50 m breite Provisorium erinnert an das Lattengerüst für eine potenziellen permanenten Neubau. Der komplett introvertierte Veranstaltungsraum befindet sich im Erdgeschoss und bildet sich nach außen wie ein Sockel durch eine geschlossene transluzente Hülle aus Polycarbonat-Stegplatten ab. Der Haupteingang ist kaum erkenntlich und ist nach Westen zum Parkplatz und der entfernteren Tramstation gelegt, von wo die meisten Besucher kommen. Nach oben löst sich die Struktur zunächst auf, bildet aber wieder klar artikulierte Ecken, sodass von der Plattform in 6 m Höhe Sichtachsen in die Stadt frei bleiben und die Gesamtstruktur dennoch als Kubus wahrnehmbar bleibt. Die oberste Plattform in 17m Höhe erlaubt einen Blick über die Dächer Münchens.

Foto: Frank Kaltenbach

Andres Lepik (links) und Jürgen Mayer sind sichtlich stolz, den Abschluss der Bauarbeiten dem Staatsminister persönlich vorzustellen. Beide sind Wahl-Berliner. 2010 hatte Jürgen Mayer den Audi Urban Future Award gewonnen, Lepik war damals Vorsitzender der Jury und auch bei der »Schaustelle« konnte die AUDI AG neben dem Staatsministerium, der Stiftung Pinakothek der Moderne und PIN. Freunde der Pinakothek als Hauptsponsor und Kooperationspartner gewonnen werden.

Foto: Frank Kaltenbach

»Ohne Bespielung ist die Architektur nur Hintergrundrauschen, im Moment ist der Raum noch mehr Baustelle als Schaustelle.« so Jürgen Mayer. »Der Bau wirkt wie ein Magnet. Die Bauteile der Gerüstkonstruktion werden dem Kreislauf des ständigen Auf-und Abbaus für die Standzeit der Schaustelle entzogen. Im Herbst schließlich wird alles demontiert und diesem Kreislauf zurückgegeben.«

Foto: Frank Kaltenbach

Durch den unscheinbaren Eingang gelangt der Besucher über eine Schleuse in den hermetisch abgeschlossenen 28 m langen und 9 m breiten Ausstellungs- und Veranstaltungsraum. 531 Personen dürfen sich gleichzeitig in den 265 Quadratmetern aufhalten. »Allen sprechen von White Cube, wir wollten hier eine Black Box«, so Florian Hufnagel. »Der wärmegedämmte Raum kann beheizt und belüftet werden, eine Klimatisierung haben wir aus Kostengründen nicht vorgesehen«. Im Moment versprüht der durch Rauchklappen, Fluchttüren und Lüftungskanäle akzentuierte Raum noch keinen Charme – man kann gespannt sein, ob sich das ab dem 8. März 2013 ändern wird, wenn der Schmuckkünstler Otto Künzli mit der entsprechenden Ausstellungsgestaltung und Lichtführung den Raum verändern sollte.

Foto: Frank Kaltenbach

Der Bau von Strukturen, die rückstandsfrei wieder demontiert werden können, ist ein interessantes konstruktives Thema. Die Tragwerksplaner von Knippers Helbig Advanced Engineering konnten ihre Erfahrungen einbringen, die sie mit dem temporären Pavillon Moma PS1 NewYork gemacht haben und der jetzt in Abu Dhabi erneut aufgebaut wird. Das Stahlrohrgerüst der Schaustelle hat ein Grundraster von 2,57 x 2,07 m und steht auf einer 30 cm dicken Fundamentplatte aus Stahlbeton. Die in die Gesamtstruktur eingestellte Raumhülle des Ausstellungsraums besteht aus einem eingeschossigen Stahlskelettbau, der außen mit schwarzen gedämmten Sandwichpaneelen beplankt ist und innen mit einer Doppellage Gipskartonplatten. Toiletten, Technik, Catering und Lager sind in Fertigcontainern aus Stahl untergebracht.

Foto: Frank Kaltenbach

Durch die unscheinbaren Fluchttüren gelangt der Besucher in den Zwischenraum zwischen Blackbox und transluzenter Fassade, wo eine Himmelsleiter auf die Plattform im ersten OG führt. Die transluzenten 73 cm hohen und 2,57 m bzw. 2,07 m breiten Stegplatten aus Polycarbonat verschleiern den Blick nach außen und nach innen und lenken die Aufmerksamlkeit auf den Weg nach oben.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Plattform im 1. Obergeschoss, 6 m über Straßenniveau bietet auf einer Fläche von 148 Quadratmetern Platz für Veranstaltungen mit 199 Personen. Steigt der Besucher noch zur 17 m hohen Plattform auf ergeben sich weitere ungewohnte Perspektiven hinaus in die Stadt, zurück auf die erste Plattform und hinüber zur Pinakothek der Moderne.

Foto: Frank Kaltenbach

In 17 m Höhe angekommen schweift der Blick über die Dächer von München und hinüber zur leerstehenden Rotunde, deren Riss der Anlass für den Bau der »Schaustelle« war. Noch liegt die 79 Quadratmeter große Dachplattform unter dem tauenden Schnee begraben, noch ist das Gerüst im Münchener Nebel graues Hintergrundrauschen vor grauem Grund. Ab dem 13. April wird sich das schlagartig ändern. Dann werden hier die Massen Schlange stehen, um einen der begehrten 35 Plätze der Aussichtsplattform zu ergattern, wie im April 2011 bei der Eröffnung des Metropol Parasol in Sevilla (Bild rechts). Dann wird die häufigste Frage in München sein: »Warst du schon oben?«

Foto: Frank Kaltenbach

Welches gestalterische Potenzial durch eine efektvolle Szenografie in der tagsüber hinter den Bäumen fast unsichtbaren Schaustelle steckt, deutet sich bereits jetzt bei Dunkelheit an, wenn die spielerisch verteilten Leuchtstoffröhren die fragmentarische Stahlstruktur in eine sinnlich grelle Lichtskulptur verwandeln.

Foto: Frank Kaltenbach

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