Utopien und Stadtentwicklung

Holzschnitt "Isola di Utopia" für Utopia von Thomas More aus dem Jahr 1516

Die Zunahme der Stadtbevölkerung von gegenwärtig 3,9 auf 5,4 Milliarden im Jahr 2050 bedeutet ein überproportionales Wachstum von 54 auf 66 Prozent an der Gesamtbevölkerung. „Da der weltweite Urbanisierungstrend anhalten wird, konzentrieren sich die Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung in den Städten, insbesondere in den Ländern mit unteren bis mittleren Einkommen, also dort, wo die Urbanisierung am raschesten voranschreitet,” gab die UN 2014 in ihrem Bericht zur Einschätzung der weltweiten Stadtentwicklung bekannt. Neben den Themen Klimawandel und Ressourcenverbrauch bildet somit die zahlenmäßig sowie flächenhaft anwachsende Ausdehnung der Städte eine der wichtigsten zu lösenden Fragen unserer Zeit. Die vielfältigen Verknüpfungen der Faktoren untereinander lassen die Komplexität der anstehenden Steuerungsaufgaben weiter steigen. Angesichts dieser Herausforderungen stellt sich die Frage nach der Steuerbarkeit einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Die bisher zu beobachtende fortschreitende Suburbanisierung der stark wachsenden Metropolen und Großstädte mit ihrem Flächenwachstum und einer niedrigen Bevölkerungsdichte arbeitet dem entgegen. Hohes Verkehrsaufkommen, zunehmende soziale Segration und nicht zuletzt die negative Energiebilanz führen zu einem wachsenden Ressourcenverbrauch durch die Städte. 80 Prozent der heute genutzten Rohstoffe und Energie werden von den Städten benötigt, obwohl sie nur 3 Prozent der Fläche besetzen. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsdebatte werden für Wood Utopien der Vergangenheit interessant. Insbesondere in Krisenzeiten entwickelten sich die Stadtutopien als gesellschaftliche und planerische Lösungen. Die Frage ist, inwieweit utopische Gesellschaftsentwürfe auch heute noch Antworten auf aktuelle Problemstellungen liefern können. Gerald Wood ist überzeugt, dass sich ein Rückblick lohnt. „Der Debatte über Nachhaltigkeit lässt sich durchaus utopischer Gehalt bescheinigen, sie bricht im Grunde radikal mit bisherigen Vorstellungen wie sich Gesellschaften entwicklen. Wir entfernen uns beispielsweise vom Wachtumsparadigma und ungerechter Verteilungen. Es geht nunmehr um Gerechtigkeit und ein Mitspracherecht bei Nutzung der Ressourcen“, beschreibt der die Utopie der Nachhaltigkeit. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass in der Vergangenheit auch zahlreiche antiurbane Utopien entstanden. So lieferte Frank Lloyd Wright's Stadtutopie Broadacre City das Vorbild für die klassischen flächenfressenden Vorortsiedlungen Nordamerikas. Urbane Utopien wie von Tony Garnier oder Le Corbusier gingen neben radikalen Neubauten oder Abrissszenarien von einer Trennung der Funktionen oder der sozialen Schichten bei ihren Idealstädten aus. Eine Realisierung scheiterte an ihrer Radikalität oder lieferte sogar negative Erfahrungswerte moderner Stadtentwicklungskonzepte. Nicht zuletzt lässt die Vielzahl heutiger Lebensformen bzw. -stile überindividuelle, visionäre Konzeptionen städtischer Entwicklung an Bedeutung verlieren. Dennoch sind Utopien nach wie vor notwendig als Orientierungspunkte und Wegmarken für künftige Entwicklungen. In Bezug auf die Nachhaltigkeitsdebatte schließt Wood hoffnungsvoll: „Visionäre wird es immer geben.“ Zur Person: Prof. Dr. Gerald Wood ist Geograph. Nach akademischen Stationen an den Universitäten in Oldenburg und Duisburg war er als Visiting Fellow an der Universität Newcastle in England sowie als Vertretung der Professur Stadtgeographie am Geographischen Institut der Universität Stuttgart tätig. 2003 erfolgte seine Berufung an die Professur für Geographie/Anthropogeographie mit dem Schwerpunkt "Geographische Stadtforschung" im Institut für Geographie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit ist Wood Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft NRW der Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover sowie der deutschen Akademie für Landeskunde.
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