30.08.2012 Linder@detail.de

Solarer Baukasten: "ECOLAR home" der HTWG Konstanz

Solar Decathlon Europe 2012 Konstanz ECOLAR

Vom 13. bis 30. September 2012 findet im Madrider Parque del Buen Retiro erneut der "Solar Decathlon Europe" statt. DETAIL stellt vorab die beiden deutschen Teilnehmer vor. Heute: das "ECOLAR home" der HTWG Konstanz.
Angesichts der heutigen US-Energiepolitik ist es kaum noch vorstellbar, dass der „Solar Decathlon“ einmal in Washington seinen Anfang nahm – ausgelobt vom US-Energieministerium und veranstaltet auf der National Mall, der Prachtmeile zwischen Kapitol und Potomac River in der US-Hauptstadt.

Das war 2002, und seither hat die Idee  eines „solaren Zehnkampfs“ für Studententeams weltweit Anhänger gefunden. 2010 fand erstmals der Solar Decathlon Europe in Madrid statt. 2012 feiert dieser nun seine Neuauflage. Bei dem Wettbewerb haben 20 Studententeams aus aller Welt die Gelegenheit, ihre selbst entworfenen und gebauten, solar betriebenen Plusenergiehäuser der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Neben Teams aus Spanien, Italien, Frankreich, Großbritannien, Brasilien, Ägypten, China und Japan sind auch diesmal wieder zwei deutsche Teilnehmer mit von der Partie: das „ECOLAR Home“ der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) und das „Counter Entropy House“ der RWTH Aachen.

ECOLAR home der HWTK Konstanz

Counter Entropy House der RWTH Aachen

Vielfältige Anforderungen

Die je rund 40-köpfigen Studententeams haben schon während der zweijährigen Vorbereitungsphase eine Menge Anforderungen zu bewältigen. Das Haus – genauer: ein prototypisches, maximal zweigeschossiges Wohnhaus für zwei Personen, das bilanziell mehr Energie erzeugt als es verbraucht - will entworfen und seine Komponenten berechnet, konstruiert und gebaut werden. Zudem gilt es Sponsoren zu finden, die sich am Gesamtbudget von rund 1,5 Millionen Euro pro Haus beteiligen.

Die Häuser selbst werden im Wettbewerb in zehn Kategorien bewertet, die von der Entwurfsqualität über das Innenraumklima bis zur Marktfähigkeit des Gebäudes und zum Kommunikationskonzept des Teams reichen. Mit einem bloßen „bewohnbaren Solarkraftwerk“ ohne Atmosphäre und Aufenthaltsqualität hat noch niemand einen Solar Decathlon gewonnen.

Hinzu kommen weitere Anforderungen, die sich teils aus den Regularien des Wettbewerbs und teils aus den Ambitionen der Teilnehmer selbst ergeben. Die Häuser müssen schließlich nicht nur als Wohnhaus funktionieren, sondern während der Wettbewerbsphase auch als Ausstellungsgebäude und nach der Rückkehr ins Heimatland oft noch zu ganz anderen zwecken nutzbar sein. Sie müssen im zentralspanischen Frühherbst bestmöglichen Innenraumkomfort bieten, sollen aber zugleich Botschafter der Baukultur und –tradition des Teilnehmerlandes sein.

Ebenfalls nicht zu vernachlässigen: der Faktor Zeit. Zwei Wochen haben die Teams vor Ort für den Aufbau, bevor der Wettbewerb beginnt; eine Woche danach für den Abbau ihrer Gebäude. In aller Regel kommen daher modulare Konzepte zum Tragen, bei denen ein Haus aus nicht allzu vielen, aber leicht zu transportierenden Einzelteilen besteht, die sich vor Ort unkompliziert montieren lassen. Unabdingbar ist in jedem Fall ein Probeaufbau des gesamten Gebäudes an der jeweiligen Heimathochschule, bevor es in Container verpackt seine Reise nach Madrid antritt.
Das ECOLAR Home  der HTWG Konstanz

Das »ECOLAR Home« des Teams aus Konstanz kombiniert schon im Namen die Ideale des ökologischen, ökonomischen, modularen und solaren Bauens miteinander. Die Konstanzer entwickelten ein flexibles Bausystem, aus dem sich Wohngebäude nahezu jeder Größe und Typologie errichten lassen sollen. Ihr Motto dabei: „Ändert sich dein Leben, ändert sich dein Haus“.

Das Gebäude für den Solar Decathlon tritt folgerichtig nicht als abgeschlossener Solitär in Erscheinung, sondern führt eher die Tradition südeuropäischer Hofhäuser fort. Es besteht aus insgesamt sechs Grundmodulen in den Abmessungen von 4 x 4 x 2,5 Metern (Länge x Breite x Höhe), von denen vier als geschlossene Innenräume und zwei als offene, aber überdachte Patios gestaltet sind.

Das Haus steht auf einer leicht erhöhten Holzplattform, deren Gestaltung Elemente aus der Bodenseeregion aufgreift. Holz, Kies und Wasser sind dabei die prägenden Materialien. In Pflanztrögen werden Apfelsträucher und regionale Kräuter angepflanzt, in einem Wasserbecken neben dem Haus sollen Rohrkolben und Papyrus wachsen.

Besucher betreten das „Grundstück“ über eine Rampe entlang der Südseite und gelangen dann über den Patio an der Nordwestecke – der zugleich als Carport und Tankstelle für einen Elektro-Roller dient - ins Haus. Nach dem Rundgang verlässt man die Holzplattform über eine zweite Rampe an der Nordseite. Ganz im Westen begrenzt eine 1,2 Meter tiefe Holzbank das Grundstück. Sie beinhaltet mehrere Pflanztröge und überdies viel Stauraum.

Ein Bausystem, drei Fassadentypen
Stützen und Träger sind 250 x 250 mm starke Hohlkastenträger aus lasergeschnittenen und per Vakuum-Injektionsverfahren verklebtem Furnierschichtholz. Wo dies aus energetischen Gründen sinnvoll ist, wird ihr Hohlraum mit Hanf ausgedämmt. Alle Einzelteile aus Holz haben Rechteckquerschnitte; damit ist eine zeit- und kostensparende Vorfertigung möglich.

In das so entstandene Skelett können dann die raumbildenden Elemente, wie Böden, Wände oder Decken eingesetzt werden. Das modulare Baukasten-Prinzip ist auch noch am fertigen ECOLAR home ablesbar. Eine Schattenfuge zwischen Tragwerk und Wandfüllung verstärkt diese Wirkung noch. Für den Wettbewerb in Madrid soll das Gebäude mit drei unterschiedlichen Fassadenelementen bestückt werden:

Transparentes Fassadenelement:
Die Fassadenflächen zwischen Innenraum und Patios werden als große Glasschiebtüren ausgebildet. Ihre Rahmen bestehen aus Eichenholz. Um den Innenraum vor Sonneneinstrahlung und Einblicken zu schützen, lassen sich die Patios bei Bedarf durch einen Sonnenschutz abschirmen. Dieses Verschattungselement wird seitlich seilgeführt und reagiert automatisch auf den Sonnenstand, kann jedoch auch von Hand gesteuert werden.

Transluzentes multifunktionales Fassadenelement:
An den nördlichen und südlichen Stirnseiten des Hauses werden lichtdurchlässige Außenwände eingebaut. Sie bestehen aus einem neuartigen Dreischeiben-Isolierglassystem, das Verschattung, Lichtlenkung und Lichtstreuung zugleich ermöglicht. Der innere Scheibenzwischenraum wird mit einer transluzenten Wärmedämmung aus Spezialvlies gefüllt. Im außenliegenden Zwischenraum sind hingegen Holzlamellen integriert. Diese sind im Nordseiten-Element horizontal angeordnet, um möglichst viel Licht in den Innenraum zu lassen. Auf der Südseite werden sie geneigt eingebaut, um den Licht- und somit den Wärmeintrag zu minimieren.

Opakes multifunktionales Fassadenelement:
Die übrigen Fassadenelemente besteht aus einer gedämmten Holzständer-Konstruktion, auf die spezielle Holzlamellen aufgebracht werden. Diese regulieren die Menge der Sonneneinstrahlung, die auf die dahinter liegende, speicherfähige Wandkonstruktion fällt. Den äußeren Fassadenabschluss bildet ein transparentes Photovoltaik-Glas mit Dünnschichttechnologie. Allerdings werden die Module erst nach dem Solar Decathlon und der Rückkehr des Hauses nach Deutschland in Betrieb genommen. In Madrid begrenzen die Wettbewerbsregeln die Gesamtleistung der Photovoltaikanlage pro Haus auf 10 kW, und diese Leistung erreicht das ECOLAR home schon allein mit seiner Dachanlage.

Das Dach als Kraftwerk

Das Dach bezeichnen die Konstanzer als „Kraftwerk“ ihres ECOLAR home. Es erzeugt sowohl Solarstrom als auch Sonnenwärme für das Gebäude. Die Flachdächer der vier geschlossenen Raummodule werden komplett mit neu entwickelten, großflächigen (4x1 Meter) Hybrid-Solarmodulen belegt. Diese bestehen aus kristallinen Siliziummodulen, auf die rückseitig wasserdurchflossene Kunststoff-Absorberplatten aufgebracht werden. Das in den Absorbern zirkulierende Wasser erwärmt sich durch die Sonneneinstrahlung und dient sowohl direkt zur Trinkwasserwärmung als auch als Wärmequelle für die Wärmepumpe.

In den Dachflächen über den Patios werden statt dessen halbtransparente Siliziummodule eingebaut. Alle Solarmodule dienen zugleich als wasserführende Schicht. Dennoch ist das gesamte Solardach durch einen 80 Millimeter breiten Luftspalt vom restlichen Baukörper getrennt. Das verleiht ihm nicht nur optisch mehr Leichtigkeit, sondern sorgt auch für eine (ertragssteigernde) Hinterlüftung der Solarmodule. Der Innenraum: „Superschränke“ als Multitalente

Das modulare und flexible Konzept wird im Innenraum durch sogenannte „Superschränke“ fortgesetzt. Diese raumhohen Module nehmen die gesamte West- und Ostwand des Gebäudes ein. Sie enthalten alle notwendigen Funktionen für das alltägliche Leben - von den Möbeln über die Nasszelle bis hin zu den gebäudetechnischen Installationen. Durch mobile Wände, die ebenfalls im Schrank verschwinden, lässt sich der Innenraum auf Wunsch auch zonieren.

Dem Modularitäts-Gedanken entsprechend ist auch der Schrank auf einem Raster angelegt. Denn jeder Bewohner soll sich seinen Superschrank selbst zusammenstellen und auf Wunsch die einzelnen Module später wieder austauschen können.

Energiekonzept

Wie alle Solar-Decathlon-Häuser verwendet auch das ECOLAR home ausschließlich Solarenergie zur Deckung des täglichen Energiebedarfs. Das schließt alle Energieverbräuche vom Heizen und Kühlen bis zur warmen Dusche und zum Kochen ein. Anders als viele Plusenergiegebäude nutzt das Haus jedoch nicht allein Solarstrom, sondern - über die Hybrid-Solarkollektoren - auch die Wärme der Sonne. Sie speisen tagsüber warmes Wasser in einen 2100 Liter fassenden Pufferspeicher ein und unterstützen damit die Beheizung und Warmwasserbereitung. Nachts kehrt sich bei Bedarf die Funktion der Kollektoren um: Statt Wärme aus der Sonne zu gewinnen, strahlen sie Wärme an den kalten Nachthimmel ab. Dies lässt sich nutzen, indem die Kollektoren nachts von Wasser durchflossen werden, das am folgenden Tag wiederum zur Gebäudekühlung herangezogen wird. Den restlichen Teil der Nutzwärme und –kälte liefert eine mit Solarstrom betriebene Wärmepumpe.

Die Innenräume werden über eine Fußbodenheizung beheizt und über Kühldecken gekühlt, wobei Letztere ebenfalls eine Besonderheit darstellen. Die Kühlelemente bestehen aus Lehm-Trockenbauplatten mit integrierten Wasserleitungen. Zusätzlich ist in die Lehmbauplatten ein Latentwärmespeicher (PCM) integriert, der die thermische Speicherfähigkeit der Decke erhöht und so als zusätzlicher passiver „Klimapuffer“ wirkt.

Recyclingkonzept und Zertifizierung

Aufgrund des weitgehenden Verzichts auf Verbundbaustoffe und Klebeverbindungen soll das ECOLAR Home einen leichten Austausch aller Verschleißteile und Komponenten ermöglichen, die am Ende ihrer Lebensdauer angelangt sind. Die Konstruktion besteht bis auf wenige Verbindungsteile aus unbehandeltem Holz; das verwendete Aluminium wurde nicht mit Cr(VI)-Verbindungen behandelt und alle Kabelummantelungen sind halogenfrei.

Sollte sich ihr Bausystem am Markt durchsetzen, wollen die Konstanzer Studenten eine Internet-Tauschbörse für gebrauchte Bauteile (und den Kauf neuer Bauteile) einrichten.
Möchte jemand seine Glasfassade gegen ein solarstromerzeugendes Fassadenelement austauschen, ist dies ohne Probleme möglich und ein anderer Besitzer eines „ECOLAR Home“ kann die gebrauchte Glasfassade kaufen.

Inwieweit sich ihr Engagement für Recyclingfähigkeit und die Verwendung ökologisch unbedenklicher Baustoffe auch in Zahlen ausdrücken lässt, können die Konstanzer nach dem Solar Decathlon überprüfen. Dann nämlich streben sie eine Gold-Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) an. Derzeit nimmt das ECOLAR Home an der Pilotphase für das neue DGNB-Nutzungsprofil für kleine Wohngebäude teil, die Anfang 2013 abgeschlossen sein soll.

Weitere Informationen zum Solar Decathlon Europe 2012:
www.sdeurope.org Weitere Informationen zum ECOLAR home:
http://sde2012.htwg-konstanz.de/
https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/S/o/Solar_Decathlon_Europe_2012_Konstanz_00_TEASER.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image
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