23.08.2014 Frank Kaltenbach

Vorhang auf für ein neues Stadtquartier: Das Richti Areal in Zürich Wallisellen

So hatte sich Vittorio Magnago Lampugnani das von ihm entworfene neue Stadtquartier in Wallisellen zwischen Flughafen und Zürichsee nicht vorgestellt. Urban sollte es werden und wertig-schwer, mit Naturstein eingehüllt. Die Urbanität hat sich durch den Nutzungsmix aus Wohnungen, Büros und Geschäften schnell etabliert. Doch ausgerechnet die zwei wichtigsten der insgesamt vier Gebäudeblöcke sind in gläserne Vorhangfassaden gehüllt. Die Anmutung von Stein bleibt dennoch spürbar. Architekt Wiel Arets entwickelte eine neue Elementfassade mit innenliegendem Vorhang. Die Ränder der Kastenfenster lies er mit Mies van der Rohes Steinmuster des Barcelonapavillons bedrucken.

Architekt: Wiel Arets Architects, Amsterdam
Ort: Richtiplatz 1, CH–Wallisellen

Foto: Frank Kaltenbach

Im großen städtebaulichen Maßstab bildet das Hochhaus des Richti-Areals gemeinsam mit dem Turm des Glatt-Einkaufszentrums eine Torsituation nach Zürich, sowohl für die aufgeständerte Autobahn von Winterthur wie auch für die aufgeständerte Glattal-Bahn vom Flughafen.

Foto: Frank Kaltenbach

Da die Allianz, der Hauptmieter der beiden Gebäudeblocks, zusammenhängende Nutzungsflächen wünschte, wurden die zwei Baukörper mit vier Brücken über die Einkaufspassage miteinander verbunden. Während sich das Sockelgeschoss des Hochhauses mit dem großzügigen Foyer auf den ersten Blick unnahbar für die Passanten zeigt, öffnet sich die Erdgeschossfassade des Nachbarblocks mit Läden und Gastronomie. Eine Baumreihe und Markisen sorgen hier für eine hohe Aufenthaltsqualität.

Foto: Frank Kaltenbach

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Das Richti-Areal, eine ehemalige Industriefläche mit inzwischen 1200 Bewohnern, 3000 Büroarbeitsplätzen und zahlreichen ­Läden und Restaurants am nördlichen Stadtrand von Zürich, ist vor allem durch die ­direkte Anbindung an den Züricher Hauptbahnhof und den nahen Flughafen mit neu geschaffenen Bus- und Tramlinien attraktiv. Der städtebauliche Entwurf von Vittorio ­Magnago Lampugnani orientiert sich am Ideal der steinernen Stadt des 19. Jahrhunderts mit Blockrandstrukturen. Kulminationspunkt des Areals ist ein Hochhaus, das zur Autobahn als Landmarke dient und zum Quartier hin als »Campanile« dem Platz einen Schwerpunkt verleiht.

Um den Passanten und Bewohnern auf der gegenüberliegenden Straßenseite trotz Glasfassade einen wohnlichen Anblick zu bieten, entwickelte Wiel Arets gemeinsam mit dem Fassadenbauer eine Lösung, bei der Vorhänge zum bestimmenden Gestaltungs­element werden.

Foto: Frank Kaltenbach

Das Ergebnis intensiver Testreihen ist eine Neuinterpretation der »Closed-­Cavity-Fassade«. Dies sind abgeschlossene hochdämmende Kastenfenster-Elemente, deren Zwischenraum von getrockneter Luft durchströmt wird. Im Gegensatz zu Doppelfassaden mit Öffnungen zur Außenluft gelangt kein Schmutz oder Staub in das Kastenelement, auch der Niederschlag von Kondenswasser im Fassadenzwischenraum wird verhindert. So müssen die zum Zwischenraum orientierten Verglasungen nicht gereinigt werden und auch der Reflexionsgrad des innen liegenden Sonnenschutzes bleibt über viele Jahre ohne Wartungsaufwand erhalten. Das Prinzip der Closed-Cavity-Fassade hat sich in der Praxis bewährt und wurde zum Beispiel am Verwaltungsbau der Roche Diagnostics im schweizerischen Rotkreuz eingesetzt (siehe DETAIL 4/2011 S. 404ff). Dort werden die Büroräume über die Fassade natürlich belüftet, als Sonnenschutz dienen Lamellenstores. Hier, beim Allianz-Gebäude in Wallisellen werden erstmals Vorhänge mit einer hochreflektierenden Aluminiumbedampfung als integrierter Sonnen- und Blendschutz eingesetzt.

Im Inneren entfaltet das Vorhangmotiv im zweigeschossigen Foyer des Hochhauses, den Besprechungsräumen und der Cafeteria seine größte Wirkung. Obwohl die Fassade gänzlich verglast ist, hat sie im übertragenen Sinn eine »steinerne Anmutung«: Die Glaselemente mit integriertem Vorhang werden von einem Rand aus unterschiedlich großen schwarzen und weißen Siebdruckpunkten gesäumt. In der Überlagerung ergibt sich das Muster von Onyx-Naturstein, eine Hommage an Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon und ein Zugeständnis an die für das Richti-Areal aufgestellte Gestaltungssatzung. Das aufgedruckte Steinmuster gibt der vorgehängten Glasfassade eine haptische monolithische Qualität und fügt dem Spiel zwischen der plastischen Textur der Vorhänge und den Reflexionen der glatten Glashaut die Dimension der Tiefenschichtung hinzu.

Foto: Frank Kaltenbach

In ausgefahrener Position verleihen die Markisen dem Quartier ein mediterranes Flair. Eingefahren sind sie hinter einer bedruckten flächenbündigen Glasblende verborgen und als Teil der Glasfassade völlig unsichtbar.

Foto: Frank Kaltenbach

Foto: Frank Kaltenbach

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Das Steinmuster auf den Glaspaneelen überzieht auch die Oberflächen der Dachgärten und fasst so den räumlich sehr komplexen Bau zu einer monolithischen Einheit zusammen. Das Zusammenspiel von Steinmuster und Vorhängen lässt auf den Dachterrassen dann tatsächlich Anklänge an die Atmosphäre des Barcelona-Pavillons aufkommen.

Foto: Frank Kaltenbach

Das Hochhaus ist nicht nur im Grundriss und in der Fassadengestaltung ein integrierter Teil des Quartiers. Die Auskragungen und Rücksprünge verleihen dem Turm nicht nur skulptural plastische Qualitäten, sondern verzahnen ihn mit den funktionalen Anforderungen des Umfelds. Wo sonst Gebäudeschluchten entstanden wären, bilden sich Räume. Zu Autobahn und Bushaltestelle entsteht so über dem zweiten Geschoss ein Vordach (Abb. links). Die ansprechende Freiraumgestaltung, die sonnige Lage und nicht zuletzt die Vorhänge des Foyers als »Wandschirm« schaffen eine Atmosphäre, die die Menschen anzieht, um hier ihre Mittagspause zu verbringen (Abb. rechts).

Foto: Frank Kaltenbach

Zum Quartiersplatz hin kragt der Turm über dem 5. Geschoss aus und nimmt so die Traufkante der Blockrandbebauung auf.

Foto: Frank Kaltenbach

Im zweigeschossigen Foyer vermitteln die Vorhänge eine wohnliche Athmosphäre und schaffen für die wartenden Gäste vor dem Empfang einen Filter zur Öffentlichkeit des Stadtraums. Geschwungene Windfänge und die nach oben strebende Treppe sorgen für skulpturale Akzente.

Foto: Frank Kaltenbach

Beim Blick aus dem Hochhaus wird die exponierte städtebauliche Lage inmitten eines Verkehrsknotenpunkts deutlich. Bei schönem Wetter sieht man im Norden die startenden und landenden Flugzeuge, im Süden ist im Hintergrund die meist schneebedeckte Silhouette der Alpen sichtbar.

Foto: Frank Kaltenbach

Bei geöffneten Vorhängen wirkt die Fassade von innen trotz der Elementdicke von 300 mm wie eine dünne Membran. Sobald die Sonne auf die Fassade trifft, schließen sich die transluzenten Vorhänge und die Außenansicht wandelt ihr Erscheinungsbild. Zur sinnlichen Atmosphäre der Innenräume trägt neben der Fassade die texturierte, abgehängte Metalldecke mit ihren floralen reliefartigen Noppenmustern wesentlich bei. Neben der Regulierung der Raumakustik ist sie mit ihren aufgeklipsten Kupferrohren als Strahlungskühldecke ein integraler Bestandteil der Hybridkühldecke. Die Zuluft wird in den Kanälen temperiert und aktiviert die Stahlbetondecke.

Foto: Frank Kaltenbach

Ist das Konzept des Richti-Areals aufgegangen?
Der Städtebau Lampugnanis ist nicht unumstritten. Wurde hier eine Chance vergeben, mit neuen Typologien der Dynamik unserer Gesellschaft einen neuen Ausdruck zu verleihen? Und welchen Einfluss hat die Architektur von Wiel Arets auf das Areal?

Nähert man sich auf der Autobahn von München oder Bregenz der Peripherie von Zürich an, fällt das Hochhaus von weitem nicht auf. Bei trübem Licht wirken auch die stark eingefärbten Sonnenschutzverglasungen etwas trübe. Aus der Nähe jedoch, wenn die Sonne scheint, verleiht der Kontrast der gewellten Vorhänge mit der glatten Glasfassade dem Gebäude eine irritierende Qualität, die das ansonsten gutbürgerlich gediegene Areal dringend nötig hat.

Wiel Arets ist es gelungen, ein Quartier im Quartier zu schaffen, das unverwechselbar ist und dennoch kein Solitär. Mit dem Steinmuster hat er allerdings nicht erreicht die Gebäudehülle in den Gesamtkonsenz der »steinernen Stadt« einzubinden. Die Muster polarisieren Mitarbeiter in den Büros und Anwohner, bilden Gesprächsstoff zur Auseinandersetzung.

Und die Vorhangfassade?
Beim ersten Sonnenschein schließen sich sämtliche Vorhänge und verschleiern so den Ausblick auf die Alpen. Die reizvollen Spiegelungen schneeweißer Wolkenfetzen vor blauem Himmel, die während der Fassadenmontage bei offenen Vorhängen so poetische Effekte erzeugt haben, wird die fertige computergesteuerte Gebäudehülle nicht mehr erzeugen. Als Blendschutz und Sonnenschutz mit hohem Verschattungsfaktor gibt es in diesem Preissegment der Oberklasse effizientere Systeme, wie die ersten Monate der Nutzung zeigen. Architektonisch jedoch ist die mit Steinmuster bedruckte Glashaut dennoch ein poetischer Beitrag zum Thema »Vorhangfassade« und der Versuch, die Wohnlichkeit des Barcelona-Pavillons mit der strukturellen Klarheit der Lakeshore-Drive-Appartments und der städtebaulichen Einbindung des Seagram-Buildings zu verschmelzen. Was wohl Mies dazu sagen würde?

Foto: Frank Kaltenbach

weitere Informationen:
www.wielaretsarchitects.com

Projektbeteiligte:
Bauherr: Allreal Generalunternhmung AG, Allianz Suisse
Mitarbeiter: Wiel Arets, Felix Thies, Maik Ilmer
Tragwerksplaner:
Jäger Partner Bauingenieure AG
Heizung, Klima, Lüftung, Sanitär: Ahochn AG
Fassadenplanung: gkp fassadentechnik ag
Closed-Cavity-Fassade: Josef Gartner GmbH
Hybrid-Metalldecke: Lindner AG


Eine ausführliche Print-Dokumentation finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe
DETAIL 2014/7+8 zum Thema »Fassaden«
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