27.06.2013

Wie nachhaltig darfs denn sein? DGNB-Jahreskongress "Impuls" in Stuttgart

Der „Impuls“-Kongress soll fortan zweijährig – und im jährlichen Wechsel mit dem bereits etablierten „Consense“-Kongress der DGNB – in Stuttgart stattfinden. Seine Premiere Ende Juni machte bereits die Unterschiede zwischen den beiden Veranstaltungsformen deutlich: „Impuls“ ist konzentrierter (nur eintägig, keine Begleitmesse), familiärer (mehr Kleingruppenworkshops) und zugleich thematisch offener als die „Consense“.

Passenderweise lautete das Motto der Premierenveranstaltung „Aufbruch der Ideen“. Anstelle von Werkstattberichten über zertifizierte Gebäude standen eher grundsätzliche Themen auf dem Programm und solche, die möglicherweise in fünf oder zehn Jahren das Bauwesen bestimmen werden, aber bislang noch nicht in der breiten Praxis „angekommen“ sind. Hierzu zählte zum Beispiel die Frage, ob Gebäudezertifizierungen Innovation voranbringen oder doch eher hemmen, wie zum Beispiel Thomas Auer von den Energieplanern Transsolar aus Stuttgart behauptet. Auch über das recyclinggerechte Bauen und Konstruieren wurde beim „Impuls“ intensiv diskutiert – bis hin zu der Frage, ob Gebäuden künftig überhaupt noch eine Baugenehmigung erteilt werden sollte, ohne dass ihre Planer gleich ein Rückbaukonzept mitliefern.

Doch natürlich gab es auch Neues zu erfahren zur Weiterentwicklung und strategischen Ausrichtung des DGNB-Systems. Ein Schlüsselwort lautet derzeit „Verschlankung“: Die DGNB überarbeitet zahlreiche Nutzungsprofile, um die Zertifizierung künftig anwendungsnäher, einfacher und kostengünstiger zu machen und insbesondere den Dokumentationsaufwand zu reduzieren. Allein bei der Überarbeitung des Profils für bestehende Bürogebäude habe man die Zahl der Kriterien fast um die Hälfte reduziert, berichtete DGNB-Geschäftsführerin Christine Lemaitre.

vlnr: Hannes Jaenicke (Schauspieler), Michael Dax (DGNB-International), Marcus Herget (DGNB-Marketing)
Foto: Jakob Schoof

Konkurrenz zwingt zum Wandel
Damit begegnet die DGNB einer häufig geäußerten Kritik, dass ihr System gerade für kleinere Gebäude zu komplex sei und der Dokumentationsaufwand weit höher, als sie selbst gern zugibt. Wahrscheinlich ist die Überarbeitung aber auch eine Reaktion auf den zunehmenden internationalen Wettbewerb: Derzeit drängt das britische BREEAM-System auf den deutschen Markt, das amerikanische LEED ist dort längst angekommen. All dies betrachtet man bei der DGNB mit Sorge – auch wenn das eigene System hierzulande nach DGNB-Angaben einen Marktanteil von über 75% hat.

Die ausländischen Systeme gelten als einfacher und für Bauherren kostengünstiger. Dass sie oftmals geringere Anforderungen stellen als die DGNB, dürfte jene Investoren wenig scheren, die aus Vermarktungsgründen vor allem auf eine Plakette an ihrem Haus aus sind und die zusätzlichen Vorteile einer DGNB-Zertifizierung – etwa bei der Qualitätssicherung – als zweitrangig erachten.

Die allmähliche Angleichung der Zertifizierungsstandards müsse jedoch nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner stattfinden, wie DGNB-Präsidiumsmitglied Martin Haas berichtete: In den USA etwa werde das DGNB-System genauso mit Sorge betrachtet wie LEED hierzulande. Der US Green Building Council als Trägerorganisation von LEED hat auf den hohen Standard des deutschen Systems bereits reagiert und zum Beispiel eine Lebenszyklusanalyse in den Anforderungskatalog von LEED eingeführt.
Zielrichtung Endverbraucher
Künftig will die DGNB laut Martin Haas sich selbst und ihr System stärker auch dem Endverbraucher öffnen. Erstmals wurde in diesem Jahr eine DGNB-Nutzungsvariante für kleine Wohngebäude vorgestellt , und erstmals wird die DGNB nun auch beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis vertreten sein. Wenn dieser am 22. November 2013 in Düsseldorf verliehen wird, werden dort erstmals auch die nachhaltigsten Gebäude in Deutschland geehrt. Um den Preis bewerben konnten sich Architekten, Planer und Bauherren, indem sie ihre Projekte bei der DGNB einreichten. Die Einreichungsfrist ist inzwischen abgelaufen; die erreichte Zahl von 40 Einreichungen hält Martin Haas für zufriedenstellend, aber ausbaufähig. Die Potenziale des Preises sieht er vor allem in dessen breiter Öffentlichkeitswirkung. Die Preisverleihungen sind regelmäßig ein Stelldichein der Polit-, Medien- und Wirtschaftsprominenz, und die Unternehmen, die den Preis bislang erhielten, erfreuen sich großer Medienresonanz.

Foto: Jakob Schoof

Über den Tellerrand hinaus
Nachhaltiges Bauen nicht nur als technisches Problem, sondern als Teil nachhaltiger Lebensstile zu vermitteln, war auch das Ziel des diesjährigen „Impuls“-Kongresses. Das schließt auch Diskussionen über Suffizienz (deutsch: Genügsamkeit) mit ein, wie DGNB-Präsident Manfred Hegger betonte. Angemessenheit – immerhin ein Lieblingswort wohl jeder Architektenjury – gelte es zu fördern als Alternative zu Verzichtspredigten auf der einen und Wachstumsversessenheit auf der anderen Seite.

Zugleich bekennt sich die DGNB zum Ziel der „starken Nachhaltigkeit“, wie es der Philosoph Konrad Ott formuliert hat – wohl wissend, dass dies im Bauwesen wohl ein unerreichbares Langfristziel sein wird. Denn starke Nachhaltigkeit bedeutet, in jedem der drei Nachhaltigkeitsbereiche – Ökologie, Ökonomie und Soziales – nicht mehr zu verbrauchen, als in der gleichen Zeit nachwächst. Schuldenmacherei auf Kosten der Umwelt oder kommender Generationen ist dabei ebenso verboten wie die Ausrede, ein Gebäude schädige zwar die Umwelt, böte aber im Gegenzug umso größere ökonomische und soziale Vorteile.

Es bleibt zu befürchten, dass die Baubranche solche Bekenntnisse schnell als Sonntagsreden abhaken wird. Bevor sie jedoch wieder zur Tagesordnung übergeht, wurden ihr beim „Impuls“ immerhin interessante Ausblicke in Nischen und Zukunftsthemen geboten. Diese führten mitunter geradewegs zurück zu den forstwirtschaftlichen Ursprüngen der Nachhaltigkeit: Der Stuttgarter Architekt Ferdinand Ludwig etwa referierte über Gebäude, die er aus lebenden Bäumen „wachsen“ lässt. Bislang hat sein Büro mit dieser Methode Stege, Türme und Ausstellungspavillons errichtet. Dabei behalfen sich sich die Architekten temporärer Metallgerüste, die wieder entfernt werden sollen, sobald die Bäume allein tragfähig genug sind. Doch Ludwig strebt auch „richtige“ Gebäude – vom Wohnhaus bis zum Museum - an, die durch eine Fassadenbegrünung aus Platanen und anderen Gehölzen einen Mehrwert für Bewohner und Stadtklima böten.

Ein Zuhörer im Kongressplenum stellte seinem Nebenmann bei Ludwigs Vortrag die Frage, die wohl manchem auf den Lippen lag: „Und was bringt mir das jetzt?“ Doch gerade die DGNB, die sich oft und ausführlich mit Fragen des Messens und Bewertens von Nachhaltigkeit auseinandersetzen muss braucht Veranstaltungen wie die „Impuls“, die über den Tellerrand hinausblicken. Ein Anfang ist gemacht – hoffen wir, dass viele weitere folgen werden. Jakob Schoof
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