10.12.2009

Vom Masterplan zum Mikroplan

„Es ist weit notwendiger, für die Armen der Welt zu arbeiten als einen weiteren ikonischen Wolkenkratzer zu entwerfen“, sagt der portugiesische Architekt Filipe Balestra. Gemeinsam mit seiner schwedischen Büropartnerin Sara Göransson hat er ein evolutionäres Konzept zur Verbesserung der Wohnbedingungen in indischen Slums entwickelt.
Das Konzept der beiden Architekten und ihres Büros Urbanouveau* ersetzt den „Tabula rasa“-Ansatz des Wegräumens und Neu-Bauens, wie bisher oft in den Armutssiedlungen der Welt angewandt wurde, durch intelligente, individuell anpassbare Eingriffe in den Bestand. Stück für Stück und angepasst an die finanziellen Mittel der Bewohner sollen die Behausungen in den indischen Slums verbessert, sanitäre Einrichtungen neu geschaffen und nebenbei die Qualität des öffentlichen Raums verbessert werden.

Entwickelt und erstmals erprobt haben Balestra und Göransson ihr Konzept gemeinsam mit Bewohnern der Siedlung Netaji Nagar in Pune, rund 180 Kilometer östlich von Bombay. Ihre Überlegung lautete: Wenn es möglich wird, die Wohnbedingungen in den mittelgroßen Städten rund um Bombay zu verbessern, ließe sich damit auch der Zustrom neuer Menschen in die Metropole verringern.

Grafik: Urbanouveau

Der Slum Netaji Nagar existiert bereits seit 40 Jahren. Inzwischen haben sich dort zwei unterschiedliche Gebäudetypologien und –standards herausgebildet: die „Kacchas“, wenig stabile, eingeschossige Bauten aus minderwertigem Material und ohne fließendes Wasser, und die „Puccas“, solidere, oft mehrgeschossige Bauten mit Stahlbetonskelett und zumindest rudimentären Sanitäreinrichtungen. Schritt für Schritt, so der Plan, sollen nun die verbliebenen „Kacchas“ – immerhin fast die Hälfte aller Gebäude der Siedlung – durch dauerhaftere Konstruktionen ersetzt werden.

Wichtig für die Planung, die von den Architekten gemeinsam mit der örtlichen Frauen-Selbshilfegruppe Mahila Milan entwickelt wurde, war die Flexibilität der entworfenen Gebäude und die Tatsache, dass sie ohne professionelle Bauleitung realisierbar sein müssen. Urvanouveau* entwickelten einen zwei- bis dreigeschossigen Bautypus mit vier Stahlbetonstützen, die auf den vier Ecken der – meist rund 25 Quadratmeter großen – Parzelle stehen. Bei den dreigeschossigen Gebäudetypen bleibt jeweils das untere oder mittlere Geschoss offen; es kann entweder (im Erdgeschoss) zu einem Laden, einer Garage oder einem Stall umgebaut oder (im Obergeschoss) als Wohnraum im Freien genutzt beziehungsweise zu einem späteren Zeitpunkt ausgebaut werden.

Zeichnung: Urbanouveau

Finanziert werden die Gebäude durch ein Zuschussprogramm des indischen Staates, das Slumbewohnern umgerechnet je 4.500 Euro zur Verfügung stellt, sofern sie 10 Prozent der Bausumme selbst beisteuern. Da selbst dies für viele Bauwillige nicht möglich sein wird, können sie den Eigenanteil auch in Form eigener Bauleistungen oder in „Naturalien“ – also in Form selbst beigesteuerter Baumaterialien – erbringen. Außerdem sorgt die Stadt dafür, dass jedes Baugrundstück vor Baubeginn an das öffentliche Wassernetz angeschlossen wird.

Die neu geplanten Wohnhäuser fügen sich einerseits nahtlos in die bisherige Struktur der Siedlung ein, andererseits können sie selbst in vielerlei Variationen zu Gebäudegruppen zusammengestellt werden. Da Farbe in Indien ein wichtiges Element der Architektur ist, kann jeder Bauherr sein Haus farblich individuell gestalten.

Zeichnung: Urbanouveau

Darüber hinaus sollen mit der Umbaustrategie auch die öffentlichen Bereiche der Stadt aufgewertet werden. Straßen werden verbreitert, und ferner hoffen die Architekten, dass durch die neuen Sanitäreinrichtungen in den Häusern eines Tages die öffentlichen Toiletten in der Siedlung wegfallen und durch einen öffentlichen Platz ersetzt können

Umgesetzt werden soll die Erneuerungsstrategie künftig durch Prassana Desai, Architekt und Stadtplaner sowie Direktor des PVP College of Architecture an der Universität Pune. Laut Filipe Balestra haben, wenn überhaupt, nur mikro-invasive Programme mit hoher Nutzerbeteiligung eine Chance bei der baulichen Verbesserung von Slums. Balestra glaubt auch, dass sich das Bild von Architekten in der Öffentlichkeit durch Projekte wie dieses verbessern ließe: „Ich glaube, dass "Star-Status" in der Architektur künftig eher denen zuteil wird, die zur nachhaltigen Entwicklung unseres Planeten als Ganzes beitragen.

Grafik: Urbanouveau

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