08.05.2011

Zwischen Altlasten und Alltagsarchitektur

Noch in den 90er-Jahren war die Experimentierlust in Sachen energieeffizientes Bauen groß. Heute dagegen ist das Effizienzstreben zum Allgemeingut geworden – und musste es auch, denn der Klimawandel wartet nicht. Teil 9 unserer Jubiläumsserie beschreibt die Schwierigkeiten, den deutschen Altbaubestand energetisch fit für das 21. Jahrhundert zu machen.

Zehn Jahre nach der Jahrhundertwende lässt sich konstatieren, dass der solare Pioniergeist der 90er-Jahre im Mainstream aufgegangen ist. Energieeffizientes Bauen ist zum Allgemeingut geworden, was zu großen Teilen an den sich stetig verschärfenden energetischen Vorgaben liegt. Die Paradigmen haben sich seit den frühen 90er-Jahren dennoch gewandelt. Niemand strebt heute mehr ernsthaft an, energieautarke Häuser zu planen (wobei Ausnahmen wie die 2009 eröffnete Neue Monte Rosa Hütte die Regel bestätigen). Das „solare Bauen“ ist zum „nachhaltigen Bauen“ geworden, das die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichermaßen berücksichtigen soll. Viele Merkmale der früheren Solararchitektur und auch viele Technologien sind verschwunden. Die transparente Wärmedämmung, noch in den 90er-Jahren nahezu als Heilsbringer gefeiert, ist praktisch tot; Wintergärten sind im Wohnungsneubau kaum noch zu finden.

Bei Neubauten scheint sich – zumindest im breiten Markt - das Prinzip „Thermoskanne“ durchgesetzt zu haben; Vermeidungsstrategien erhalten trotz massiver Förderung erneuerbarer Energien meist den Vorzug gegenüber aktiver Energiegewinnung, auch weil sie sich in der Regel schneller amortisieren. Das Passivhaus ist, nicht zuletzt aufgrund seiner Wirtschaftlichkeit und erwiesenen Funktionsfähigkeit, in der breiten Öffentlichkeit zum Synonym für energetisch verantwortliches Bauen geworden. Etwa 20.000 Gebäude dieses Energiestandards sind bis heute in aller Welt realisiert worden.

Gleichzeitig hat sich – im Grunde reichlich spät – die energetische Sanierung als Kernthema im Nachhaltigkeitsdiskurs etabliert. Der Erhalt von Baudenkmalen und das Bauen im Bestand standen spätestens seit Ende der 70er-Jahre wieder im Zentrum des Architekturdiskurses. Doch lange Zeit handelten die Diskussionen vorwiegend um Denkmalpflege, den Erhalt und die Umnutzung von Kultur- und Industrie- denkmälern sowie um die Revitalisierung von Brachflächen. Das begann sich erst zu wandeln, als in den 90er-Jahren massenhaft marode, Energie verschwendende Plattenbauten in den fünf „neuen“ Bundesländern zur Sanierung anstanden.

Bürogebäude "Ex-Post" (Sanierung mit Passivhausstandard in Bozen)

Die sanierten und (vielfach rückgebauten) Großwohnsiedlungen der einstigen DDR waren energietechnisch relativ leicht zu lösende Fälle: Sie waren im Besitz weniger großer Wohnungsbaugesellschaften, basierten größtenteils auf ein und demselben Bausystem („Wohnungsbauserie 70“, kurz WBS 70) und waren technisch in derart schlechtem Zustand, dass nahezu jedwede Verbesserungsmaßnahme einem Quantensprung gleichkam.

Heute dagegen tritt die energetische Altbausanierung allen Absichtserklärungen zum Trotz auf der Stelle. Noch reichen die Anreizsysteme nicht aus, sind die Energiepreise noch zu niedrig und die Sanierungen selbst noch zu kostspielig, um die derzeitige energetische Sanierungsquote von rund 1 Prozent pro Jahr nennenswert zu erhöhen. Darüber hinaus setzt sich jedoch auch die Erkenntnis durch, dass finanzielle Anreize allein längst nicht genügen, um Gebäudebesitzer – insbesondere solche, die über wenig Kapital verfügen– zur Sanierung zu bewegen.

Architekt (Sanierung: Helmut Kuess)

(Fotos: Jakob Schoof)

So schreiben die Soziologen Udo Kuckartz und Anke Rheingans-Heintze über die im Rahmen der IBA Hamburg unternommnen Bemühungen um energetische Gebäudesanierung: „Die IBA-Kampagne "Prima-Klima-Anlage" macht deutlich, wie mühsam es ist, kapitalschwache Hauseigentümer zu weitreichenden energetischen Sanierungen zu motivieren [...] Mit einem Haus im IBA-Exellenz-Standard ist man seiner Zeit vergleichsweise weit voraus. Die Vorteile eines Effizienzhauses sind für einen Laien nicht unmittelbar erkennbar und beobachtbar. Amortisationsrechnungen [...] sind für manchen nicht unbedingt nachzuvollziehen und ein besonders angenehmes Wohnklima lässt sich mit Worten nicht ohne Weiteres beschreiben.“

Siedlung Strucksbarg/In der Alten Forst in Hamburg

Auch die gestalterischen Herausforderungen energetischer Sanierungen lassen sich mit Geld allein nicht lösen. So stößt die Praxis, Altbaufassaden in dicke Styroporschichten einzupacken, auf immer größere Kritik nicht nur von Architekten und Denkmalschützern. Problematisch gestalten sich auch die meisten Versuche, Bestandsbauten solar „nachzurüsten“: Die Dachlandschaften sind meist viel zu kleinteilig, um eine gestalterisch befriedigende Integration von Solartechnik zuzulassen. Ferner bilden die im Wohnbaubestand dominierenden Dachmaterialien – vor allem kleinformatige Ziegel – einen denkbar ungünstigen Materialkontrast zu den meist großflächigen, blauen oder schwarzen Solarmodulen. Viele Kommunen haben inzwischen Gestaltungshinweise und Richtlinien zur Integration von Solaranlagen veröffentlicht, die für dieses Dilemma jedoch ebenfalls keine Lösungsvorschläge bereithalten.

Solaranlage auf Ziegeldach

Es ist daher nicht viel Phantasie nötig, um zu prognostizieren, dass der Grundkonflikt „Energetische Sanierung versus Baukultur“ uns auch im kommenden Jahrzehnt erhalten bleiben wird. Zu groß ist einerseits der Druck, zu handeln, zu groß ist andererseits die Unkenntnis vieler Akteure in diesem Bereich und zu gering ist bislang die Zahl gestalterisch vorbildlicher und zugleich kostengünstiger energetischer Sanierungen, die als nachahmenswert weiterempfohlen werden können.
Jakob Schoof

DETAIL_2013/12_Construction as a Process

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