11.03.2015 Frank Kaltenbach

Unsichtbar spektakulär: Megalithenmuseum bei Lleida

Im katalanischen Bergdorf Seró scheint von außen nichts auf den Inhalt des Archäologiemuseums hinzuweisen: Die 4800 Jahre alten anthropomorphen Megalith-Stelen sind die weltweit ältesten Funde ihrer Art. Mit seiner kruden Skelettkonstruktion aus Stahlbeton und seinen Ausfachungen aus Ziegel fügt sich der Museumsbau camouflageartig in die Zweckbauten der landwirtschaftlich geprägten Umgebung ein.

Architekten: Estudi d'arquitectura Toni Gironès, Barcelona
Standort: Séro, Lleida, Spanien

Foto: Frank Kaltenbach

Verrostete Baustahlmatten, unverputzte Ziegelwände, derbe Betonrahmen. Es ist nicht leicht, das Archäologiemuseum am Fuß des katalonischen Bergdorfes als Kulturbau zu identifizieren. Auf den ersten Blick wähnt man sich auf einer Baustelle, nichts weist auf ein Gebäude oder gar auf einen Eingang hin. So tritt der Besucher instinktiv über groben Ziegelsplitt und die scheinbar wahllos verstreuten quadratischen oder runden Glasplatten bis an die Kante der Plattform, um den Blick über die Felder und Hügel der Umgebung schweifen zu lassen. Er merkt nicht, dass er längst Teil einer gezielten Inszenierung geworden ist, dass jeder seiner Schritte akribisch geplant ist und von subtilen chiffrierten Zeichen gesteuert wird.

In seinen Erläuterungen zum Entwurf leitet der Architekt Toni Gironès seine Architektur von der Umgebung ab. Kein Fremdkörper, sondern ein integrierter und integrierender Teil soll es sein: das Museum, in dem die weltweit älteste Stele mit antropomorphen Mustern ausgestellt ist. So soll die grobe Konstruktion aus Stahlbetonskelett und der unverputzten Ziegel den benachbarten landwirtschaftlichen Gebäuden entsprechen und in den filigranen Zäunen aus Baustahl sieht er eine Entsprechung zu den Getreideähren der umgebenden Felder. Tatsächlich gelingt es ihm, das zum Teil in den Hang eingegrabene Gebäude mit diesem Camouflageeffekt fast unsichtbar zu machen. Die grobe Materialsprache und Detaillierung hat aber noch eine weitere Wirkung, die den Gang durch das Museum in eine Suche nach dem Museum verwandelt. Der Besucher kann sich hier nicht auf seine Sehgewohnheiten verlassen, architektonische Konventionen sind aufgehoben. Bin ich hier richtig? Geht es da vorne weiter? Ist das Gebäude noch nicht fertig oder schon wieder am Zerfallen? Auf welchem Belag soll ich gehen wo nicht? Hält das Geländer oder sollte ich mich besser nicht anlehnen? Gironès chiffriert gewöhnliche Bauteile, in dem er architektonische Motive wie Piktogramme abstrahiert anstelle sie zu fertigen Bildern auszuformulieren. Der Weg über das Dach des Gebäudes hinunter zum Eingang ist der erste Teil einer Promenade Architectural, die nicht im Sanctuarium mit den monolithischen Stelen endet, sondern mitten in einem Getreidefeld.

Als »Fenster«im raumbildenden Filter der drei Meter hohen Bewehrungsstäbe ist jeder sechste Stab auf Brüstungshöhe nach unten gebogen und als Aussteifung im Boden verankert. Foto: Frank Kaltenbach

Der »Balkon« aus einem auskragenden Gitterkorb aus Bewehrungsstahl ist erst auf den zweiten Blick als solcher erkenntlich. Foto: Frank Kaltenbach

Das »Foyer« ist eine schattige Pergola, man sitzt auf Natursteinbrocken.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Plattform bildet das Dach des Museums: Die Haptik des Bodenbelags wechselt entsprechend den darunter liegenden Räumen: Den Übergang vom Verbindungsgang zwischen Museumsdidaktik und Stelenraum überbrückt eine Rampe aus Gerüstblechen.

Foto: Frank Kaltenbach

Der Besucher bewegt sich wie der Archäologe über einem Grabungsfeld auf provisorischen Stegen aus Bewehrungsstahl. Erst direkt über dem Stelenraum ist der Boden wieder durch Ziegelsteine befestigt.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Oberlichter über den Stelen wirken beim Blick zum Bergdorf wie Teile der ortsspezifischen Architektur. Vor dem Hintergrund der Landschaft können sie als Sarkophage gedeutet werden oder Vermittler zwischen der Unterwelt und dem Himmel.

Foto: Frank Kaltenbach

Foto: Frank Kaltenbach

Von dieser Aussichtsplattform mit Blick auf die 2 Kilometer entfernte Fundstelle der Stelen geht die Promenade zurück Richtung Parkplatz. Als geneigtes Dach des Veranstaltungsraumes senkt sich der Platz in Form einer breiten Rampe ab.

Foto: Frank Kaltenbach

Erneut wird der Weg zum engen exponierten Steg über dem historischen Obstgarten, der wie ein archäologisches Grabungsfeld in seinem ursprünglichen Zustand belassen wurde.

Foto: Frank Kaltenbach

Feine Abstufungen und Wechsel in der Materialisierung unterstreichen den Übergang von einem Element zum nächsten.

Foto: Frank Kaltenbach

Der eigentliche Eingang findet sich am Ende der Baustahlrampe.

Foto: Frank Kaltenbach

Um das Museum in das alltägliche Dorfleben zu integrieren, ist der erste Raum mit der Kasse als Enoteca konzipiert. Boden, Wand und Decke sind aus Ziegeln konstruiert. Das gestaltprägende Element sind Ziegelsteine, die gewöhnlich als Flaschenregale genutzt werden. An den Außenwänden stecken leere Flaschen in den röhrenförmigen Öffnungen als Isolierverglasung. Zur Lüftung können einzelne Flaschen aus ihrer Schaumstoffummantelung herausgezogen werden.

Foto: Frank Kaltenbach

Foto: Frank Kaltenbach

Der Veranstaltungsraum ist als Aufweitung der Erschließung nach außen zum Garten hin orientiert.

Foto: Frank Kaltenbach

Die eigentliche Ausstellung besteht nur aus zwei Räumen, die durch einen langen labyrinthischen Gang voneinander getrennt sind. Zur inhaltlichen Orientierung zeigen Ausstellungstafeln im ersten Raum die Verbreitung megalithischer Funde in Europa. Kleine Artefakte, die an der Fundstelle ausgegraben wurden, sind in zylinderförmigen Vitrinen unter Lichtkanonen ausgestellt.

Foto: Frank Kaltenbach

Nur der architektonisch versierte Besucher realisiert, dass er zu Beginn des Besucherwegs, oben kurz nach dem Parkplatz die quadratischen und runden Abdeckgläser dieser Oberlichter überschritten hat.

Foto: Frank Kaltenbach

Das eigentliche Erlebnis folgt im Anschluss. Einzeln werden die Besucher vom Museumsführer in das lange Labyrinth entlassen, wo sie unterschiedliche Lichtstimmungen, Wind und einen subtilen Wechsel im Bodenbelag erkunden sollen, um sich auf die ganz persönliche Begegnung mit den Hauptfunden einzustimmen: abstrakte menschliche Stelen, die vor 4800 Jahren geschaffen wurden und damit älter sind als die ersten Steinsetzungen in Stonehenge.

Foto: Frank Kaltenbach

Im labyrinthartigen Gang umkreist der Besucher die Monolithen, ausschnitthaft geben die perforierten Wände erste Einblicke frei.

Foto: Frank Kaltenbach

An der Decke bilden sich die Oberlichter ab, die als Stahlkästen durch die Decke stechen und mit ihrem neutralen Tageslicht wie Kunstlichtspots die Textur der Stelen hervorheben. Die umgebenden perforierten Ziegelwände wirken bei frontaler Aufsicht mystisch hell wie die Fenster einer Kirche, in der Schrägansicht verdunkeln sie sich zum dezenten Hintergrund der Exponate.

Foto: Frank Kaltenbach

Der Besucher verlässt dieses Sanctuarium nicht auf dem selben Weg, sondern in einem Labyrinthgang, der in gegengesetzter Richtung um den Hinweg herumgewickelt ist. Anstelle des Museumseingangs steht er am Ende dieses Tunnels mitten in einem Getreidefeld.

Foto: Frank Kaltenbach

Eine ausführliche Print-Dokumentation finden Sie in unserer Ausgabe DETAIL 2014/12 zum Thema "Einfach Bauen".
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