13.03.2011

Von Sonnenstädten und Sonnenbädern

Vor allem in der 440-430 v. Chr. angelegten Neustadt von Olynth lässt sich beobachten, wie eng im spätklassischen Griechenland Städtebau und Wohnarchitektur an der bestmöglichen Nutzung der Sonneneinstrahlung orientiert waren. Die mit einem Seitenverhältnis (Ost-West) von 5:2 ohnehin bereits langrechteckigen Häuserblocks (Insulae) werden durch längs verlaufende Erschließungswege nochmals in zwei Zeilen geteilt, so dass jedes einzelne Haus von Süden erschlossen werden kann. Das typische Wohnhaus bildet ein Quadrat von rund 17x17 Metern und ist in sich wiederum zweigeteilt. Ein eingeschossiger, rund um einen Innenhof angelegter Südflügel enthält die Nebenräume, während die Wohnräume im zweigeschossigen Nordflügel liegen. Der Wohntrakt ist nach Norden hin fast völlig geschlossen, öffnet sich jedoch nach Süden zum Hof und zur Sonne. J. Walter Graham, einer der Ausgräber von Olynth, hat darauf hingewiesen, dass die Wohnräume auf diese Weise von der Wintersonne durchflutet wurden, während die eingeschossige Eingangsmauer im Süden zugleich den kühlen Luftzug auf Straßenniveau aus dem Hof fernhielt.

Gebäudegrundrisse in der Neustadt von Olynth. Die Wohnzeilen sind fast genau in Ost-Westrichtung orientiert, die Häuser entsprechend nach Norden und Süden ausgerichtet.

Foto: Marcus Bredt

Foto: Marcus Bredt

Photo: Marcus Bredt

Photo: Marcus Bredt

Auch Vitruv schrieb über die Notwendigkeit der Nutzung von Sonnenwärme in Gebäuden, riet aber gleichzeitig zu einer differenzierten Herangehensweise: In den heißen Regionen Nordafrikas sollten Wohnhäuser nach Norden geöffnet sein – weg von der Sonne. Für Italien riet Vitruv dagegen, die Nordseite von Gebäuden konsequent zu schließen und die Wohnräume nach Süden auszurichten. Auch die Strategie, Räume mit unterschiedlicher jahreszeitlicher Nutzung zu unterschiedlichen Himmelsrichtungen auszurichten, geht auf Vitruv zurück. So schrieb er, dass Esszimmer für den Winter Richtung Südwesten, diejenigen für den Sommer jedoch nach Norden ausgerichtet sein sollten.

Rekonstruktion einer Wohnzeile in der Neustadt von Olynth (Griechenland).

Foto: Marcus Ebener

Foto: Marcus Ebener

Photo: Marcus Ebener

Photo: Marcus Ebener

Vitruvs römische Zeitgenossen konstruierten die ersten Wintergärten und Gewächshäuser. Der römische Kaiser Tiberius etwa war bekannt dafür, dass er sich in Pflanzbeeten, die durch dünne Glimmerscheiben vor dem Außenklima geschützt waren, ganzjährig Gurken ziehen ließ. Auch römische Bäder, wenngleich generell mit Holz beheizt, nutzten die Solarenergie, indem ihre wärmsten Räume nach Südwesten ausgerichtet und oft mit großen Glasflächen versehen waren. Ein wesentlicher Grund war die Holzknappheit, die sowohl im klassischen Griechenland wie auch im antiken Italien herrschte. Der Flottenbau, aber auch der Holzverbrauch für die Gebäudebeheizung, hatten ihren Tribut gefordert.

Foto: Maurer

Foto: Maurer

Berühmt geworden ist etwa der „heliocaminus“ (wörtlich etwa „Sonnenofen“) in der Thermen der Hadriansvilla in Tivoli, ein apsidenartiger Raum mit großen Südwestfenstern, der einzig dem Sonnenbad diente. Auch in den öffentlichen Thermen des Diokletian und jenen des Caracalla in Rom lag das Warmbad jeweils in einem apsidenartigen Raum in der Mitte der Südwestfassade. Nicht selten hatten diese „heliocamini“ Sandböden, die die Wärme der Nachmittagssonne bis in die Abendstunden hinein speicherten.

Tivoli (118-134 n. Chr.): Foto und Schnittrekonstruktion.

„Heliocaminus” im Thermengebäude der Hadrianvilla in

Foto: Swiss Krono

Foto: Swiss Krono

Eine weitere technische Grundlage, um Sonnenwärme in Gebäuden halten zu können,war die Entwicklung des Fensterglases während des 1. Jahrhunderts unserer Zeit. Das Material war jedoch alles andere als erschwinglich und daher den Villen der Wohlhabenden und einigen öffentlichen Gebäuden vorbehalten. Der römische Plebs lebte, was die Besonnung seiner Wohn- räume anging, in deutlich schlechteren Verhältnissen als die Griechen. Zwar waren auch römische Städte an einem regelmäßigen Achsraster ausgerichtet, doch diese Praxis folgte eher religiösen denn naturwissenschaftlichen Vorstellungen. Die regelhafte Stadt galt als Sinnbild der kosmischen Ordnung (disciplina). Wie es dem Einzelnen darin erging, war eher zweitrangig.

Thermen des Caracalla in Rom (212-216 n. Chr.)

Foto: Allplan

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Foto: Christoph Morlok / Hans Rinninger u. Sohn

Foto: Christoph Morlok / Hans Rinninger u. Sohn

In Rom lebten während der Kaiserzeit geschätzte 80.000 Einwohner auf einem Quadrat- kilometer. (Zum Vergleich: In Mumbai, einer der derzeit dichtest besiedelten Millionenstädte, sind es rund 27.000 Einwohner je Quadratkilometer). Es versteht sich von selbst, dass solare Prinzipien im Städtebau einer solchen Metropole nicht viel wert waren: Die römischen Mietskasernen folgten wie ihre neuzeitlichen Pendants vor allem dem Profitstreben ihrer Erbauer. Das Atrium der römischen Villa war hier auf einen minimierten Lichthof reduziert, der die Wohnungen mehr schlecht als recht mit Tageslicht versorgte. (Tatsächlich entstanden die ersten dieser „insulae“ auch durch die mehrgeschossige Überbauung von Atriumhäusern). Die Wohnstandards waren dürftig, und nicht selten führte die schlechte Konstruktion der Häuser zu deren Einsturz.

Foto: Allplan

Foto: Allplan

Photo: Allplan

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So lautet – leicht zugespitzt – eine weit verbreitete Mär vom „solaren“, energieeffizienten Bauen. Wie alle Legenden besitzt sie einen wahren Kern, geht jedoch insgesamt an der Realität vorbei. Nicht nur haben sich die Anforderungen an Gebäude, haben sich unsere Stadtstrukturen seit der Antike deutlich gewandelt: Auch die Geschichte der Solarenergienutzung in der Architektur war keine Einbahnstraße in die Vergessenheit, sondern erlebte ihre Höhen und Tiefen, die teils von Region zu Region äußerst unterschiedlich ausfielen. Ebenso wenig sind die heutigen Praktiken solaren Bauens historisch ohne Parallele, im Gegenteil: Für fast jede Technologie lässt sich ein Pendant in der Vergangenheit finden, und die Kriterien, die über Erfolg oder Scheitern einzelner Konzepte entschieden, sind über die Jahrzehnte bemerkenswert gleich geblieben

Schule Schendlingen Foto: Adolf Bereuter

Zentrale Vereinigung der Architekt:innen

Viele Grundsätze solaren Bauens
sind tatsächlich seit der Antike
bekannt:

Die Südausrichtung von Wohnräumen, Verschattungs- einrichtungen, die so bemessen sind, dass sie die Sommersonne ausblenden, die Wintersonne jedoch in die Innenräume lassen, und die klimatisch günstige Zonierung von Grundrissen mit warmen Nutzräumen im Süden
und kühleren Nebenräumen im Norden. Die griechischen Planstädte Olynth und Priene werden mit ihren schachbrett- artigen Grundrissen und streng in West-Ostrichtung ausgerichteten Wohnzeilen oft als erste Beispiele für „solaren“ Städtebau gerühmt.

Wohnhaus in Priene/Griechenland: Rekonstruktionszeichnung von Theodore Wiegand. Die Räume gruppieren sich um einen Innenhof; der Hauptraum des Hauses ist nach Süden ausgerichtet und wird im Sommer durch einen vorgelagerten Portikus verschattet.

Foto: Marcus Bredt

Foto: Marcus Bredt

Die Architekturgeschichte liegt wie ein offenes Buch vor uns, das wir nur lesen müssen, um alles Notwendige für den Bau klimaangepasster, energieeffizienter Gebäude auch in der heutigen Zeit zu lernen. Schon die Griechen kannten den solaren Städtebau, die Römer entwickelten den Wintergarten und die solare Gebäudebeheizung, doch pünktlich mit dem Einsetzen der Industrialisierung gerieten all diese Errungenschaften in Vergessenheit, um heute mühsam wieder entdeckt werden zu müssen.

Foto: Marcus Ebener

Foto: Marcus Ebener

Viele Grundsätze des solaren Bauens sind seit der Antike bekannt. Allerdings hatten nicht alle Bürger zu ihnen Zugang, und auch nicht zu jeder Zeit. Teil 1 unserer Jubiläumsserie beschreibt, wie sich griechische Planstädte und römische Badeanstalten an der Sonne orientierten – und wie diese in den Mietskasernen der Großstadt zum seltenen Gast wurde.

Foto: Bette

Foto: Bette

Photo: Bette

Photo: Bette

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