Von Glassegeln umhüllt: Fondation Louis Vuitton in Paris

Das aufgeblähte Segel einer Rennyacht bildete die Vorlage für die expressive gläserne Gebäudehülle des Musuems für zeitgenössische Kunst von Frank O. Gehry. Auf etwa 3500 m² Ausstellungsfläche beherbergt das neue Gebäude der Fondation Louis Vuitton 11 Galerien unterschiedlicher Größe sowie ein Auditorium mit 350 Sitzen, einen Buchladen, ein Restaurant und Verwaltungsbüros.

Architekt:
Gehry Partners, Los Angeles
Standort: 8, Avenue du Mahatma Gandhi, Bois de Boulogne, 75116 Paris

Foto: Fondation Louis Vuitton, Louis-Marie Dauzat

Das Gebäude besitzt drei Hauptebenen: Keller, Erdgeschoss und Obergeschoss. Die wichtigsten innenliegenden Galerien sind relativ einfache Volumen aus Beton. Sie werden von kleineren Galerien mit eher spielerischen und skulpturalen Formen umringt. Diese Räume sind über eine Erschließungszone verbunden, die das zentrale Element des Raumerlebnisses bildet und reichlich Gelegenheit zum Verweilen sowie Ausblicke in den umgebenden Park bietet. Der Weg durch das Museum wird durch eine externe Erschließungsstraße ergänzt, die zu einer Reihe von Terrassen auf drei von Ost nach West ansteigenden Ebenen führt.

Das Gebäude ist fast vollständig in gläserne Segel oder »Verrieres« gehüllt, die den Terrassen und externen Erschließungsflächen als permeable Hülle dienen, diese Außenbereiche räumlich definieren und die Nutzer vor Witterungseinflüssen schützen. Dadurch entstehen einzigartige Räume – fließend, dynamisch und sich stets verändernd. Die gläsernen Oberflächen haben einen ätherischen Charakter – der Eindruck einer festen Gebäudehülle verschwimmt und die Trennung zwischen Gebäude und Himmel wird aufgehoben.

Foto: Christian Schittich

Glassegel
Die insgesamt zwölf Glassegel sind als voneinander unabhängige Strukturen mit ins­gesamt circa 13.400 m² Glas verkleidet. Ihre Größe variiert vom größten mit mehr als 3000 m² Fläche und nahezu 500 t Gewicht bis zum kleinsten mit 500 m² bei 60 t Gewicht. Ihre Ausrichtung reicht von horizontal zu vertikal. Als Form und Identität des Gebäudes bestimmendes Element sind sie von den Segeln einer Rennyacht inspiriert: Ein Foto der America’s Cup-Yacht »Susanne« aus dem Jahr 1911 diente den Architekten als Leitbild.

Die Struktur vermittelt einen Eindruck von Bewegung und Spannung der Oberflächen und prägt die räumliche Atmosphäre im darunter liegenden Bereich. Die Profile des Verglasungssystems erinnern dabei an die Nähte herkömmlicher Segel und verleihen den Oberflächen eine deutliche Ausrichtung. Zwischen den Teilsystemen (Verglasung, Tragstruktur der Segel und massive Primärstruktur) entsteht eine deutliche Hierarchie, und jedes einzelne ist in Bezug auf Maßstab und Materialien klar differenziert und identifizierbar.

»Susanne«, America´s Cup Yacht der J-Klasse, Foto: Beken of Cowes, GB-Cowes (1911)

Foto: Fondation Louis Vuitton, Louis-Marie Dauzat

Technische Herausforderungen
Die vertikal ausgerichteten Segel sind in einem Abstand von bis zu 20 Meter am Gebäude befestigt und das größte horizontale Segel kragt um 25 Meter aus. Den Segeln trotz dieser Dimensionen den Eindruck von Leichtigkeit und Spannung zu verleihen, wurde zu einem wichtigen Prüfstein des Projekts. Zudem musste die Tragstruktur aller Segel durch die darunter liegenden Erschließungs- und Terrassenräume hindurch zu den jeweiligen Auflagerpunkten auf der massiven Primärstruktur geführt werden. Die dort jeweils benötigte Tragfähigkeit schränkte die mögliche Anordnung dieser Punkte stark ein. Das Ziel war, einheitliche Strukturen zu entwickeln, die in der Detaillierung und Maßstäblichkeit der Komponenten ähnlich aufgebaut sind. Jedes Segel ist jedoch in jeweils eigener Weise aufgelagert. Das Tragverhalten der Segel ist daher kaum miteinander vergleichbar.

Schnitt, Grafik: Gehry Partners

Foto: Christian Schittich

Die Segel bestehen aus vier Subsystemen:

Verglasung

Die Glasfelder bestehen grundsätzlich aus rechteckigen, ca. 3 m x 1,5 m großen Scheiben, die heiß zylindrisch gebogen sind. Sie verfügen ausschließlich an den Längsseiten über eine tragende, integrierte Aussteifung aus Edelstahl.

Tertiäres System
Die Glastafeln sind an einer Rasterstruktur aus hochbelastbarem Edelstahl befestigt. Die Hauptelemente des Rasters verlaufen entlang der Längsseiten der Scheiben und bestehen aus Standardelementen: Rohre mit 80 mm Durchmesser, 120 mm breite Aussteifungsplatten, ergänzt durch Rohre mit 70 mm Durchmesser in Querrichtung. Das System wird durch speziell gefertigte Abschnitte aus Rohren und Platten vervollständigt, die entlang der Ränder sowie der Schnittlinien der zwei Flächen verlaufen und integrierte Regenrinnen und Abflussrohre umfassen.

Sekundärstruktur
Das Tragwerkssystem der Segel wird im Unterschied zur Primärstruktur des Gebäudes als Sekundärstruktur bezeichnet. Seine Hauptelemente bestehen aus Holz. Sie bilden einen Rahmen für jedes Segel und folgen zudem der jeweiligen Schnittlinie zweier Oberflächen. Nebenträger aus Stahl sind so angeordnet, dass sie den Eindruck der Bewegung und Spannung in den Segeln verstärken. Das System wird durch Aussteifungen in Leichtbauweise vervollständigt, die aus lackierten Stahlrohren und Zugstäben aus Edelstahl bestehen.

»Tripods«

Die Sekundärstruktur wird durch tetraederförmige Kombinationen von Stützen und Bindern getragen. Je zwei oder drei sind zu einer Gruppe zusammengefügt. Ihre Anordnung bestimmt das Tragverhalten der einzelnen Segel. Ihre jeweilige Position musste sorgfältig abgewogen werden, um auch der gewünschten räumlichen Atmosphäre unterhalb der Segel zu entsprechen.

3D-Modell der Gesamtkonstruktion, Grafik: Gehry Partners

Foto: Christian Schittich

Die Verglasung
Die Verwendung von gebogenem Glas hat eine offensichtliche architektonische Wirkung. Jedoch war von Beginn des Projekts an klar, dass die Herstellung der Gläser eine sehr schwierige Aufgabe sein würde. Die übliche Herstellungsmethode, Glas zu erhitzen und mittels stählerner Spannvorlagen zu formen, ist für kleine Maßstäbe und die wiederholte Verwendung bestimmter Geometrien gedacht. Dieses Verfahren auf eine Oberfläche anzuwenden, die mehr als 13000 m² groß ist und aus individuellen Einzelstücken besteht, wäre nicht zu finanzieren gewesen. Die Methode führt außerdem zu lediglich teilvorgespanntem Glas mit niedriger charakteristischer Bruchfestigkeit. Die Suche nach einem Herstellungsverfahren für die Produktion von gekrümmtem und zugleich ausreichend vorgespanntem Glas war von fundamentaler Bedeutung für das Projekt, auch, um die Glasstärke so weit wie möglich zu reduzieren. Dies wirkt sich nicht nur auf die Wirtschaftlichkeit des Materials aus, sondern erhöht auch die Flexibilität der Gläser, wodurch sie toleranter für Bewegungen im Tragwerk werden. So wird ein weicheres Tragwerk möglich, was wiederum zur Wirtschaftlichkeit beiträgt. Ebenso führt es zu einer optisch leichteren Wirkung der verwendeten Elemente. Die Lösung fanden wir in der neuesten Generation industrieller Biege- und Vorspannungsanlagen. Diese ermöglichen, qualitativ hochwertige vorgespannte zylindrische Glaspaneele herzustellen.

Montage eines Verglasungselements, Foto: Fondation Louis Vuitton, Louis-Marie Dauzat

Foto: Christian Schittich

Charakter und Komposition wurden in umfangreichen Forschungen und Versuchen entwickelt und waren Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Gehry Partners und Studios Architecture, dem ausführenden Büro. Die Architekten suchten nach einem subtilen Grad an Transluzenz, um der Verglasung Präsenz zu verleihen und sicherzustellen, dass sie sowohl Licht als auch Schatten zur Geltung bringt. So entstand eine Verglasung, deren Transparenz sich unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen radikal verändert. Innerhalb eines Jahres konnten insgesamt mehr als 3600 Scheiben produziert werden, jede einzelne ein Unikat.  

Sowohl das für die Glassegel des Gebäudes der Fondation Louis Vuitton gewählte konstruktive System als auch seine Umsetzung im Detail unterstützen die Absicht der Architekten: ein niveauvolles und vielfältiges Raumerlebnis zu erschaffen, das zwischen den Ausstellungen zeitgenössischer Kunst einerseits, sowie dem umgebenden Wald und dem Jardin d’Acclimatation andererseits eine starke Verbindung aufbaut.

Foto: Christian Schittich

Projektinformationen: Bauherr: Fondation Louis Vuitton
Architekten vor Ort: STUDIOS Architecture, Paris
Technische Beratung: Quadrature Ingenierie, Chambourcy
Sicherheitsberater: Cabinet Casso et Cie, Paris
Ausführungsplanung, Tragwerksplanung, Verkehrsflächen und HLSK: Setec Bâtiment, Paris
Tragwerksplanung Glassegel: RFR + T/E/S/S, Paris
Bauunterhalt: TAW WEISSE International, Hamburg mit: APLOMB, Suresnes
Lichtplanung: L’Observatoire International, New York
Zertifizierung: Bureau Veritas, Rueil-Malmaison
Sicherheits- und Gesundheitsschutz: Socotec, Noisy-Le-Grand Den vollständigen Technik-Artikel zum Projekt lesen Sie in unserer Ausgabe DETAIL 2014/11
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