25.06.2014 Bettina Sigmund

Strategien für das urbane Zeitalter oder „Survival of the Fittest"

In weniger als 20 Jahren werden zwei Drittel aller Menschen weltweit in Städten leben. Wir schreiben das „Urbane Zeitalter“. Städte sind Magnete und Schmelztiegel. Sie versprechen Versorgung, Infrastruktur, Arbeitsplätze. Städte stehen für kurze Wege, öffentliche Verkehrsmittel, Schulen und Universitäten, für Anonymität, Wahlfreiheit und Selbstverwirklichung, privat wie beruflich. Aber starke Anziehungskraft und schnelles Wachstum bedrohen auch gleichzeitig die riesigen, oft starren Gebilde, die in Hunderten von Jahren langsam entstanden sind. Den aktuellen Anforderungen – Klimaschutz, Demografischer Wandel oder neue Mobilitätsformen, um nur einige Faktoren zu nennen – sind sie nicht immer gewachsen. Aus diesem sowohl historischen als auch höchst aktuellen Anlass hat die Fraunhofer-Gesellschaft im Rahmen der Initiative Morgenstadt zusammen mit Partnern aus Städten, Wirtschaft und Forschung das Innovationsnetzwerk „Morgenstadt: City Insights“ ins Leben gerufen. Während Phase I darauf ausgerichtet war, zu verstehen, welche Stadtsysteme als Vorreiter gelten und weshalb diese Städte besonders nachhaltig sind, richtet sich der Fokus von Phase II auf die innovative und operative Gestaltung der Stadt der Zukunft. Phase II, die auch die konkrete Umsetzung von Projekten beinhaltet, startete vor wenigen Monaten.

Visionen der "Morgenstadt" (Quelle: Fraunhofer IAO/FBB)

Es geht um aktives Eingreifen in zukünftige Entwicklungen; darum, die Richtung zu bestimmen und Prozesse zu beeinflussen. Der erste Schritt besteht daher in der Definition ambitionierter Ziele. Eine Vision soll zeigen, wie die nachhaltige Stadt aussehen soll, in der wir in Zukunft leben wollen. Dann kann überlegt werden, welche Maßnahmen erforderlich sind, um diese Vision zu verwirklichen.  Phase 1: Die Analyse
Städte-Teams, bestehend aus Fraunhofer-Wissenschaftlern mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten, untersuchten von Juni 2012 bis Oktober 2013 sechs internationale Vorreiterstädte hinsichtlich einer nachhaltigen Stadtentwicklung und entwickelten daraus eine Analysemethode zur Beurteilung der Städteperformance. Die sechs Städte sind Berlin, Freiburg, Kopenhagen, New York, Singapur und Tokio. Ihre individuelle Leistung und die Nachhaltigkeit der vorgefundenen Stadtentwicklung wurden akribisch in unterschiedlichen Disziplinen identifiziert, bestehend aus den acht Kategorien Energie und Ressourcen, Mobilität und Verkehr, Informations- und Kommunikationstechnologie, Produktion und Logistik, Urbane Wasserinfrastruktur, Gebäude, Governance und Planung sowie Sicherheit. Aus der Analyse der Vorreiterstädte wurden 83 Handlungsfelder einer nachhaltigen Stadtentwicklung generiert, die den verschiedenen Sektoren zugeordnet werden. Jede beliebige Stadt kann nun entsprechend ihrer Performance in den verschiedenen Handlungsfeldern bewertet werden. Das Ergebnis stellt die DNA einer Stadt dar.

Das Morgenstadt-Modell für eine nachhaltige Stadtentwicklung: systemische Betrachtung einer nachhaltigen Stadtentwicklung über unterschiedliche Sektoren. (Quelle: Fraunhofer IAO)

Die aktuelle Situation der deutschen Hauptstadt wird vom City-Team wie folgt bewertet: Berlin steht im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit und kann daher Sponsoren und Investoren binden. Aufgrund verschiedener u.a. historisch bedingter Faktoren ist die Stadt nachhaltig betrachtet auf einem guten Weg. Das Bild von Berlin hat sich von einer Industriestadt zur internationalen Hauptstadt gewandelt. Die Bewohner nutzen die seit 1920 etablierten öffentlichen Verkehrsmittel, viele fahren Fahrrad. Dadurch fallen die Emissionen pro Kopf gering aus. Eine Mischung aus politischen Fördermaßnahmen zur Unterstützung sauberer Technologien, ICT-Unternehmen und Forschung sowie privater Initiativen für alternative Lebenskonzepte wie z.B. das Urban Gardening Projekt in Berlin-Tempelhof prägen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Klima. Außerdem ist Berlin mit zahlreichen Projekten Modellstadt und Vorreiter im Bereich Elektro-Mobilität. Das Morgenstadt-Modell setzt die Untersuchungsergebnisse grafisch um:

Das Morgenstadt-Modell am Beispiel der Stadt Berlin (Quelle: Fraunhofer IAO)

Explizit werden der große Anteil an Grünflächen (12% der Stadtfläche), die niedrigen CO2-Emissionen oder der verhältnismäßig geringe ökologische Fußabdruck hervorgehoben. Negative Faktoren sind die kleinen Haushalte (1,4 Personen pro Haushalt) oder das geringe Vertrauen der Bevölkerung in die Politik.
Mit das wichtigste Ergebnis der ersten Forschungsphase ist für die Beteiligten die Erkenntnis, dass es kein übergeordnetes Bewertungs- und Handlungskonzept für verschiedene Städte gibt. Jeder Ort muss individuell betrachtet und beurteilt werden. Die Visionen und Ziele werden je nach Ausgangslage stark voneinander abweichen, ebenso die Strategien. So wurden auch die sechs Vorreiterstädte unter differierenden Vorzeichen analysiert und betitelt: Kopenhagen steht für Lebensqualität und umweltverträgliches Wachstum. Im kleinen und sehr grünen Freiburg gibt es eine ausgeprägte basisdemokratische Bewegung. In New York sind langfristige Strategien zur Steigerung der Anpassungsfähigkeit zielführend. Singapur kann als Versuchslabor mit grünen Technologien und hoher Effizienz Vorreiter für den gesamten asiatischen Raum sein und Tokio besticht durch seine enorme Dichte mit einer beispielhaft nachhaltigen und effizienten Stadtlogistik. Es soll nicht um das Erreichen der besten Leistung in einzelnen Disziplinen gehen. Ziel muss eine jeweils individuell zugeschnittene Kombination daraus sein, als Reaktion auf die aktuell gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Verhältnisse und zukünftige Anforderungen. Oder, um es mit Charles Darwin zu sagen: „It is not the strongest or the most intelligent species who will survive but those who can best manage change.“ Phase 2: Die Strategie
In der nun folgenden Projektphase II finden die Ergebnisse der Analysephase erste konkrete Anwendungen. In Zusammenarbeit mit ausgewählten Städten werden in Pilotvorhaben neue Technologien, kreative Lösungsansätze und strategische Projektentwicklungen auf ihre Umsetzbarkeit und Praxistauglichkeit hin geprüft. Hierzu ist die zweite Phase in fünf Module strukturiert: Projektnetzwerk, Toolkit-Entwicklung, Morgenstadt City Labs, R&D-Plattform sowie Kommunikation und Marketing. In mindestens drei Städten, die aus einem Bewerbungsverfahren hervorgehen, werden auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene Kooperationen zwischen der jeweiligen Stadt, Unternehmen und Forschungsinstituten aufgenommen. Ein erstes Ziel dieser sogenannten Morgenstadt City Labs wird sein, durch die Zusammenarbeit das gegenseitige Verständnis über entstehende Schwierigkeiten, Herausforderungen und Zusammenhänge zu fördern und so mögliche Entwicklungen und zukünftige Bedürfnisse bis ins Jahr 2030 zu konkretisieren. Die City Labs beschäftigen sich mit den langfristigen Rahmenbedingungen und Prioritäten dieser Städte, kristallisieren die Potenziale für bedarfsorientierte Pilotprojekte und entwickeln eine strategische Roadmap mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen für Innovation. Parallel werden innerhalb des Akteursnetzwerks interdisziplinäre Fokusgruppen gebildet. Diese themenorientierten Gruppen rufen über die R&D-Plattform weitere innovative Projekte ins Leben. Hier können die Projektpartner ihre praxisorientierten Fragestellungen platzieren, deren Potenziale für eine nachhaltige Stadtentwicklung von den Fraunhofer-Instituten analysiert werden. Weitere Informationen zum Fraunhofer Innovationsnetzwerk Morgenstadt: City Insights 

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