30.01.2016 Bettina Sigmund

Vermeidung, Verwertung und Wiederverwendung: Ressourceneffizienz bei Baustoffen

Teilnehmer der Expertenrunde: (v.l.) Nicole Seidl, Jun.-Prof. Dr. Dirk Schwede, Claus Asam, Prof. Christiane Sauer (Moderation), Christoph Schwitalla, Prof. Dr.-Ing. Volker Schmid, Roland Streng

Auf kaum einem Gebiet sind der ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Druck stärker als bei dem Umgang mit Ressourcen. Für die Baustoffindustrie ist das Rohstoffthema mittlerweile ebenso wichtig wie das Jahrhundertthema Energie. Im Tiefbau ist die Zweitverwendung von rückgebauten Baustoffen schon längst Usus. Die Verwertungsquoten sind hoch, die Statistiken zufriedenstellend. Das bisherige Handling des Downcycling stößt aber nicht bei allen auf Zuspruch. Im Rahmen der Cradle-to-Cradle-Bewegung beispielsweise, die einen geschlossenen Rohstoffkreislauf fordert, wird eine gleich- oder sogar höherwertige Wiederverwendung, das Upcycling, von Bauprodukten und Materialien gefordert. Bereits bei der Vorbereitung der Diskussionsrunde zeigte sich, dass es häufig leichter fällt, von »Ressourceneffizienz« zu sprechen als von »Recycling«. Weshalb ist das so und wie grenzen sich die Begrifflichkeiten ab?

Nicole Seidl, Product Steward Styrenic Foams - Global Controlling and Quality Management, BASF SE, Ludwigshafen: »Der Begriff Ressourceneffizienz bezieht den kompletten Material- oder Produktlebenszyklus mit ein, von der Produktion über die Nutzungsphase bis zur Entsorgung. Recycling ist dementsprechend nur ein Aspekt der Ressourceneffizienz. Und es kann durchaus auch ressourceneffizienter sein, nicht den Weg des Recyclings zu wählen. Hier kommen viele Kriterien zum Tragen, wie beispielsweise die Stoffströme und Stoffzusammensetzungen, die verfügbaren Entsorgungswege oder die Logistikstrukturen. Deswegen propagiere ich immer die Berücksichtigung der Öko-Bilanz. Die thermische Verwertung kann so beispielsweise durch die hochentwickelte Technologie in den Müllverbrennungsanlagen tatsächlich der ressourceneffizientere Weg sein.« Christoph Schwitalla, Fraunhofer IBP, Valley: »Es gibt eine Abfallhierarchie, die im Kreislaufwirtschaftssystem fixiert ist. Diese beginnt mit der Vermeidung, dann folgt die Wiederverwendung, die einzelnen Verwertungsverfahren und letztendlich die Entsorgung. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz definiert was »Recycling« und was »Verwertung« ist. Verwerten bedeutet, einen Stoff einem Zweck zuzuführen. Recycling sind die Verfahren, die der Stoff dabei durchläuft. Per Definition handelt es sich bei Recycling also nicht um das Zurückführen von Ressourcen in einen Kreislauf, sondern um jegliche Verwertung. Sobald ich etwas sortiere, spricht man von Recycling. Was man damit dann später macht, interessiert an dieser Stelle nicht.« Laut Statistik werden bereits 90 Prozent der Abfälle aus der Bauindustrie recycelt, meist als Downcycling im Straßenbau. Brauchen wir denn überhaupt noch mehr Recycling? Jun.-Prof. Dr. Dirk Schwede, PhD, ILEK, Universität Stuttgart: »Wie Sie schon sagen, handelt es sich häufig eher um eine Deponierung. Wenn wir uns das Material Stahl ansehen, dann ist die Rückführung in den Kreislauf akzeptabel. Betrachten wir aber beispielsweise Beton, kann man kaum von einer gleichwertigen Verwertung sprechen. Mit den vermischten Betonabbruchmaterialien werden beispielsweise Trassen verfüllt. Ich denke, hier müsste eine Umwidmung und Differenzierung stattfinden, damit hier richtige Zahlen auf den Tisch kommen.« Claus Asam, Referat II 6 Bauen und Umwelt, BBSR, Berlin: »Hier muss ich widersprechen. Die Zahlen mögen nicht die transparentesten sein, da sie von der Bauindustrie selbst geliefert werden, aber es gibt eine genaue Aufsplittung, wie sich die Zahl der 92-prozentigen Verwertung zusammensetzt. Dabei wird unter Recycling wirklich das hochwertige Recycling verstanden, wenn Betonabfälle wieder für Recyclingbeton als Quelle zur Verfügung stehen. Der Massenstrom geht natürlich in den Bereich Straßenbau. Tatsächlich als Deponie angehäuft werden lediglich acht Prozent. Alles andere hat einen Zweck und substituiert natürlich dann auch eine Primärquelle.« Was haben wir bereits erreicht? Ist die Entwicklung in Deutschland zufriedenstellend? Claus Asam: »Die EU strebt bis 2020 eine Recyclingquote von 70 Prozent an. Mit den bereits gemeldeten 92 Prozent im Bauwesen steht Deutschland also sehr gut da. In vielen anderen Ländern sind die Strukturen erst im Aufbau. Man muss aber differenzieren, denn eigentlich wollen wir hier über Recycling in der Architektur sprechen. Um die Stoffströme aus dem Hochbau in einen Kreislauf zu führen, müssen wir uns tatsächlich über neue Verfahren und Bauweisen unterhalten. Beispielsweise Wandbaustoffe können momentan größtenteils nicht wiederverwendet werden. Wir müssen uns hier über die Materialien, aber auch über neue Konstruktionsweisen Gedanken machen.« Kann Holz hier einen Beitrag leisten? Prof. Dr.-Ing. Volker Schmid, Institut für Bauingenieurwesen, Entwerfen und Konstruieren - Verbundstrukturen, TU Berlin: »Der Ansatz ist sicher gut, von vornherein ein Material zu nutzen, das nachwachsend ist. Momentan macht Holz jedoch nur zwischen fünf und zehn Prozent des Bauvolumens aus. Wenn man bei Holz von Recycling spricht, dann meint man in erster Linie die thermische Verwertung, also die Verbrennung. Es wäre interessant, eine Bauweise zu finden, mit der wir konstruktive Bauteile auch als Bauteile wiederbenutzen können. Das ist eine schöne Idee, die allerdings bisher in der Praxis nicht funktioniert. Die Demontage von großen Holzeinzelbauteilen wäre zwar denkbar, aber dann ergeben sich die Fragen: Wo und wie lange werden die Einzelteile zwischengelagert? Was für eine Qualität liegt vor? Wer übernimmt die Verantwortung für die Qualität? Was jedoch sicherlich Sinn macht, ist eine Bauweise zu finden, die die sehr vielschichtigen Wandaufbauten leichter trennbar macht, damit der Weg zur thermischen Verwertung vereinfacht werden kann.« Worin liegt die Schwierigkeit bei der Planung der Wiederverwendung? Christoph Schwitalla: »Der Zeitfaktor und mangelnde Weitsicht werden uns vermutlich einen Strich durch die Rechnung ziehen. Wir können weder wissen, welche Gesetzgebung in 50 Jahren greift, noch wie in einigen Jahrzehnten konstruiert wird oder welche neuen Materialien bis dahin entwickelt wurden. Der Ansatz der Wiederverwendung gefällt mir sehr gut – aber die Entwicklungen werden möglicherweise dagegen sprechen, weil wir einfach nicht in die Zukunft blicken können.« Claus Asam: »Auch im Jetzt ist die Umsetzung kaum möglich. Möchte man ein Wiederverwendungskonzept anbieten, muss auch ein Markt dafür vorhanden sein und die entsprechenden Logistikstrukturen. Es braucht Lagerflächen und Händler, die auch eine Gewährleistung übernehmen und die Qualität abprüfen. Wir bräuchten eine Art Second-Hand-Baumarkt. Nur wenn das Produkt aus der Zweitverwendung kostengünstiger ist, dann hat es eine Chance am Markt. Mit jedem Recyclingmaterial würde aber ein anderes Produkt verdrängt werden. Selbstverständlich wollen die aktuellen Produkthersteller nicht von ihrem Portfolio abrücken. Ein Aufnehmen von Recyclingströmen in den Neuproduktionskreislauf ist oft nicht gewünscht und auch gar nicht möglich. Es bliebe als nur der schwierige Verdrängungsprozess. Der Baumarkt ist in Deutschland relativ gesättigt. Es wäre eine große Herausforderung sich hier gewinnbringend zu positionieren.« Nicole Seidl: »Im Bereich der Kunststoffe gibt es noch eine weitere Herausforderung. Das alte Flammschutzmittel HBCD beispielsweise, das bei EPS-Dämmungen verwendet wurde, ist über die REACH-Verordnung seit 21. August 2015 verboten. Stellt man sich nun vor, dass dieser Stoff durch Produktrecycling wieder in den Kreislauf zurückgelangt, wäre das nicht nur hinderlich, er dürfte auch nicht mehr eingesetzt werden. Deshalb ist es bei der Wiederverwendung von Materialien und Produkten extrem wichtig, genau hinzuschauen, was wirklich in der Zusammensetzung drin ist.« Hierfür gibt es die Möglichkeit, mit Produktdatenblättern oder RFID-Technologie zu arbeiten. Claus Asam: »Die Dokumentation müsste bereits sehr viel allgemeiner greifen, bei der Baudokumentation. Viele Informationen, die am Anfang der Planung vorliegen werden nicht an den Bauherren weitergegeben. Und falls doch, dann müssen sie nur 10 Jahre lang aufbewahrt werden. Mit RFID Technologie könnte dieses Problem gelöst werden. Die Bauteile werden gescannt und geben ihre Information preis. Aber auch hier stellt sich die Frage: Hat diese Technologie tatsächlich mehrere Generationen bestand? Wird es in Zukunft überhaupt noch die Software geben, um die Daten auszulesen?« Löst sich das Problem langfristig von selbst durch den Einsatz von BIM? Dirk Schwede: »BIM könnte vielleicht ein Weg sein, allerdings wären dann die Detailtiefe und die Datenmengen kaum noch überschaubar. Selbst bei kleinen Projekten entstünde dadurch auf Planungsseite ein riesiger Aufwand. Vielleicht wäre dann ein geeigneter Weg, mit Modulen zu arbeiten, die tausendfach eingesetzt werden. So könnte dann auch ein Markt entstehen. Einzelne gut dokumentierte Pilotprojekte helfen ja alleine nicht. Die Bausteine müssten industriell umsetzbar sein und in Masse verbaut werden.« Sehen Sie eine Chance für das Recycling durch das Bauen mit vorgefertigten Modulen? Christoph Schwitalla: »Durch die Verwendung von vorgefertigten Bauteilen könnte die Anzahl der Materialien entsprechend reduzieren werden. Statt des individuellen Bauens mit stetig wechselnden Produkten und Materialien würde man zu einem industriellen Bauen mit einem vorgegeben Pool an Materialien gelangen. Dadurch könnte auch die Vermischung unterschiedlicher Materialien verschiedener Hersteller vermieden werden.« Volker Schmid: »Das modulare Bauen wird seit Jahrzehnten immer mal wieder als Lösungsgeber für verschiedene Herausforderungen gepriesen, hat sich aber im großen Maßstab bisher nicht durchgesetzt. Es mag vielleicht – auch im Hinblick auf den Rückbau und eine damit verbundene Kostenersparnis – bei großen Gewerbe- und Industrieobjekten interessant sein. Besonders aber in den Städten, wo der Baugrund den Löwenanteil der Kosten ausmacht, sehe ich hier kaum Chancen. Hier überwiegen die Vorteile einer individuellen Bauweise, um ein Maximum an nutzbarer Fläche zu gewinnen. Ich denke auch, ein wichtiger Aspekt ist der Bauherr. In der Planungs- und Bauphase denken doch die wenigsten bereits an den Abbau. Und wenn wir wirklich gut bauen, wollen wir die Gebäude auch gar nicht mehr abbauen. 120 Jahre alte, sanierte Altbauwohnungen sind in Städten teurer als Neubauten. Qualitätsvolle Gebäude und Produkte wollen wir erhalten. Damit wird weniger das Recycling zum Thema, sondern die Umnutzung. Der Aufruf an Architekten und Bauherren sollte also lauten, werthaltig zu bauen.« Ressourceneffizienz muss für die Hauptakteure attraktiv sein. Architekt und Bauherren müssen wissen, weshalb sie Mehraufwände in Kauf nehmen sollen. Wer sind die weiteren Akteure? Dirk Schwede: »Die Handwerker auf der Baustelle müssen sensibilisiert werden und qualifiziert sein. Auf der Baustelle passiert viel, häufig geht es einfach schneller etwas anzuschäumen und anzukleben, als das Element vorschriftsgemäß anzukonstruieren. Die Qualifikation der Ausführenden spielt eine große Rolle.« Claus Asam: »Und auch die Bauindustrie muss mehr Produktverantwortung übernehmen. In der heutigen Zeit dominiert die Bauchemie die Baustoffe. Als Anwender kann man nicht mehr erkennen, ob es sich um diese oder jene Rezeptur handelt.« Nicole Seidl: »Für die Dokumentation wird deshalb mit Sicherheitsdatenblättern gearbeitet, in denen auch Informationen zum Thema Entsorgung stehen. Ein gewisser Teil dieser Informationen ist auch über die bauaufsichtlichen Zulassungen abgedeckt. Die Frage ist nur, was dann mit diesen Informationen geschieht. Werden diese innerhalb der Wertschöpfungskette weitergegeben? Ich denke, hier gäbe es noch viel Verbesserungspotenzial.« Sollten Architekten hier aktiver werden? Claus Asam: »Die Baustoffvielfalt nimmt zu. Damit ich als Architekt angemessen reagieren und den Bauherrn beraten kann, muss ich mich zwangsläufig stärker mit der stofflichen Situation befassen. Fairerweise muss man aber sagen, dass ein normales Architekturbüro dieses erweiterte Stoffwissen nicht abdecken kann. Zukünftig müsste es hier das neue Berufsbild des Baustoffberaters geben. Bei den Bundesgebäuden, wo das Bewertungssystem für Nachhaltiges Bauen bereits zur Anwendung kommt, geht es nicht mehr ohne Baustoffberater. Pro Objekt werden zwischen 500 und 1000 Produkte vom Sicherheitsdatenblatt über das technische Merkblatt bis zu möglichen Schadstoffen dokumentiert. Häufig kommen diese Personen aus dem Umweltbereich, sind Baustoffchemiker oder Gesundheitsingenieure. Es entwickelt sich eine neue und zusätzliche Fachplanerrichtung.« Wie sieht es in der freien Wirtschaft aus? Besteht auf Bauherrenseite überhaupt Interesse an recyclingfähigem Bauen? Volker Schmid: »Ein privater Bauherr kommt nicht von alleine auf den Recyclinggedanken. Es sei denn bei der Sanierung eines Altbaus zeigen sich Altlasten und es entstehen hohe Kosten für die Entsorgung. Dann muss er sich zwangsläufig mit dem Thema der Entsorgung auseinandersetzen. Einem Investor, der einen Neubau realisiert, ist es relativ egal, was damit in einigen Jahrzehnten passiert. Erst wenn die zukünftigen Nutzer beginnen danach zu fragen, wird er auch reagieren.« Wichtig wäre hier also eine gesellschaftliche Sensibilisierung und eine verstärke Kommunikation. Dirk Schwede: »Genau dies geschieht in allen unseren Lehrveranstaltungen. Die Studierenden fragen Themen wie Ressourceneffizienz, Demontage und Recycling stark nach und integrieren diese in ihre Entwürfe. Das Thema ist bei den jungen Architekten angekommen. Die Realität kommt nur leider noch nicht hinterher. Aber in der Lehre ist dieser Themenbereich bereits stark verankert.« Auch im Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen unter 4.1.4 Rückbau, Verwertung und Trennung werden die wichtigsten Kriterien bereits erfasst. Allerdings beziehen sich die Maßnahmen eher auf die Vermeidung von Störstoffen, als auf die Rückführung in den Stoff- bzw. Produktkreislauf. Eine Darstellung der Ressourceneffizienz wäre bisher nur in Teilaspekten über eine Ökobilanzierung möglich. Hier sehen die Experten noch verstärkten Handlungsbedarf, um das Thema in der Gesellschaft und der Planerschaft zu implementieren. Erste Leuchtturmprojekte bereiten den Boden für eine breitere Diskussion – auch mit der Bauindustrie, die hier einen relevanten Beitrag leisten kann. Eine große Bedeutung kommt jedoch den Planern zu, die sich nicht nur selbst verstärkt mit Stoffströmen, Materialien und Konstruktionsformen auseinandersetzen müssen, sondern die Relevanz des Themas an ihre Bauherren weiter tragen. Die Fragen stellte die Moderatorin Prof. Christiane Sauer. Zum öffentlichen Symposium am Nachmittag stellten noch einmal alle Referenten ihre Themen und Thesen vor.
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