24.06.2014 Bettina Sigmund

Von der Industriebrache zur kreativen Produktionsstätte

Welcher Architekt träumt nicht insgeheim davon, eine alte Fabrik zu erwerben, die Bausubstanz in Eigenregie zu sanieren und einer neuen Nutzung zuzuführen? Jana Reichenbach-Behnisch berichtete im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zukunft des Bauens“ als Architektin und Bauherrin aus erster Hand über Hintergründe, Schwierigkeiten und Chancen der Wiederbelebung und Nutzung brachliegender Industriestrukturen.

Das Tapetenwerk in Leipzig (Quelle: rb architekten, Foto: regentaucher.de)

Unter dem Oberbegriff „Demografischer Wandel“ fördert die Forschungsinitiative Zukunft Bau verschiedenste Projekte rund um bestehende Strukturen. Die ausführliche Bezeichnung des vorgestellten Projektes lautet etwas sperrig: „Niedrigschwellige Instandsetzung brachliegender Industrieanlagen mit nutzerorientiertem Umbau zu kostenoptimierten Arbeitsräumen für die Kreativwirtschaft in strukturschwachen Regionen bei fortführender energetischer Optimierung.“ Der Umfang geht weit über eine theoretische Forschungsarbeit hinaus. Als angewandte Bauforschung bezeichnen die Beteiligten das Projekt, dessen Zwischenstand in Hamburg zum Symposium „Innovationen im Bestand“ präsentiert wurde. Schauplatz und Objekt ist die ehemalige Tapetenfabrik Leipzig, eine gewerbliche Anlage aus dem 19. Jahrhundert, die bis 2006 noch in Teilen der Produktion diente. Das Gelände umfasst ca. 6.000 qm Nutzfläche auf einer Grundstücksfläche von 4.000 qm. Forschung und Umsetzung beschränken sich nicht auf Architektur und Hochbau, es geht vielmehr auch um rechtliche, energetische und wirtschaftliche Fragen und Leerstandsmanagement. In der strukturschwachen Umgebung sind überschaubare Kosten und Rentabilität ein wesentlicher Faktor für die Umsetzbarkeit vergleichbarer Projekte. Nach der Realisierung wird der Schwerpunkt zukünftig in der Übertragung auf andere Regionen liegen, sowie in möglichen und erforderlichen Modifizierungen für kleinere oder größere Orte.

(Foto: Kirsten Nijhof)

Das Tapetenwerk wurde Anfang 2007 von Jana Reichenbach-Behnisch erworben. Die drei Pole, zwischen denen sich das Spannungsfeld des Projekts bewegt, liegen einmal in der zugrundeliegenden Substanz – großflächige Industriebrachen gehören in Leipzig, dem „Manchester Deutschlands“, zum Ortsbild. Der zweite Pol sind die zukünftigen Nutzer, die Kreativwirtschaft. Architekten gehören dazu, Designer und Künstler, aber auch Gastronomie, Softwareentwickler und produzierendes Gewerbe. Es handelt sich dabei meist um kleine und kleinste Unternehmen, die sich gemäß einer Studie der Deutschen Bank in der Krise als erstaunlich stabil erweisen. Die beschränkte Unternehmensgröße bedingt den dritten Schwerpunkt, nämlich eine niedriginvestive und schrittweise Sanierung, die mit geringen Umsätzen und Gewinnen und somit niedrigen Mieten vereinbar ist. Recycling ist daher ein großes Thema. Was ausgebaut wird, wird auch wieder verwendet; einfache Materialien kommen zum Einsatz, außerdem werden die vorgefundenen Raumstrukturen zum größten Teil erhalten. Die kreativen Nutzer eignen sich die vorgegebenen Räume an, man arbeitet im Cluster und schätzt die kurzen Wege zueinander. Räume werden flexibel genutzt, ändern manchmal während einer Mietperiode mehrfach die Bestimmung. Erneuert werden die elektrotechnische Ausstattung und die Haustechnik. Ein funktionierendes Internet und Brandschutz sind wichtige Themen. Für die Tapetenfabrik liegen die Umbaukosten bei unglaublichen 100€/ qm. Die Kaltmieten bewegen sich zwischen 2,50 € und 4,50 € netto. Vergleichbare Projekte im Umfeld konnten mit bis zu 400 €/ qm umgebaut werden, die Mieten bewegen sich in einem ähnlichen Rahmen.

(Foto: Kirsten Nijhof)

Die Umsetzung wirft verschiedene Fragen und Probleme auf, die die Forschungsarbeit ebenfalls beantworten will. Mit der Übernahme und Modernisierung von Bestandsgebäuden geht die Angst vor Gentrifizierung einher. Dagegen steht jedoch die Aufwertung und Wiederbelebung urbaner Räume durch eine lebendige Branche gerade in strukturschwachen Gebieten. Auch die Vereinbarkeit mit bestehenden Normen und Regelwerken gestaltet sich bisweilen schwierig. So führt beispielsweise die Anwendung von Stellplatzverordnungen zu übertriebenen Forderungen, die mit den neuen Strukturen und ihrer Klientel nicht zusammen passen. Auch die Arbeitsstättenrichtlinien tun sich teilweise schwer mit der Bewertung der entstehenden informellen oder nicht eindeutig zuordenbaren Räume. Um Gegnern und ihren Argumenten den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurden vorab Gutachter mit der Beurteilung unterschiedlichster Aspekte des Tapetenwerks beauftragt – mit teilweise überraschenden Ergebnissen. Die energetische Bewertung des umgenutzten Gebäudes ergab einen Energiestandard, der nur knapp unterhalb des geforderten Wertes für den modernisierten Altbau liegt. Mit dem Einbau einer Biomasseheizung mit Pellets würden die Forderungen der EnEV leicht erfüllt werden. Die energetische Betrachtung ist hier ebenfalls mit Vorsicht zu genießen; eine schematische Berechnung wie bei Neubauprojekten ist nicht zielführend, vielmehr müssen die Objekte jeweils individuell und akribisch untersucht werden. Das angesichts der niedrigen Investitionskosten von 100€/qm überraschend gute Ergebnis kann zum großen Teil der sehr guten Bausubstanz zugute gehalten werden, ein weiteres Argument für ihren Erhalt und die fortlaufende Nutzung. Im zweiten nun folgenden Teil des Projekts, das bis 2015 läuft, wird in erster Linie die Übertragbarkeit auf andere Orte thematisiert. Anhand einer alten denkmalgeschützten Lederfabrik in der kleinen sächsischen Stadt Freital soll die Gültigkeit der aufgestellten Thesen überprüft werden. Ziel ist eine Art Regelkatalog, der regionale Unterschiede berücksichtigt sowie die Überprüfung der Machbarkeit in Sachsen und im gesamten Bundesgebiet. Vortrag von Jana Reichenbach-Behnisch, rb Architekten, Leipzig, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die Zukunft des Bauens“ von Detail research und der Forschungsinitiative Zukunft Bau des BMUB und BBSR am 10. April 2014 in der Freie Akademie der Künste in Hamburg zum Thema „Innovationen im Bestand“.   Projektbeteiligte rb Architekten Leizig
Projektseite: www.kreative-produktionsstaedte.de
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung -BBR-,
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung -BBSR-,
Forschungsinitiative Zukunft Bau
Zur Person Jana Reichenbach-Behnisch ist freiberufliche Architektin. Nach ihrem Studium an der Technischen Universität Dresden war sie zehn Jahre lang als Projektleiterin für verschiedene deutsche Architekturbüros tätig, bevor sie ihr eigenes Büro rb architekten in Leipzig gründete. Seit 2006 arbeitet und publiziert sie im Rahmen der Forschungsinitiative Zukunft Bau zum Thema "Aktivieren von Bestand" vor dem Hintergrund des Demografischen Wandels. Ihre Konzeptidee "Multiples Haus" für den ländlichen Raum gewann als "Netzwerk Daseinsvorsorge" 2012 den LEADER-Landeswettbewerb in Mecklenburg-Vorpommern und wurde dort jetzt in fünf begleiteten Modellprojekten in die Praxis umgesetzt. 2013 startete sie das Forschungsprojekt zur "Niedrigschwelligen Instandsetzung brachliegender Industrieanlagen für die Kreativwirtschaft". Seit 2007 ist sie Projektmanagerin und Eigentümerin einer gründerzeitlichen Fabrikanlage im Leipziger Westen: das "Tapetenwerk" wurde 2012 in die Good-Practice-Datenbank der Netzwerkreihe "wieweiterarbeiten – Arbeitsorte der Zukunft" der Bundesstiftung Baukultur aufgenommen.

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