04.05.2010 Frank Kaltenbach

Wendepunkte im Bauen - Ausstellungsbesuch

Zweifach gekrümmte Gitterschalen, Gebäude so leicht wie ein Flugzeug, vorfabrizierte Konstruktionen aus Holz, Stahl und Stahlbeton – alles neueste Erfindungen mithilfe des Computers? Mitnichten! Die sehenswerte und überraschende Ausstellung »Wendepunkt(e) im Bauen – Von der seriellen zur digitalen Architektur« zeigt anhand minutiös gefertigter Modelle den Werdegang der seriellen Architektur von den Anfängen der Moderne im vorletzten Jahrhundert bis heute. Was der Computer heute zu leisten vermag, zeigt der zweite Raum.

Bis 13.06.2010 im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne: Wendepunkt(e) im Bauen – Von der seriellen zur digitalen Architektur

Der Titel Wendepunkt(e) im Bauen bezeichnet zwei wesentliche Paradigmenwechsel in der Architektur. Der erste Raum widmet sich der Entwicklung vom Handwerk hin zum seriellen industrialisierten Bauen, im zweiten Raum werden Konzepte und Projekte zum zweiten Wendepunkt präsentiert: dem digitalen Planen und Produzieren.

Aber haben sich diese Paradigmenwechsel wirklich schlagartig zu einem klar abgrenzbaren Zeitpunkt ereignet oder handelt es sich nicht vielmehr um kontinuierliche Prozesse? Die serielle Produktion ist keine Erfindung der Moderne. Genormte Ziegel für eine ganze Stadt wurden bereits vor 4500 Jahren in Mohendscho Daro in Serie produziert und die Erbauung der riesigen »Verbotenen Stadt« in Peking zu Beginn des 15. Jahrhunderts in nur wenigen Jahren war eine Meisterleistung an Logistik und Vorfabrikation. Wenn wir im Zusammenhang mit der Moderne von einem Wendepunkt – weg von der handwerklichen hin zu einer industriellen Kultur – sprechen, meinen wir nicht nur einen Wandel der Produktionstechniken, sondern den daraus resultierenden Wandel der architektonischen Gestalt.

Auftakt der Ausstellung ist eine Originalausgabe von Konrad Wachsmanns wegweisender Schrift »Wendepunkt im Bauen« von 1959. Wachsmann, der aufgrund seiner jüdischen Abstammung 1941 in die USA emigrierte und einige Jahre gemeinsam mit Walter Gropius gearbeitet hat, fordert in seiner Veröffentlichung die Übertragung der – in anderen Industriezweigen inzwischen üblichen – seriellen Produktionsmethoden auf die Architektur und das Bauwesen. Angelehnt an den Prozess der Fließbandproduktion sind die Modelle »am laufenden Band« aufgereiht. Die Bewegung erfolgt jedoch durch den Besucher beim Abschreiten der chronologisch und nach Themen geordneten Projekte.

Balloon Frame-System Nordamerika ab 1832, Glaspalast München 1854

Als frühe Vertreter der seriellen, reversiblen Bauweise nennt Wachsmann im Vorspann seines Buches den Glaspalast in London von Joseph Paxton aus dem Jahre 1851. Bereits drei Jahre später hat in München August von Voit den Münchner Glaspalast errichtet, ebenfalls komplett vorgefertigt in Einzelteilen angeliefert und in kürzester Zeit montiert (Abb.rechts). In der amerikanischen Architektur hat die Serienproduktion von Wandelementen in der Holzbauweise weite Verbreitung gefunden: Billige Baumaterialien und standardisierte Maße erlauben den explosionsartigen Ausbau des Wohnungsbaus von der Pionierzeit bis heute (Abb. links). Die Erfindung des so genannten Ballon Frame Sytems wird George N. Snow zugeschrieben. Diese Holzrahmen aus schmalen Pfeilern werden mit einer Diagonalschalung als Beplankung ausgesteift.

Tetrahedral-Tower 1907

Ein wegweisender Fortschritt auf dem Weg zu effizienten Konstruktionen im Stahlbau war das Prinzip anstelle rechteckiger Geometrien, Tetraeder als Grundmodul zu verwenden. Als Erfinder gilt das Allround-Genie Alexander Graham Bell, der durch die Erfindung des Telefons bekannt wurde und Drachen gebaut hat, die groß genug waren, um Menschen in die Lüfte zu heben.

Gewölbe in Stahl: Blechwalzwerk in Vyksa, Russland 1898

Ein weiteres Ingenieur-Genie war Vladimir Grgorevic Suchov, dessen Genialität durchaus mit Gustav Eiffel verglichen werden kann. Auf dem Prinzip der hyperbolischen Paraboloide entwarf er 1919 Türme von bis zu 350 m Höhe. Die Leichtigkeit seiner Konstruktionen wird selbst heute noch selten erreicht, in Moskau steht sein Fernsehturm mit einer Höhe von 160 m. Seine Zeltkonstruktionen mit abgehängten Gitternetzen aus Stahl können als Vorläufer des Olympiadachs in München oder das neue Centre Pompidou Metz gesehen werden. In Vyksa realisierte Suchov bereits im 19.Jahrhundert die ersten zweifach gekrümmten Gitterschalen auf dem Grundriss rechteckiger Hallen. Die meisten seiner noch erhaltenen Konstruktionen sind massiv von Korrission und Zerstörung gefährdet, aktuelle Rettungsaktionen versuchen dieses Erbe zu erhalten.

In DETAIL 11/2010 wird dazu ein ausführlicher Bericht der Suchov-Spezialisten Prof. Rainer Graefe, Prof. Manfred Schuller und Prof. Rainer Barthel (beide TU München) erscheinen.

Gewölbe in Holz: Zollingerbauweise ab 1904

Wie kann man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit Holz große Spannweiten überbrücken, ohne große Stämme zur Verfügung zu haben? Friedrich Zollinger entwickelte bereits bestehende Tragwerkskonstruktionen aus kurzen Hölzern zu Gewölben weiter, die seinen Namen tragen. Die Holzstücke sind auf der Basis einer Rautengeometrie miteinander verschraubt. Das Beispiel zeigt eine Werfthalle in Neubiberg aus dem Jahre 1934.

Gewölbe in Stahlbeton: Palazzetto dello Sport, Rom 1957

Betonkuppeln haben in Rom Tradition. Hadrians Pantheon aus dem Jahre 118 n. Chr. war mit 43 m Durchmesser 1700 Jahre lang der größte Kuppelbau der Welt und besitzt noch heute die größte Spannweite aus unbewehrtem Beton. Der Palazetto dello Sport aus dem Jahre 1957 hat einen Durchmesser von 58,50 m und schafft Platz für 5000 Zuschauer. Seine Bedeutung liegt in der harmonischen Vollendung von Kraftfluss und sichtbarer Struktur, die seither nur selten in dieser Perfektion erreicht wurde. Nervi gehört zu den wenigen Architekten-Ingenieuren, die außer der Planung und Berechnung mit ihrer eigenen Baufirma auch für die Herstellung verantwortlich waren.

Dymaxion House 1929 (links), Geodesic Dome 1953 (rechts)

Der wichtigste Ingenieur des 20. Jahrhunderts in Nordamerika war unbestritten Richard Buckminster Fuller. Für Fuller war Leichtbau und Dymnamik die richtige Antwort auf die Fragen der Moderne. Seine Häuser glichen eher Schiffen, Flugzeugen oder Maschinen. Die Serienproduktion sollte aus dem Flugzeug- oder Automobilbau übernommen werden. Mit Häusern, die sich mit der Sonne drehen, war er seiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Fuller beschäftigte sich intensiv mit Geometrie und der Erforschung von Polyedern. Auf Basis von Polyederstrukturen errichtete er mehrere Geodäsische Kuppeln. Das Video zeigt unter anderem die berühmte Kuppel der EXPO in Montreal, in die die Apollo Kapsel an Fallschirmen hängend gezeigt wurde. Nur in einem hat er sich geirrt: Die Tetraederstrukturen, die er patentieren lies, hatte vor ihm bereits Alexander Graham Bell für das Bauen entdeckt und eingesetzt (siehe oben).

Frankreich: »Portiques axiaux« ab 1949

Wie Pier Luigi Nervi in Italien, führte Jean Prouvé in Frankreich neben seinem Ingenieurbüro eine Fabrik zur Realisierung seiner Ideen. Er kam vom Metallbau und entwickelte Elemente, die auf dem Prinzip des gekanteten Blechs sehr leicht und dennoch äußerst stabil waren. Alle Teile seines Hauses sind nicht länger als 4 m, was der Maximallänge seiner Biegepresse entspricht.

Verbindungsknoten: Wachsmannknoten, General-Panel-System 1941, Mero System ab 1937

Der Ausgangspunkt jeden Bausystems ist der Verbindungsknoten. Konrad Wachsmann beschäftigte sich zunächst überwiegend mit Holz. Aus diesem MAterial schuf er 1929 das berühmte Sommerhaus für Albert Einstein in Caputh. 1930 erschien sein Buch »Holzhausbau«. Seine zunehmende Auseinandersetzung mit dem Systembau führte zu mehreren Verbindungsknoten, die wie ein chinesisches 3D-Puzzle ineinander gesteckt sind (Abb. links).
1941 emigrierte Wachsmann aufgrund seiner jüdischen Abstammung in die USA, wo er gemeinsam mit Walter Gropius unter anderem Holz-Systemhäuser entwickelte mit Metallklammern innerhalb der Knoten (General-Panel-System ab 1941, Abb. mitte). Erst der Stahlbau aber führte den Systemknoten zum weltweiten Erfolg. Nach seinem Erfinder Max Meringhausen wurde der MERO-Knoten (ab 1937) benannt, der zum Inbegriff der Standardkonstruktion von Raumfachwerken geworden ist (Abb.rechts).

Geschosswohnungsbau: Metastadt-Bausystem ca. 1960 -1975

Der Systemgedanke breitete sich auf den Geschosswohnungsbau aus. Eines der ambitioniertesten Projekte ist das Metastadt-Bausystem, an dem der Architekt Richard J. Dietrich ein Jahrzehnt gearbeitet hat.

Wohnungsbau:
Betonskelett Genter Straße 1972 (links) Stahlbausystem MIDI, Installationssystem ARMILLA 1982

Wandelbare Räume und größtmögliche Flexibilität statt festgefügte deterministische Grundrisse, das waren in den 1970er und 1980er Jahren die Ideale einer ganzen Architektengeneration. Im Bürobau, im Schulbau aber auch im Wohnungsbau. Otto Steidle entwickelte mit seinen Mitarbeitern ein Stahlbetonskelett, das beliebig mit Räumen, Terrassen, Höfen aufgefüllt werden konnte. Äshetisch bezeichnend sind die sichtbaren Konsolen, die das unfertige Wandelbare geradezu plakativ zum Ausdruck bringen (Abb. links). Fritz Haller perfektionierte die Idee des Gebäudes als Gesamtsystem aus einem Tragwerkssystem und einem Haustechnik-System. Was uns heute, besonders bei technischen ökologisch optimierten Gebäuden selbstverständlich scheint – die integrale Planung verschiedener Disziplinen – galt Anfang der 1980er Jahre für den Wohnungsbau eher als futuristisch.

Cartel del eventoLa Fundación Arquitectura COAM y Matadero de Madrid organizan Ménage à trois.

Konrad Wachsmann: United States Airforce Hangar 1953 (Projekt)

Das riesige Modell eines Raumfachwerks, geheimnisvoll illuminiert von unten mit seinem Erfinder, der lässig mit überkreuzten Knien auf dem Sockel sitzt. So kennt man Konrad Wachsmann von immer dem selben charismatischen Foto aus unzähligen Publikationen. Wie der Hangar dreidimensional tatsächlich ausgesehen hat wissen die wenigsten. Deshalb kann man das Modell, das in verkleinertem Maßstab eigens von Studenten der TU München gebaut wurde, als eines der Highlights der Ausstellung bezeichnen. Endlich einmal sieht man das Hangar Projekt von allen Seiten. Auf dem Bildschirm werden Skizzen und Originalfotos als »Diashow« durchgescrollt. Nicht zu unrecht erhielt der Hangar den prominenten Platz in der Mitte des ersten Raumes: Als Point de Vue und Auftakt, für diejenigen, die durch den Seiteneingang die Austellung betreten.

IBM-Ausstellungspavillon 1984

Das serielle Bauen ist besonders für transportable Bausysteme geeignet. Dieser Ausstellungspavillon von Renzo Piano Building Workshop besteht aus einem hybriden Tragwerk: Die Knoten sind aus Stahl, die Gurtbögen aus Holz und die Hülle besteht aus zeltartigen transluzenten Kunststoffelementen. Das transportable Gebäude kann nach Belieben verlängert oder aufgeteilt werden.

Foto: Pieter Kers

Bausystem T.E.S.T. 1978 (Projekt), Wohnsiedlung Triemli 2011

Ist bei der Serienproduktion im Wohnungsbau Monotonie bereits vorprogrammiert? Die Plattenbausiedlungen des Massenwohnungsbaus sind wohl die abschreckende Sackgasse der Seriellen Bauproduktion. Vorgefertigte Raumzellen wurden nach dem Hype der 1970er Jahre als »Hasenställe« oder »Betonburgen« abgelehnt. Vorfertigung im großen Maßstab hat sich im Wohnungsbau nicht durchgesetzt. Dennoch gab und gibt es immer wieder Projekte, die sich der Vorteile der seriellen Produktion bedienen, oft aus wirtschaftlichen Gründen. Dass dennoch eine okologisch sinnvolle verdichtete Architektur mit menschlichem Maßstab entstehen kann, zeigen die Beispiele Bausystem T-E.S.T. von Helmut Schulitz und die Wohnsiedlung Triemlin in Zürich aus Stahlbeton-Sandwichpaneelen.

Parametrisch generierter und produzierter Holz-Baldachin, München 2010

Der zweite Raum widmet sich dem zweiten Wendepunkt. Parallel zur »seriellen Revolution« seit den 1950er Jahren hat sich seit den 1970er Jahren schleichend die »digitale Revolution« vollzogen. Voll zum Tragen kommt dieser Paradigmenwechsel in der Architektur jedoch erst seit wenigen Jahren.
Die gesamte Ausstellung wird überspannt von einem »Modell« im Maßstab 1:1. Die Konstruktion aus Sperrholzplatten wurde von Stefan Kaufmann, Gerhard Schubert und Studenten der TU München in nur wenigen Wochen entwickelt und produziert. In der Ausstellung zeigt ein Video die Entstehungsgeschichte bis zur Produktion und Aufbau der einzelnen Elemente. Das Video haben Stefan Kaufmann und Gerhard Schubert freundlichweise für die Website von Detail zur Verfügung gestellt. Eine Besonderheit ist – wie oben bereits besprochen – der Verbindungsknoten: Die Teile werden zusammengesteckt und mit einem in die Holzplatten eingelassenen Zugband fixiert. Von außen ist von alledem nichts zu sehen.

Baurobotik: Helixturm HT 1, 1995 Location Orientation Manipulator LOM 1969

Trotz aller Zielvorstellungen einer digitalen Fertigung: Die Endmontage vor Ort wird bei uns meist noch von Menschen bewerkstelligt. Anders in Japan. Ein Video zeigt wie dort gigantische Bauroboter ganze Hochhäuser zusammensetzen. Grundlagenforschungen zur Baurobotik betrieben u.a. Konrad Wachsmann mit einem Roboterarm, der sieben Freiheitsgrade erreicht (Abb. rechts). Der Computerpionier Konrad Zuse, der die ersten digitalen Rechner entwickelt hatte stellte Überlegungen zu einem Hochhaus an, das sich je nach Bedarf selbst auf und abbaut (Abb. links).

Raumzelle: micro compact home 2005, System3 2008

Mit dem Mini-Studentenhaus micro compact home wird – wie der Name sagt – die Grenze der Kompaktheit ausgelotet. Horden Cherry Lee Architects und Haak + Höpfner Architekten haben nach intensiven Studien und mit der Unterstützung zahlreicher Studenten das 02 village realisiert: Ein Mini-Studentendorf in München mit High-Tech Raumzellen aus Aluminium von 2,60 m Kantenlänge, in denen wie in einem Raumwunder sämtliche Funktionen wie Duschen, Kochen, Schlafen, Essen, Feste Feiern und studieren möglich sind. Der Wohnmodul Prototyp System3 von Oskar Leo kaufmann und Albert Rüf basiert dagegen auf dem natürlichen Baustoff Holz: Das Erscheinungsbild der stapelbaren Container aus 10 cm dickem Brettsperrholz kann – basierend auf einem vorgegebenen Grundsystem – mit CNC-Fräsen je nach Nutzerwunsch individuell ausformuliert werden. »Mass-Customization« heißt das nicht nur in Vorarlberg.

Foto: Remo Zehnder

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