04.06.2012 Peter Popp

Wettkampf – Architektur

Große Wettkämpfe brauchen eine signifikante Spielstätte, die die Massen anzieht, weil sie in der Lage ist, die Verheißung des sportlichen Spektakels in einer baulich schlüssigen Form zu transportieren. Die besten Startplätze werden dabei laut Volkwin Marg von gmp Architekten frühzeitig vergeben: "Wir Architekten und Ingenieure eilen diesen Wettkämpfen voraus, indem wir uns bereits mehrere Jahre zuvor der internationalen Konkurrenz in Architekturwettbewerben stellen. Wo wir gewinnen, haben wir die Chance, ein Stadion neu zu bauen oder ein bereits vorhandenes nach neuesten Bedürfnissen umzubauen. An diesem Spitzensport in der internationalen Liga der Planer nehmen wir seit einem Jahrzehnt mit einer enthusiastischen Mannschaft teil, die unser eingespieltes Team aus gmp Architekten und schlaich bergermann und partner Ingenieuren aufstellt." Für die anstehende Fußball-Europameisterschaft durfte das Team die Architektur für das Eröffnungsspiel in Warschau und das Finale in Kiew inszenieren. Beide Stadien sind Umbauten mit unübersehbar verschiedener Ausprägung.
Von Peter Popp Jedes große Sportevent produziert neue Bilder, neue Stars und seit jeher auch neue Architektur. Für die olympischen Spiele galt schon immer, was sich in der jüngeren Vergangenheit auch bei großen Fußballturnieren wie der aktuell anstehenden Fußball-EM längst durchgesetzt hat: Eventtaugliche Sportstätten müssen starke Akzente setzen, ein hohes Identifikationspotential bergen und mit einer Gebäudehülle aufwarten, die sich bestenfalls zum Wahrzeichen entwickelt. Die aktuell gelungensten Beispiele stellen wir in unserer neuen Serie »Wettkampf – Architektur« vor.

Olympiastadion Kiew, Foto: Christian Schittich

Am Eröffnungstag (Freitag, 8. Juni 2012) starten wir unsere Serie mit einem Beitrag über das Nationalstadion in Warschau. Das "Narodowy" bekennt sich zum historischen Standort am Ufer der Weichsel, tastet die bestehenden Tribünenwälle jedoch nicht an. Diese waren in den 50er Jahren aufgeschüttet worden aus dem Bauschutt des im Krieg zerstörten Warschau. Das neue Stadion respektiert diese Vergangenheit und ruht wie eine Krone über dem Geschehen. Eine transparent umlaufende Sockelzone betont die zeitliche Distanz. Formal präsentiert sich die Fassade darüber wie ein landestypisch geflochtener Weidenkorb aus vielfach gefaltetem Streckmetall. Die Gestaltung der transluzenten und nachts beleuchteten Fassade in den Farben Rot und Weiß folgt dem Motiv der Nationalfarben Polens. Besonderer Clou: das Spielfeld kann mit einer transluzenten Haut komplett überdacht werden. Die dazu nötige Dachkonstruktion aus Tragseilen und Membranbespannung steht für eine Ingenieurskunst ohne Effekthascherei.

Nationalstadion in Warschau, Foto: Heide Wessely

Das Olympiastadion in Kiew hat eine lange Geschichte, die mit der Erbauung unter dem Namen "Rotes Stadion Leo Trotzki" im Jahre 1923 begann. Die Vergabe des Endspiels der Fußball-EM an die Stadt Kiew machte umfangreiche Modernisierungs- und Umbaumaßnahmen notwendig. Dabei sollte die elegant schwebende Tribünenschale aus Sowjetzeiten als Baudenkmal unangetastet bleiben. gmp Architekten konnten auch diesen Auftrag für sich gewinnen und in Arbeitsgemeinschaft mit den Tragwerksplanern schlaich bergermann und partner und dem Planungsbüro Serjogin realisieren. Die anspruchsvolle Dachkonstruktion besteht aus einem Seilnetztragwerk mit Membranbespannung aus transluzentem, PTFE-beschichtetem Glasfasergewebe. Als Besonderheit sind die Hochpunkte der Bespannung als transparente Lichtkupppeln ausgeführt. Dadurch wirkt das Membrandach in der Untersicht als Himmel voller Sterne. DETAIL spricht mit Volkwin Marg (gmp architekten) und Knut Göppert (schlaich bergermann und partner) über das Verhältnis von Architekt und Ingenieur, über die strukturelle Logik von Tragwerken und über die Möglichkeiten der Choreographie von kommerzialisierten Massenevents.

Olympiastadion Kiew, Foto: Marcus Bredt

In London laufen die letzten Vorbereitungen auf Hochtouren. Bereits zum dritten Mal nach 1908 und 1948 finden die Olympischen Spiele in der heute wohl heterogensten Metropole Europas statt. Einen möglichen Streik der Bauunternehmen wegen unbezahlter Rechnungen kurz vor Eröffnung des Events kann man sich hier eher weniger vorstellen. Die Hoffnung auf eine Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Impulse war und ist jedoch auch in London ein entscheidender Faktor. Das Olympiagelände rekultiviert ein Areal, das noch vor kurzem als eines der meist verschmutzte Industriebrachen im Land galt. Ob sich das Stimulationserlebnis von Barcelona 1992 in London wiederholen lässt, wird sich erst zeigen nachdem der Sportzirkus seine Zelte abgebrochen hat. Im Zentrum der Spiele steht das Olympic Stadium mit 80.000 Zuschauerplätzen. Hier werden die Eröffnungsfeier, die Schlusszeremonie, sowie über 200 Wettkämpfe stattfinden. Nach den Spielen soll das Stadion auf 25.000 Plätze rückgebaut werden. Aus den Planungen von Populous Architects resultierte ein Stadion mit minimiertem Materialaufwand und einem stark reduzierten Anteil an Grauer Energie. Da der Londoner Fußballclub West Ham das Stadion nach den Spielen übernehmen möchte, wird sich zeigen ob die ausgefeilte, auf Flexibilität optimierte Bauweise tatsächlich genutzt werden wird.

Olympic Stadium London, Foto: LOCOG

Aufmerksamen DETAIL-Lesern dürfte das auf dem ehemaligen Eastway Radweg errichtete Velodrom von Hopkins Architects bereits bekannt sein. Es gehört zu den elegantesten neuen Sporthallen und braucht sich auch mit seinen Öko-Kennwerten nicht zu verstecken. Im Unterschied zu verschiedenen anderen Wettkampfstätten ist das velodrom mit seinen 6000 Sitzen als dauerfahftes Gebäude konzipiert. Während der Planung wurden der Ressourcenverbrauch und die für den Betrieb benötigte Energie mehrfach optimiert. Parallel zu den Dachbahnen gesetzte Oberlichter, eine weitgehend natürliche Belichtung und die Nutzung von Regenwasser sind beispielhaft für den hohen ökologischen Anspruch. Als fein geschwungene, holzverkleidete Schale beherrscht das Radstadion die nördliche Hälfte des Olympiageländes in London. Die doppelt gegensinnig gekrümmte Dachfläche wird von einer Seilnetzkonstruktion gebildet, die ihre Zugkräfte auf intelligente Weise in einen dem Dachrand folgenden Stahlfachwerkträger leitet. Damit gelingt den Architekten sogar die Analogie zum Fahhrad mit dem vertrauten Aufbau aus Speichen und Felge.

Velodrom, Foto: Richard Davies

Weitere aktuell realisierte Sportbauten werden wir in unserer Serie »Wettkampf – Architektur« in den kommenden Wochen und Monaten in loser Folge präsentieren. Dazu gehören unter anderem die PGE Arena in Danzig, entworfen vom Büro RKW Architekten Rhode Kellermann Wawrowsky, das Aquatics Centre von Zaha Hadid, die Basketball Arena von Wilkinson Eyre Architects, sowie der Austragungsort der Schießsportwettkämpfe, die Royal Artillery Barracks von magma architecture. Wir wünschen spannende Wettkämpfe!

Royal Artillery Barracks, Foto: Matt Dunham/Associated Press

»Wettkampf – Architektur« – die Serie im Überblick: London 2012 – Infrastrukturgebäude
London 2012 – Aquatics Centre
London 2012 – Olympiastadion
London 2012 – Velodrom
London 2012 – Basketball Arena
London 2012 – Olympische Schießsportstätten
Stadia – Sport and Vision in Architecture (Ausstellung)
Olympiastadion in Kiew – im Gespräch mit Volkwin Marg
Effizienz als Leitmotiv – im Gespräch mit Knut Göppert
Neue Stadiondächer aus Membranwerkstoffen
PGE Arena in Danzig
Nationalarena in Bukarest
Nationalstadion in Warschau
Choreographie der Massen (Ausstellung)

Wettkampf – Architektur
London 2012 - Wie nachhaltig wird Olympia? 
London 2012 - Die Ökobilanz der Spiele
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