23.06.2015 Jakob Schoof

Schwebende Häuser und Aussichten, die keine sind: Stadtjubiläum in Karlsruhe

Das 300-jährige Stadtjubiläum in Karlsruhe (noch bis 27. September 2015) hat auch Architekturinteressierten manches zu bieten. Zu sehen sind: ein Kulturevent mit weltumspannendem Anspruch, »Baustellenkunst« internationaler Künstler, Videoprojektionen auf die historische Schlossfassade – und ein Jubiläumspavillon, der viele Fragen offen lässt.

Maxin10sity: Projektion für die Schlosslichtspiele Karlsruhe. Foto: Jakob Schoof

Wenn eine durchschnittliche Großstadt in Deutschland ihren Stadtgeburtstag feiert, wird meistens ausgiebig in die Lokalgeschichte zurückgeschaut, Honoratioren halten Reden, und anschließend finden sich die Bürger zu einem durchkommerzialisierten, kulturell mittelmäßig anspruchsvollen Jahrmarkttreiben an einem zentral gelegenen Ort in der Stadt zusammen.

Im Fall von Karlsruhe liegen die Dinge in diesem Jahr ein wenig anders. Die ehemals barocke Planstadt zählt mit ihren gerade einmal 300 Jahren eher zu den »Jungspunden« unter Deutschlands Stadtgründungen und wirft auch zum Jubiläum den Blick eher nach vorn als zurück. Im Kräftedreieck zwischen Architektur, Kunst und Wissenschaft sind dabei einige Initiativen entstanden, die durchaus auch überregionale Beachtung verdienen.
Ein neues Leitbild für die »Fächerstadt«
So hat zum Beispiel die Stadtplanung in Karlsruhe eine gewisse Tradition, um es vorsichtig auszudrücken. Weltweit einzigartig ist ihr Strahlengrundriss, den Heinrich von Kleist als »klar und lichtvoll wie eine Regel« beschrieb und Le Corbusier einmal als »langweilig« abtat. Doch dieser allein taugt als ordnendes Leitbild für die 300.000-Einwohner-Stadt schon längst nicht mehr. Daher hat sich Karlsruhe in den vergangenen vier Jahren unter intensiver Bürgerbeteiligung ein neues »räumliches Leitbild« gegeben. In zahlreichen Workshops wurden zunächst jene sieben Fragen herausgefiltert, die die Planung in den kommenden Jahren mit erhöhter Dringlichkeit beantworten muss. Im Anschluss waren drei Planungsbüros unterschiedlicher Herkunft – vom ortsansässigen Planer-Team bis zum Büro West8 aus Rotterdam – eingeladen, erste Antworten auf diese Frage zu formulieren.

Die Ausstellung zum räumlichen Leitbild (noch bis 26. Juli) ist nur eine der Veranstaltungen, die Karlsruhe in den kommenden Wochen zu baukulturellen Themen erleben wird. Ihr Schauplatz ist der Alte Schlachthof, ein gründerzeitliches Industrieareal, das in den vergangenen Jahren behutsam saniert und mit Start-Up-Unternehmen zu neuem Leben erweckt wurde. Die Städtische Galerie zeigt überdies (vom 27. Juni bis 4. Oktober) das Werk von Friedrich Weinbrenner, jenes klassizistischen Baumeisters, der Karlsruhe prägte wie kein Architekt vor oder nach ihm.

Foto: Jakob Schoof

Karlsruhes klassizistische Schlossfassade wird täglich nach dem Einbruch der Dunkelheit zur Leinwand. Für die »Schlosslichtspiele« hat Peter Weibel, der Direktor des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM), acht internationale Medienkünstler(teams) eingeladen, für Karlsruhes zentrales Bauwerk je zehn bis fünfzehn Minuten lange, digital animierte Projektionen zu kreieren. Weibel versprach zur Festivaleröffnung »ganz neue Architekturen«, die im Zusammenspiel zwischen Baudenkmal und computergeneriertem Bewegtbild entstehen sollten. Und zumindest das, was in der Eröffnungsnacht gezeigt wurde, löste diesen Anspruch durchaus ein: Die ungarische Künstlergruppe Maxin10sity hat ein straff durchkomponiertes, spannungs- und überraschungsreiches Programm entworfen, das immer wieder Bezug nimmt auf Proportion und Gliederung der Fassade, die ihr als Bildgrund dient.

Großbaustellen als Ausstellungsorte
Nur wenige hundert Meter vom Schloss entfernt ist Karlsruhe derzeit vor allem eines: eine Großbaustelle. Die Stadt legt ihre komplette innerstädtische Trambahn eine Etage tiefer. Bis das Ganze irgendwann nach 2020 endlich abgeschlossen ist, müssen die Karlsruher mit Baugruben, Kränen und Baustellenzäunen in der Innenstadt leben. Unter dem Titel »Die Stadt ist der Star – Kunst an der Baustelle« haben Stadt und ZKM nun ein Kunstprojekt gestartet, das insgesamt zwölf Orte in der Stadt mit Installationen, Happenings und temporären Großskulpturen bespielt. Gezeigt werden unter anderem Werke von Hans Hollein, Elmgreen & Dragset und Erwin Wurm, vor allem aber die zentrale und größte Installation »Pulled by the Roots« des argentinischen Künstlers Leandro Erlich. Er hat ein Bürgerhaus aus der Weinbrenner-Ära im Maßstab 1:1 als Modell nachgebildet und an einem Baukran über dem Marktplatz aufgehängt. Aus seinem Fußboden ragen Baumwurzeln; gerade so, als hätte das Baustellengerät die historische Behausung soeben rüde aus ihrem urbanen Kontext herausgerissen.

Leandro Erlich: Pulled by the Roots. Foto: ZKM

Die Schlosslichtspiele und Baustellen-Installationen sind letztlich jedoch nur dekoratives Beiprogramm für das aktuelle, wahrhaft weltumspannende Kulturprojekt des ZKM. Die »Globale« - eine 300 Tage dauernde Reihe von Ausstellungen, Installationen, Aktionen und Vorträgen, soll die Frage beantworten, was Kunst im Zeitalter der vermeintlich totalen Naturbeherrschung durch den Menschen (und der womöglich bald totalen Menschbeherrschung durch digitale Technologie) leisten kann und soll. Zur Globale-Eröffnung zeigt das ZKM zwei sehr unterschiedliche, aber auf überraschende Weise gut miteinander kommunizierende Installationen im XXL-Format: »micro/macro« des japanischen Künstlers Ryoji Ikeda und »Cloudscapes« von dem japanischen Architekten Tetsuo Kondo und den Energieplanern Transsolar.

Transsolar + Tetsuo Kondo: Cloudscapes. Foto: ZKM

Hauptdarstellerin von »Cloudscapes« ist eine künstlich erzeugte Wolke, die in den Lichthöfen des ZKM umherwabert. Eine sehr viel greifbarere Wolke hat sich hingegen auf den Wiesen des Karlsruher Schlossgartens niedergelassen. Der zentrale Veranstaltungspavillon für den »KA300«-Event ist – von einigen temporären Containerbauten abgesehen - der einzige wirkliche Neubau, den sich die Stadt zu ihrem Jubiläum errichten ließ. 234 Kubikmeter Brettschichtholz fügte die Firma Rubner Holzbau nach Plänen des Berliner Architekturbüros J. Mayer H. Architekten zu einer mikado-artigen Konstruktion zusammen. In ihrem Inneren beherbergt sie einen Veranstaltungsraum samt Bühne und Café, an der Stirnseite eine Projektionsleinwand für Freilicht-Kinofilme und auf dem Dach eine Plattform, die – dazu gleich noch mehr – die Architekten vollmundig als »Aussichtsplattform« angekündigt haben. Bei gutem Wetter lassen sich die (nur mit Zeltplanen verschlossenen) Längsseiten des Pavillons großflächig öffnen.

J.MAYER H. Architekten: KA300-Jubiläumspavillon im Schlossgarten. Foto: Jakob Schoof

Foto: Jakob Schoof

Mit dem Pavillon verhält es sich ein wenig wie mit dem Scheinriesen Tur Tur aus Michael Endes »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer«: Aus der Ferne beeindruckt die hölzerne Großskulptur durchaus, schrumpft jedoch aus der Nähe auf das (nutzbare) Normalmaß einer durchschnittlichen Schulaula zusammen. Viel mehr ist nicht wirklich dran an dem Bauwerk, der Rest ist vor allem Show und ein angedeuteter Zusatznutzen, der keiner ist. Der Form nach suggeriert er, überdimensionales Klettergerüst für die Karlsruher Bevölkerung sein zu wollen. Doch steigt man tatsächlich empor auf das Pavillondach, bekommt man letztlich das Gleiche zu sehen wie zu ebener Erde: ein schräggestelltes, für seinen Zweck hoffnungslos überdimensioniertes Holzskelett mit blassgrauer Lasur. Die von den Architekten angepriesene Aussicht über den Schlosspark: nicht der Rede wert; ein Stadtpanorama gar: völlige Fehlanzeige. Die ironische Pointe dabei: Nur 100 Meter entfernt ragt der Schlossturm empor, der Mittelpunkt des Karlsruher Straßenkranzes und für Besucher des Badischen Landesmuseums zugänglich ist. Hier hätten sich die Architekten einmal abschauen können, was man in der ehemaligen badischen Hauptstadt unter »Aussicht« versteht.  

Womöglich das Beste, was es zu diesem Pavillon zu sagen gibt, ist die Tatsache, dass er nach Ende der Feierlichkeiten weitgehend rückstandsfrei wieder rückgebaut werden kann. Die Brettschichtholzbalken sollen dann, so die derzeitigen Planungen, zu Parkbänken weiterverarbeitet werden. Bis dahin bleibt den Karlsruhern zu wünschen – und zuzutrauen - dass sie das Gehäuse zumindest mit erstklassigen Inhalten füllen.

Foto: Jakob Schoof

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