13.08.2012 Bettina Sigmund

Von der Fläche in den Raum: 3D-Verformungstechnologien

Werkstoffe werden durch unterschiedliche Technologien dreidimensional verformt. Im Ergebnis gewinnen die neuen "Raumformen" Eigenschaften wie Leichtigkeit und Stabilität hinzu. Nicht nur Herzog & de Meuron setzen auf die neuen Materialien, sie finden auch Anwendung in der Industrie und im Produktdesign. Durch einfache innovative Technologien lassen sich das Spektrum und die Möglichkeiten bekannter Materialien erweitern. Technische Eigenschaften können verbessert und ungekannte optische Wirkungen erzeugt werden. Die Natur dient dabei oftmals als Vorbild und Ideengeber für ungewöhnliche Lösungen industrieller Entwicklungen. Im Folgenden werden verschiedene Techniken zur dreidimensionalen Verformung vorgestellt. 1. Wölbstruktur: Wabenförmige Oberflächen

Foto: Dr. Mirtsch GmbH

Mitte der siebziger Jahre entdeckte Prof. Dr. Frank Mirtsch durch Zufall das Prinzip der selbstversteifenden Wirkung von Wölbungen. In einem schonenden Prozess bilden dünnwandige Materialien wie Bleche oder Kunststofffolien – aus einer intelligenten Vorkrümmung heraus von selbst – sechseckige raumhaltige Wölbungen und Facettenstrukturen. Eine ähnliche Selbstorganisation des Materials kann bei verschiedenen Tieren und Pflanzen beobachtet werden. So bauen beispielsweise Bienen zunächst zylindrische Räume, die durch den Abkühlungs- und Erstarrungsprozess die typische hexagonale Wabenform annehmen. Durch die sechseckigen Strukturen werden angreifende Kräfte auf den gesamten Wabenbau verteilt, der eine enorme Stabilität erhält. Auch die gewölbten Panzer von Schildkröten und die Fruchtformen einiger Pflanzen folgen beim Wachstum dem Prinzip der Selbstorganisation. Aus der Übertragung dieses Prozesses auf industrielle Materialien entwickelte die Dr. Mirtsch GmbH innovative Leichtbauprodukte. Bei gleichbleibendem Gewicht wird die Steifigkeit wesentlich verbessert. Die verspiegelte, wabenförmige Oberfläche blendet nicht, weist eine hohe Biege- und Beulsteifigkeit auf und der Körperschall wird gedämpft. Durch die Selbstorganisation des Materials kann der zur Herstellung erforderliche Energieaufwand im Vergleich zu konventionellen Produktionsprozessen auf 1/10 bis 1/20 reduziert werden. Die umwelt- und materialschonende Technologie bringt eine Vielzahl von Produkten hervor, die in unterschiedlichsten Bereichen mit großem Erfolg eingesetzt werden: als Waschmaschinentrommel, als Leichtbauteile für Fassadenverkleidungen, in Automobil-Karosseriebauteilen und in der Abgastechnik. 2. EXYD: Oberflächen zwischen Chaos und Ordnung

Foto: EXYD GmbH

Im Gegensatz dazu setzt der Hersteller EXYD ganz auf Individualität; Serien aus der Produktion des 2006 gegründeten Unternehmens heißen "Unikate". Die Oberflächenstruktur erinnert an spiegelnde Oberflächen fließender oder durch Regentropfen bewegter Gewässer. Der Maschinenbauingenieur und Informatiker Detlef Schobert entwickelte zunächst in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Herzog & de Meuron eine Metalloberfläche, die 2002 auf der Biennale in Venedig vorgestellt und beim Edificio-Forum in Barcelona umgesetzt wurde. Aufsehen erregte die Gestaltung der Metallfassade für das elfgeschossige Appartmenthaus "40 Bond Street" in New York, ebenfalls für Herzog & de Meuron, und ein dreidimensionales Eingangstor aus Aluminium mit einer Länge von 39 Metern und einer Höhe von bis zu 7 Metern. Das organisch anmutende Rankengebilde wurde im Sandgussverfahren gefertigt.

Es folgten Aufträge für Projekte in Lausanne, Stockholm, Moskau, Seoul und viele weitere. Die Produkte der Firma EXYD folgen dem Leitthema "Oberfläche zwischen Chaos und Ordnung". Die Strukturen entstehen durch Prägung, Perforation oder Gießverfahren. Kombinationen von spiegelnden und matten Bereichen, punkt- und linienförmigen Verformungen oder schmelzartige Strukturen sind frei gestaltbar, Muster wiederholen sich nicht. Aussparungen und Lichtöffnungen sind möglich. Als Ausgangsmaterial kommen Stahl, Edelstahl, Aluminium oder Kupfer in Frage, auch Streckmetalle können individuell verformt werden. Die teils rauen Oberflächen eignen sich vor allem für den Einsatz in von Vandalismus bedrohten Bereichen. 3. Zellulare Strukturen: Metallschaum als Raumgitter

Foto: Christiane Sauer

Einen ganz anderen Ansatz gibt es bei offenporigen Metallschäumen aus Aluminium, wie sie z.B. die Firma m-pore GmbH aus Dresden herstellt. Verschiedene Herstellungsverfahren sind seit etwa 20 Jahren bekannt, wie Guss- oder Aufschäumvervahren. Bei dem patentierten Feingussverfahren wird offenporiger Kunststoff mit einer feuerfesten Masse umgossen. Porengröße und Stegdicken des Kunststoffs bestimmen Form und Eigenschaften des Metallschaums. Nach Erstarrung der Masse wird das Modell mit Metall ausgegossen, dabei schmilzt der Kunststoff und die flüssige Legierung nimmt dessen Volumen ein. Nach Auskühlung und Verfestigung des Metalls wird der Formstoff entfernt. Der Aufbau des Metallschaums ist vergleichbar mit gewachsenem Knochengewebe, das bei relativ niedriger Dichte ebenfalls eine hohe Festigkeit aufweist. Der Metallschaum ist zudem durchlässig für Flüssigkeiten und Gase, die durch die Struktur verwirbelt werden.

Gute Wärmeleitfähigkeiten und eine große Oberfläche begünstigen die Übertragung von Wärme oder Kälte. Dementsprechend finden Formteile aus Metallschaum Verwendung im Bereich der Klimatechnik als Wärmetauscher oder Wärmespeicher. Das geringe Gewicht mit zugleich hoher Stabilität prädestiniert sie für den Einsatz als Stoßabsorber und Versteifungselemente im Leichtbau. Auch Designer haben inzwischen das durchlässige Material für sich entdeckt. In Zusammenhang mit Licht lassen sich ungewöhnliche Wirkungen und Schattenwürfe generieren. Zwei der raumgreifenden Erfindungen – die wabenförmige Wölbstruktur der Dr. Mirtsch GmbH und der, dem Knochengewebe ähnliche Metallschaum – lassen sich dem interdisziplinären Bereich der Bionik zuordnen. Ziel der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachbereiche sowie Philosophen, Designern oder Architekten ist die technische Umsetzung natürlicher Phänomene. Als Basis dient die Annahme, dass in evolutionären Prozessen über Millionen von Jahren optimierte Strukturen und Lösungen generiert wurden. Diese nun auf verschiedene Materialien und Oberflächen zu übertragen und raumhaltige Strukturen mit hoher Formsteifigkeit und Festigkeit zu schaffen, schafft hohe Anreize und völlig neue Möglichkeiten für die Architektur.

Text: Bettina Sigmund, Materialauswahl: Christiane Sauer

Weitere Informationen finden Sie unter:
www.woelbstruktur.de
www.exyd.com
www.m-pore.de
https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/r/e/research_3D-Verformung_Mirtsch_01.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image
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