24.10.2012 schoof@detail.de

Solare Tarnkappe: Umweltarena in Spreitenbach

Konstruktion und Inhalt fallen bei der „Umweltarena“ im schweizerischen Spreitenbach zusammen: Das Gebäude dient als Veranstaltungsort für die Umweltbranche und ist selbst Präsentationsobjekt für moderne Energietechnologien. 

Michael Egloff

Die Zeiten, in denen Gebäude ihre ökologische Vorbildwirkung offen zur Schau tragen mussten, ist eigentlich vorbei. Statt voluminöser Wintergärten, alles überwuchernder Gründächer oder vollflächiger Photovoltaikfassaden geht die Tendenz heute eher hin zu Komponenten, die im Verborgenen zur Energieeffizienz beitragen. In den Kellern stehen Geothermie-Wärmepumpen, Hochleistungsdämmstoffe werden hinter Rolladenkästen verbaut, in Kühldecken verbergen sich PCM-Latentwärmespeicher. Energieeffizienz, so das unausgesprochene Credo unserer Tage, soll die Ästhetik eines Bauwerks so gering wie möglich beeinträchtigen. Es geht jedoch auch anders, wenn der Verwendungszweck eines Gebäudes es verlangt. Dies beweisen René Schmid Architekten mit ihrem Neubau der Umweltarena in Spreitenbach bei Zürich.  Der rund 100 x 60 Meter große Neubau erinnert mit seiner ovalen Form und der an einen Schildkrötenpanzer erinnernden Dach an eine Sportarena. Doch ihre Leistungen präsentieren darin nicht Sportler, sondern Unternehmen und Produkte aus der Umweltbranche. Von Kongressen und Kulturanlässen bis zu kleinen Publikumsmessen oder der Probefahrt auf dem e-Bike reichen die möglichen Nutzungsformen.

aPix/Alex Buschor

Ausstellungsort und Präsentationsobjekt in einem Das Herz des Gebäudes bildet eine dreigeschossige „Arena für Nachhaltigkeit“, die bis zu 4000 Personen Platz bietet. Ringsum sowie im ersten Untergeschoss liegen Seminarräume, ein Restaurant und Ausstellungen zu den Themen Natur und Leben, Energie und Mobilität, Bauen und erneuerbare Energien.  Selbstredend sollte ein dergestalt genutztes Gebäude auch eine Vorbildwirkung in puncto Energieeffizienz erfüllen – und diese nicht nur in einigen Kennzahlen im Energieausweis verstecken, sondern in all ihren Einzelheiten der Öffentlichkeit zur Schau stellen.  Schon das Dach, das wahlweise an ein Urzeitreptil oder einen Tarnkappenbomber denken lässt, ist vollständig mit Photovoltaikmodulen belegt. Sie summieren sich auf eine Gesamtfläche von 5300 Quadratmetern – das entspricht 20 Tennisplätzen – und sollen jährlich 540.000 Kilowattstunden Strom erzeugen. Die Spitzenleistung der Anlage geben die Architekten mit 750 Kilowatt-peak (kWp) an. Fast ein Fünftel der 5500 Module mussten aufgrund der unregelmäßigen Dachform als Sonderformate hergestellt werden. 

Bruno Helbling

Auch Außenwände und Bodenplatte sind gut gedämmt, die Glasfassaden dreifach verglast. Insgesamt erreicht das Gebäude einen durchschnittlichen U-Wert von 0,28 W/m²K, einschließlich der transparenten Flächen. Und selbstredend ist die Be- und Entlüftung der Halle mit einer Wärmerückgewinnung versehen. Aufgrund der Gebäudegröße entschieden sich die Planer für mehrere dezentrale Lüftungs- und Teilklimaanlagen.

Detailschnitt Fassade/Dach

Recyclingfähigkeit und Graue Energie spielten im Entwurf ebenfalls eine wesentliche Rolle. Bauherr und Architekt erheben den Anspruch, weltweit die erste CO2-neutrale Großbaustelle betrieben zu haben. Einen Teil des Stroms produzierten Solarzellen auf den Baucontainern und ein Windrad auf dem Baukran. Lastwagen und Baumaschinen fuhren mit Kompogas, gebrauchtem Speiseöl oder Biodiesel. Der Aushub erfolgte etappenweise, damit die 80.000 Kubikmeter Material im nahe gelegenen Betonwerk zu Zuschlagsstoffen aufbereitet und dem Zement beigemischt werden konnten. Für die Zementherstellung wurde dank der natürlichen Komponente – gebranntem Schiefer – deutlich weniger Energie erforderlich. Für die Stahlkonstruktion kam Recyclingstahl zum Einsatz.

Michael Egloff

Bruno Helbling

Im Innenraum verzichteten die Architekten weitgehend auf Verkleidungen und Beschichtungen. Verwendet wurden Beton, Holz, Stahl und Putz. Die Materialien sind meist roh zu sehen – der Glattputz wurde nicht gestrichen, der Stahl oft nur geölt. Wie sich auch an vermeintlich unscheinbaren Details Material und damit Ressourcen sparen lassen, zeigt folgendes Beispiel: «Die Metallgeländer im Innern haben herausgeschnittene Aussparungen», sagt René Schmid, «aber diese ‚Abfallstücke’ haben wir nicht einfach weggeworfen, sondern für die Außengeländer verwendet.» Sie wurden zwischen ein oberes und unteres Metallband geschweißt, so dass die Geländer im Inneren und im Außenraum ein Positiv und Negativ ohne Materialverlust bilden.

Schnitte und Ansichten der Geländer innen und außen

Aus dem Vollen geschöpft: Das Haustechnikkonzept Derlei extreme Sparsamkeit wird durch das Haustechnikkonzept des Neubaus freilich konterkariert. Dort nämlich durften die zuständigen Ingenieure aus dem Vollen schöpfen. Wirtschaftliche Aspekte wurden hinter dem Ziel, moderne Energietechnologien in ihrer ganzen Vielfalt zu zeigen, hintangestellt. So können interessierte Besucher in der Umweltarena allein sechs unterschiedliche Arten von Wärmepumpen (Geothermie, Außenluft, Grundwasser, Abwärme sowie Split-Anlagen und reversible Wärmepumpen) in Aktion sehen, die allesamt in unterschiedlichem Ausmaß zur Wärme- und Kälteversorgung beitragen. Verschiedene Blockheizkraftwerk-Systeme sowie ein Pellet- und ein Holzschnitzelheizkessel komplettieren das Arsenal der Wärmeerzeuger. Für die Kälteversorgung wird das Grundwasser, das Erdregister sowie eine solar- und abwärmebetriebene Absorptionskältemaschine genutzt. Zur Kälte- und Wärmespeicherung dienen zwei je 70 Kubikmeter große Wassertanks.  Die Wärmeabgabe hingegen wurde in zwei Systeme zusammengefasst. In der Grundlast wird das Gebäude über die Betonkernaktivierung beheizt und gekühlt. Hierzu sind in den Betondecken der Umwelt Arena 60 Kilometer Kunststoffrohre eingelegt. Zum anderen wird bei kalten Außentemperaturen die Zuluft vorerwärmt. Das warme Trinkwasser wird solar erzeugt, wobei die Haustechniker wiederum alle technischen Register zogen. Die 18 Quadratmeter große Solarthermie-Anlage umfasst Flach- und Vakuum-Röhrenkollektoren sowie solare Hybridkollektoren. Fast schon erstaunlich wirkt es da, dass auf dem Photovoltaikdach nur eine einzige Technologie – monokristalline Siliziummodule – verbaut wurde. Sie bietet nun einmal den größten Stromertrag je Fläche, und dieser war maßgeblich, um das Ziel „Plusenergie" sicher erreichen zu können.Die 540.000 Kilowattstunden, die das Dach jährlich produziert, entsprechen dem Stromverbrauch von 120 Haushalten. Zählt man noch die im oder am Gebäude gewonnene erneuerbare Wärme hinzu, „produziert“ die Umweltarena pro Jahr fast eine Gigawattstunde an erneuerbaren Energien. Diese Menge übersteigt den prognostizierten Jahresverbrauch für Heizung, Kühlung, Lüftung und Beleuchtung der Umweltarena deutlich. Weitere Informationen zur Umweltarena Website der Architekten
Umweltarena in Spreitenbach  Architekten: rené schmid architekten, Zürich Bauingenieur: Tantanini & Partner AG, Bülach Stahlbauingenieur: Gröber Ingenieurbüro, Winterthu Holzbauingenieur: Menig AG, St. Gallen Elektroingenieur: Büchler & Partner AG, Zürich  Verkehrsplaner: Enz & Partner GmbH, Zürich  Fassadenplaner: Pro OpVma AG, Elgg  Photovoltaik?Ingenieur: Basler & Hofmann, Zürich  Sanitäringenieur: Alco Haustechnik AG, Zürich Umwel`echnik W. Schmid AG, Glattbrugg  Gebäudeautomation : Cofely AG, Rohr  Lüftungsingenieur: Biasca Engineering AG, Spreitenbach  Bauphysiker: Zender + Kälin AG, Winterthur  Heizungsingenieur: HLS Engineering GmbH, Zürich 
Energieeffizient nicht nur im Gebäudebetrieb Unter dem Solardach verbirgt sich eine Dachkonstruktion aus gedämmten Holz-Hohlkastenelementen, die der Holzbaubetrieb direkt aus dreidimensionalen CAD-Daten der Architekten erstellte. Auf diese Weise ließ sich die unregelmäßige Dachform zeit- und kosteneffizient realisieren und Verschnitt vermeiden. 

Grundriss 1. OG

Bildunterschrift: Längsschnitt

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