Sinnvoll oder nicht? Laborgebäude im Passivhausstandard

Selbst Laborgebäude werden inzwischen als Passivhäuser errichtet – so geschehen 2013 in Heidelberg. Über die Sinnhaftigkeit lässt sich streiten, wie der folgende Gastbeitrag von Tino Born verdeutlicht.

Carpus + Partner: Qiagen-Laborgebäude in Hilden, 2011, Foto: Carpus + Partner/Jörg Stanzick

Bei der Planung energieeffizienter Gebäude wird häufig die Umsetzung von Passivhauskriterien gefordert. Diese durchaus sinnvollen Kriterien und Randbedingungen sind jedoch nicht auf alle Gebäudetypen eins zu eins übertragbar und können besonders in Bezug auf Laborgebäude nicht sinnvoll angewendet werden. Deren Nutzungsspezifik erschwert die Einhaltung bedarfsorientierter Kriterien erheblich und ist außerdem mit hohen Aufwendungen verbunden. Die Umsetzung des Dämmstandards von Passivhäusern kann sich sogar kontraproduktiv auswirken. Ein Vergleich der wesentlichen Charakteristika von Passivhäusern und Laborgebäuden zeigt deutlich, dass die Realisierung des Passivhausstandards nicht grundsätzlich zu einer erhöhten Energieeffizienz führen muss und dass die Einhaltung der Energiebedarfskennwerte bei Laborgebäuden nicht ohne weiteres möglich ist. Der Umsetzbarkeit sind klare Grenzen gesetzt.

Primärenergie, Endenergie und Primärenergiefaktoren

Als Passivhäuser bezeichnet man Gebäude, in denen aufgrund besonders effizienter Wärmedämmung allein durch Nachheizen oder Nachkühlen des Frischluftvolumenstroms thermische Behaglichkeit entsteht. Die aktive Nutzung einer klassischen Gebäudeheizung ist deshalb nicht notwendig. Um Gebäude hinsichtlich dieser Bedingung einschätzen zu können, wurde ein Standard definiert, der den Anspruch an Passivhäuser in konkrete Ziel- und Grenzwerte übersetzt und auch der Orientierung im täglichen Planungsgeschehen dient. Der Standard wurde aus dem Wohnungsbau abgeleitet und beschreibt für Gebäude in kühlgemäßigtem Klima z. B. einen Heizwärmebedarf von 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/(m²a)) und einen maximalen Primärenergiebedarf von 120 kWh/(m²a).

Passivhaus-Querschnitt, Grafik: Passivhaus-Institut, Darmstadt/www.passiv.de

Zur Erläuterung: Primärenergie ist in den natürlichen Energieträgern oder -quellen gebunden. Um sie zu nutzen, zu speichern oder zu transportieren, muss sie in Sekundärenergie umgewandelt werden. Da mit der Umwandlung – z. B. in Heizwärme – unvermeidbar Energieverluste verbunden sind, ist die für den Verbraucher verfügbare Endenergie geringer, als eine theoretische direkte Nutzung der Primärenergie, die jedoch häufig nicht möglich oder sinnvoll ist.

Um die unterschiedlichen Arten von Primärenergie – mit ihren verschiedenen Eigenschaften in Versorgungssicherheit und Klimaschädlichkeit – vergleichbar zu machen, wurden den Energieträgern entsprechende Primärenergiefaktoren zugeordnet. Mit diesen Gewichtungsfaktoren wird der tatsächliche Bedarf an Energie multipliziert, um so den Primärenergiebedarf – für Passivhäuser bei maximal 120 kWh/(m²a) festgelegt – zu ermitteln.

Zum Vergleich: Nimmt man, wie oben, einen Heizwärmebedarf von 15 kWh/(m²a) an, so entsteht bei Versorgung durch Heizöl oder Erd- bzw. Flüssiggas – alle mit einem Primärenergiefaktor von 1,1 – ein Primärenergiebedarf von 16,5 kWh/(m²a). Holz wird ein Primärenergiefaktor von 0,2 zugeschrieben, der Primärenergiebedarf beträgt beim Heizen mit Holz also nur 3 kWh/(m²a). Die Nutzung von Strom (Primärenergiefaktor 2,6) erhöht den Primärenergiebedarf auf 39 kWh/(m²/a). Im günstigsten Fall wird der Heizwärmebedarf durch Fernwärme mit einem Primärenergiefaktor von 0,0 gedeckt. Die maximal verfügbaren 120 kWh/(m²a) Primärenergiebedarf verbleiben dann vollständig für den technischen Betrieb des Gebäudes.

Bedarf ungleich höher
Im Gegensatz zu Wohnungsbauten tragen Laborgebäude hohe innere Lasten und verlangen im Betrieb hohe Luftwechsel. Typische Kennzahlen sind innere Lasten von insgesamt 80 W/m² durch Geräte (55 W/m²), Beleuchtung (15 W/m²) und Personen (10 W/m²). Hinzu kommt ein Luftwechsel, der in der Regel bei circa 25 Kubikmeter pro Quadratmeter pro Stunde (m³/m²/h) liegt.

Für eine installierte Beleuchtungsleistung von 15 W/m² ergibt sich bei 2.500 Betriebsstunden pro Jahr ein Energiebedarf von 37,5 kWh/(m²a). Durch Strom bereitgestellt beträgt der Bedarf an Primärenergie – unter Berücksichtigung des genannten Primärenergiefaktors 2,6 – demnach 97,5 kWh/(m²a). Auch die mechanische Be- und Entlüftung erfordert die Energieversorgung durch Strom. Der Strombedarf für den geforderten Luftwechsel kann mit circa 25 W/m² angegeben werden. Das führt bei ebenfalls 2.500 Nutzungsstunden pro Jahr zu einem Stromverbrauch von 62,5 kWh/(m²a) und damit zu einem Primärenergiebedarf von 163 kWh/(m²a).

In der Summe sind also allein für die Beleuchtung und den Lufttransport 260,5 kWh/(m²a) Primärenergie anzusetzen. Unterstellt man weiterhin einen Bedarf von 38,5 kWh/(m²a) an elektrischer Endenergie (also 100 kWh/(m²a) Primärenergie) für Anwendungen wie die Versorgung elektronischer Geräte oder zur Kälteerzeugung, führt dies zu einem gesamten Primärenergiebedarf von 360,5 kWh/(m²a). Dieser Wert ist bereits dreimal so hoch wie der maximal zulässige Primärenergiebedarf nach Passivhausstandard, obwohl hierbei bereits angenommen wurde, dass der Heizwärmebedarf vollständig durch Fernwärme, und damit ohne jeglichen Primärenergieaufwand, gedeckt werden kann. In der Praxis geht man jedoch auch bei Passivhäusern von 20 kWh/(m²a) Primärenergiebedarf zur Deckung des Heizwärmebedarfs aus. Für eine realistischere Einschätzung und eine bessere Vergleichbarkeit soll dieser Wert auch hier angenommen werden. Der Primärenergiebedarf unseres fiktiven Laborgebäudes liegt damit bei 380,5 kWh/(m²a).

Vergleich des Primärenergiebedarfs eines typischen Passivhauses und eines typischen Laborgebäudes.
Grafik: Carpus + Partner

Es zeigt sich: Aufgrund der Nutzungsart benötigen Laborgebäude ein Mindestmaß an Energie, das weit über dem Energiebedarf eines Passivhauses liegt. Der maximal zulässige Primärenergiebedarf von 120 kWh/(m²a) deckt lediglich den Bedarf für Heizung und Beleuchtung – als Labor wäre das Gebäude folglich nicht nutzbar.

Dämmung nach Passivhausstandard verspricht kaum Vorteile

Auch der Einfluss der Gebäudehülle auf den Heiz- und Kühlenergiebedarf von Laborgebäuden ist stark abweichend von den Ergebnissen, die für Wohnungsbauten erzielt werden können. Thermische Gebäudesimulationsrechungen im Rahmen mehrerer konkreter Projektplanungen haben gezeigt, dass die Umsetzung des Passivhaus-Dämmstandards für Laborgebäude energetisch teilweise zwar durchaus sinnvoll, wirtschaftlich aber nicht zu rechtfertigen ist.

Durch die Verbesserung der Gebäudehülle vom üblichen EnEV-2009-Standard auf Passivhausniveau reduziert sich der Gesamtheizenergiebedarf um etwa 25 Prozent und die benötigten Anschlussleistungen sinken: für die Wärmeerzeuger um zehn Prozent, für die Kälteerzeuger um ein Prozent. Setzt man zusätzlich auf eine effiziente Wärmerückgewinnung (WRG) werden sogar 43 Prozent des Gesamtheizenergiebedarfs eingespart. Die benötigte Anschlussleistung des Wärmeerzeugers reduziert sich um 28 Prozent und die Anschlussleistung des Kälteerzeugers um zwei Prozent.

Die finanziellen Aufwendungen, die notwendig sind, um die beschriebenen Einsparungen zu erzielen, relativieren die verbesserte Energieeffizienz aus wirtschaftlicher Sicht jedoch erheblich: Die Mehrkosten, die für eine Gebäudehülle nach Passivhausstandard anfallen, betragen ohne WRG bereits 40 Euro pro Quadratmeter, inklusive WRG sogar 45 Euro. Die durch den geringeren Energieverbrauch entstehende Betriebskosteneinsparung beträgt jedoch nur 35 bzw. 64 Cent pro Quadratmeter und Jahr. Eine Amortisation stellt sich mit WRG somit erst nach 70, ohne sogar erst nach 114 Jahren ein. Zeiträume, die den durchschnittlichen Lebenszyklus eines Laborgebäudes von 25 Jahren um ein Vielfaches übersteigen. Außerdem steigt der Gesamtkühlenergiebedarf in jedem Fall um fünf Prozent (vgl. Tabelle 1).

Energieverbrauch eines Laborgebäudes nach EnEV sowie nach Passivhausstandard, Mehrkosten für den Passivhausstandard und Amortisationszeit.

Spezifische Planung ist unumgänglich
Ein echter Passivhausstandard, der alle Kriterien für herkömmliche Gebäude erfüllt, ist für ein Laborgebäude schon aufgrund des erhöhten Energiebedarfs also nicht realisierbar. Der planerische und investionsbezogene Mehraufwand ist außerdem, vor allem in Anbetracht des typischen Lebenszyklus eines Laborgebäudes, wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen.

Um ein Laborgebäude energieeffizient zu gestalten, müssen gebäude- und vor allem nutzungsbezogene Individualitäten bedacht werden, die durch standardisierte Kriterien nicht abzubilden sind. Hier gilt es nach wie vor, projektbezogen alle Voraussetzungen und Möglichkeiten abzugleichen und hinsichtlich Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit, Funktionalität und Behaglichkeit in Einklang zu bringen.


Dr.-Ing. Tino Born ist leitender Planer im Bereich Energie + Umwelt bei der Carpus+Partner AG. Das Planungsbüro hat sich auf Labor-, Produktions- und Bürogebäude für Unternehmen, Forschungsinstitute sowie Kliniken und öffentliche Einrichtungen spezialisiert. An seinen vier Standorten in Aachen, Köln, Frankfurt und Ulm sind insgesamt ca. 200 Mitarbeiter beschäftigt. Weitere Informationen
www.carpus.de
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