10.09.2018 Jakob Schoof

Zwei Grad, eine Tonne:
Wie Klimaschutz gelingen kann

Foto: Jakob Schoof

Maximal zwei Grad Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter – das war das Versprechen, das sich die Weltgesellschaft beim Pariser Klimagipfel 2015 gegeben hat. Um es einzulösen, muss der Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 in der Welt relativ zügig auf eine Tonne pro Jahr sinken. Zum Vergleich: Derzeit liegen wir in Deutschland bei zwölf Tonnen, wenn man den CO2-Fußabdruck von Importgütern – das Smartphone aus China, die Jeans aus Bangladesh – mit einrechnet.

Christof Drexel hält die Ziele von Paris dennoch für erreichbar. In seinem Buch »Zwei Grad. Eine Tonne« legt er auch gleich eine Strategie dazu vor. Drexel ist Maschinenbauer mit Schwerpunkt Lüftungstechnik und in der Baubranche als namensgebender Gründungspartner des Geräteherstellers drexel und weiss bekannt. Luftschlösser sind seine Sache dennoch nicht; im Gegenteil: Die Klimaschutzmaßnahmen, die er in seinem Buch erläutert, und ihre Wirkungsabschätzung sind empirisch fundiert und stützen sich auf zahlreiche Statistiken.

Trotz aller Arithmetik hat Drexel ein überaus lebensnahes, auch für Laien gut verständliches Buch verfasst. Das liegt zum einen daran, dass Drexel seine Ideen nachvollziehbar zu präsentieren weiß und dabei von einem professionellen Lektorenteam unterstützt wurde. Zum anderen bricht Drexel die enorme Komplexität des Klimaschutzes auf die Alltagswelt der Leser herunter. Er hantiert nicht mit globalen Daten zu CO2-Ausstoß und Erderwärmung, sondern fragt, was viele Menschen umtreibt: Wieviel Treibhausgase stößt jeder von uns momentan aus, wieviel dürfen es künftig noch sein und mit welchen Maßnahmen lassen sich wieviel Pro-Kopf-Emissionen vermeiden?

»Sowohl als auch« statt »Entweder oder«
Drexels Zukunftsstrategie speist sich auch aus seiner Vergangenheit: Er offenbar sich im Buch als Anhänger des Passivhauses und plädiert für eine beherzte Effizienzstrategie im Bauen. Doch seine Kernbotschaft lautet: Nicht Effizienz oder erneuerbare Energien allein werden uns retten und auch nicht die bloße Änderung persönlicher Lebensstile. Ebenso wenig hilft es, mit dem Finger allein auf die Industrie zu zeigen oder zum Vegetarier zu werden, aber weiterhin jährlich zwei Fernreisen mit dem Flugzeug zu unternehmen. Nein, die Menschheit wird schon alle Register ziehen müssen, das heißt: Effizienz, erneuerbare Energien und Suffizienz in allen Bereichen unseres Lebens und Wirtschaftens üben.

Suffizienz hat für den Autor nichts mit Radikalverzicht zu tun, wie er gleich im ersten Kapitel unter der Überschrift »Lustvoll die Welt retten« verdeutlicht. Fast folgerichtig entfällt in Drexels Eine-Tonne-Zukunftsszenario ein großer Teil der verbleibenden Emissionen auf das Fliegen. Zu groß dürfte der Drang des Menschen in die Ferne sein, zu unrealistisch sind die nicht-fossilen Alternativen im Luftverkehr und zu wünschenswert ist es laut Drexel, gelegentlich über den eigenen kulturellen Tellerrand zu schauen, als dass er das Reisen missen möchte. Teils trifft er auch Annahmen, um deren Akzeptanz beim Bürger man sich Sorgen machen muss, etwa die eines weiteren Ausbaus der Windkraft an Land auf das Dreieinhalbfache der heutigen Menge bis 2040.

Etwas überraschend für ein Buch, das sich vorwiegend an interessierte Laien wendet, vertraut Drexel allein auf die Überzeugungskraft der Worte und Zahlen: Tabellen, Diagramme und andere Grafiken sind die einzigen Illustrationen, auf die Macht der Fotografien und Renderings hat der Autor bewusst verzichtet. Grafisch ist all dies vorzüglich umgesetzt, wie überhaupt der im Eigenverlag publizierte Band das Ergebnis professioneller Teamarbeit ist.

Klimaschutz ist Strukturwandel

Zu quantifizieren, was sonst oft nur qualitativ diskutiert wird, ist sicher das größte Verdienst dieses Buchs. Weil das aber nicht jedermann/-frau anspricht, imaginiert der Schriftsteller Wolfgang Mörth in seinem Gastbeitrag eine Zukunftsutopie aus der Eine-Tonne-CO2-Welt von 2044. Das hat durchaus literarische Qualität, leidet aber wie so viele Schilderungen heiler Welten ein wenig an Spannungs- und Handlungsarmut. Letztlich bleibt es Geschmackssache, ob derlei »Climate Fiction« notwendig ist, um sich für den Klimaschutz zu motivieren.

»Wandel beginnt im Kleinen« überschreibt Drexel das Schlusskapitel im Buch. Doch er ist sich im Klaren, dass wirksamer Klimaschutz nicht allein eine Frage individuellen Wohlverhaltens ist, weil jeder und jede von uns in gesellschaftlichen Strukturen gefangen sind. Also beschließt der Autor seine Darstellung mit Forderungen an Politik und Gesellschaft. Hier greift er vieles auf, was andere Vordenker in den letzten 20 Jahren gefordert haben: eine »Steuerrevolution« mit dem Ziel, Ressourcenverbrauch und Emissionen zu besteuern statt Arbeit, eine Verkürzung der (Erwerbs-)Arbeitszeit, neue Wohlstandsindikatoren jenseits des Bruttoinlandsprodukts und den Abbau von Wachstumszwängen in unserem Wirtschaftssystem – wobei er vage bleibt, wie Letzteres vor sich gehen soll.

Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, wusste schon Karl Valentin. Doch der Weg entsteht oftmals beim Gehen, gerade im Klimaschutz. Christof Drexel beschreibt nur eine von vielen möglichen Klimazukünften – aber diese erscheint von all jenen, die wünschenswert sind, noch als die realistischste. »Zwei Grad. Eine Tonne« ist ein Buch, das Mut macht, es allen Unkenrufen zum Trotz doch noch zu probieren mit dem Klimaschutz. Eine Alternative gibt es sowieso nicht – die Anpassung an eine 3,5 Grad wärmere Welt in diesem Jahrhundert, die wir durch weiteres Nichtstun herbeiprovozieren, dürfte die ökonomische und soziale Leistungsfähigkeit der Menschheit bei weitem überfordern.

Christof Drexel:
Zwei Grad. Eine Tonne.
ISBN 978-3-200-05606-0
28,70 €
bestellbar unter www.zwei-grad-eine-tonne.at
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