20.12.2016 Tim Westphal

Einfach Bauen. Nicht immer nur reden. Einfach mal Bauen!

Foto: Bernardo Bader/Bernardo Bader Architekten

Sicher: beide Veranstaltungen hatten nichts miteinander zu tun. Weder Thema, Ort noch Teilnehmer waren identisch. Doch steht die Einfachheit im Bauen genauso im alltäglichen Fokus von Planer, Architekt und Bauherr wie die zunehmende Digitalisierung des Bauens selbst. Egal ob als Chance oder als Risiko interpretiert. Tendenzen wie das virtuelle Planen und Bauen, ein elektronischer Bauprozess mit Bits und Bytes sozusagen, erzeugen per definitionem starke Gegenströmungen. Die Protagonisten dieser Anti-Haltung bemängeln die Virtualisierung im handwerklichen Bauprozess und einen Verlust von Realitätsnähe. Bauen macht einfach Dreck. »Handfest«, »greifbar«, »handwerklich authentisch« waren daher Attribute, die in der nichtöffentlichen Diskussion am Vormittag, des Öfteren benutzt wurden. Und schnell war in der Fachrunde klar: Man ist sich einig, dass das Einfache Bauen weiterhin seinen Platz im Architektenalltag behalten muss.

Die gleiche Zielrichtung verwundert insofern, da so verschiedene Vertreter des Einfachen Bauens nahe der Universität in Stuttgart-Vaihingen zusammentrafen. Lebensläufe und Arbeitsaufgaben – sie waren vollkommen heterogen und trotzdem im gleichen Statement geeint: Einfach Bauen. Nicht immer nur reden. Einfach mal Bauen!

Doch trotz des breiten Schulterschlusses verlief der erste Teil der Diskussion, ein nicht öffentlicher Roundtable, durchaus kontrovers. Das ließ auf einen spannenden Nachmittag in großer Runde und vor öffentlichem Publikum hoffen. An der Diskussion im Commundo Tagunghotel nahmen Helga Kühnhenrich, Leiterin des Referates Forschung im Bauwesen, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Bonn, Prof. Markus Binder, CAPE Binder + Hillnhütter Architekt und Bauphysiker Partnerschaft, Esslingen, Mag.a Arch. Ulrike Schartner MSA, gaupenraub +/-, Wien, Eike Roswag-Klinge, Architekt, Ziegert Roswag Seiler Architekten Ingenieure, Berlin, Bernardo Bader, Architekt, Bernardo Bader Architekten, Dornbirn, Dr. Ing. Walter Haase, Leitung Leichtbau und Adaptive Systeme am ILEK an der Universität Stuttgart, DETAIL Stipendiat Leonhard Panzenböck, Wien und Moderatorin Eva Maria Herrmann als Moderatorin teil.

Am Nachmittag des 1. Dezember stellten fünf der vorgenannten Experten aus Wissenschaft, Praxis und Verwaltung ihre Lebens- und Arbeitsentwürfe, Ideen und Projekte zum Einfachen Bauen vor. Die Individualität jedes Einzelnen wie die Analogie im bewussten Umgang mit dem menschlichen Planen und Bauen einten sie auch hier.

Den Spielraum für neues Bauen erweitern
Helga Kühnhenrich, Leiterin des Referates Forschung im Bauwesen am BBSR in Bonn gab einen Einblick in die Förderlandschaft von Vorhaben, die sich mit dem Einfachen Bauen auseinandersetzen. Verschiedene Projekte, so die Entwicklung von Infraleichtbeton im Geschosswohnungsbau (INBIG, TU Berlin, Prof. Leibinger, Prof. Schlaich), die hochdämmende und recycelbare Holz-Massivbauweise (Prof. Menges, Prof. Drexler, Stuttgart) oder integrale Strategien für das Einfache Bauen (Prof. Nagler, TU München) zeigen eindrucksvoll: die bewusste Entscheidung zum Material und Werkstoff sowie zum Bauen als technologische Herausforderung bleibt ein wichtiges Thema. Sie appellierte mit den vorgestellten geförderten Forschungsprojekten an jeden der über 80 Gäste im Saal. Der bewusste Umgang mit unserer Umwelt, das Hinterfragen persönlicher Bedürfnisse und Ansprüche – bezogen auf Größe, Preis und städtisches Umfeld des Wohnraums, sind Herausforderungen an denen auch das BBSR weiterhin arbeiten wird. Und Helga Kühnhenrich stellt klar: Es muss endlich eine Brücke geschlagen werden, zwischen unternehmerischem Denken und sozialem Handeln.

Bezahlbarer Wohnraum und nachhaltige Nutzung – im vom BMUB initiierten Projekt Variowohnen soll deutlich werden, dass beides möglich ist. Abbildung: Helga Kühnhenrich/BBSR, Bonn

Abbildung: Helga Kühnhenrich/BBSR, Bonn

Energetische Qualität durch einstoffliche Bauweise
Prof. Markus Binder von CAPE Binder + Hillnhütter aus Esslingen drang mit seinem Vortrag tief in die Substanz der einstofflichen Bauweise vor. Ohne jeden Zweifel kommt ihr eine große Bedeutung zu, betrachtet man die statisch-konstruktiven Vorteile oder die sortenreine Trennung der Baumaterialien im Zuge eines Recyclings. Und mehr noch: Markus Binder wies anhand eines Vergleiches zwischen einem Gebäude in Holzmassivbauweise (Brettsperrholz) und einem Mustergebäude nach ENEV 2014/16 (WDVS) nach, dass auch die einstoffliche Bauweise der aktuellen Energieeinsparverordnung entsprechen kann – sofern der zumeist höhere Wärmeverlust über die Außenwände durch die Optimierung anderer Bauteile ausgeglichen wird. Markus Binder sprach jedoch auch an, dass jede der untersuchten Bauweisen ihre spezifischen Schwächen hat. Er plädierte daher dafür, die Einstofflichkeit nicht zum Dogma zu erheben.

Im Einklang mit Natur und Mensch: Bernardo Bader plante und baute sein eigenes Haus mit dem eigenen Holz aus dem eigenen Wald. Nicht aus Sparsamkeit, sondern aus Neugier auf den Werkstoff. Alles von jedem der Bäume wurde verwertet. Ehrliche Nachhaltigkeit schon mit dem ersten Konstruktionsholz. Abbildung: Bernardo Bader/Bernardo Bader Architekten

Großzügig und warm wirkt der Innenraum. Der schalraue Beton und das Tannenholz korrespondieren perfekt. Abbildung: Bernardo Bader/Bernardo Bader Architekten

Nicht immer nur reden sondern gemeinsam entwickeln, ausprobieren, bauen. Bernardo Bader arbeitet eng mit seinen Handwerkern, Bauherrn und Planerkollegen zusammen. Nur so entsteht die Qualität, die der Architekt sucht. Abbildung: Bernardo Bader/Bernardo Bader Architekten

Brücken in Köpfe bauen mit einfachen Mitteln
Persönliches Engagement ist wesentlich, wie Ulrike Schartner von gaupenraub aus Wien eindrucksvoll zeigte. In ihren Projekten kommen die zu Wort, die keine Lobby haben: wohnungslose Bewohner der Stadt Wien, die tagtäglich um das Bestehen und ums Überleben kämpfen. gaupenraub baut mit seinen integrativen Projekten Brücken in die Köpfe und reißt gesellschaftliche Barrieren ein. Seit 2009 arbeitet Ulrike Schartner gemeinsam mit Alexander Hagner und den Obdachlosen und plant unter anderem für die gemeinnützige Vinzenzgemeinschaft St Stephan. So ist beispielsweise die VinziRast Mittendrin im 9. Wiener Bezirk heute der Mittelpunkt einer regen Wohngemeinschaft aus ehemals Wohnungslosen und Studenten. Mit minimalen finanziellen Mitteln und großem Eigenanteil entstand mit dem Umbau eines alten Wohnhauses ein weit über Wien hinaus akzeptiertes Wohnprojekt mit eingebundenem Restaurant, dem »mittendrin«. Inzwischen kommen hierher Obdachlose, Anwohner und Geschäftsleute – die das unkonventionelle Beispiel einer gelungenen sozialen Integration mit Leben erfüllen.
Die Vortragsveranstaltung endete in einem ungezwungenen Get Together, bei denen sich Besucher und Referenten rege miteinander austauschten. Die Stuttgarter Veranstaltung war die letzte für das Jahr 2016. Die Fachzeitschrift DETAIL konzipiert und organisiert die Veranstaltungsreihe »Die Zukunft des Bauens« seit über vier Jahren – in Kooperation mit der Forschungsinitiative Zukunft Bau, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Im Fokus steht der Diskurs zwischen Architekten und Akteuren aus Forschung, Industrie und Politik. Die nächste Reihe startet im Frühjahr 2017.

Die Wärmeverluste über die Außenwände fallen beim Massivholzgebäude und v.a. beim Leichtbetongebäude höher aus als bei der konventionellen Bauweise, wie Markus Binder zeigte. Zum Ausgleich benötigen die Bauten u.a. verbesserte Fenster und eine wärmebrückenfreie Konstruktion. Abbildung: CAPE/Markus Binder

Das Beispiel zeigt: eine statisch notwendige Bemessung der tragenden Außenwand, einmal im Massivbau, mit Leichtbeton und in Holz ausgeführt. Wegen der unterschiedlichen Wärmeleitfähigkeiten der Baustoffe sind unterschiedliche Wanddicken erforderlich, um einen ausreichenden Wärmeschutz zu gewährleisten. Abbildung: CAPE/Markus Binder

Angemessenheit im Umgang mit Ressourcen
Eike Roswag-Klinge von Ziegert Roswag Seiler Architekten Ingenieure aus Berlin widmete sich unter anderem den Potenzialen eines seit Jahrtausenden bekannten Baustoffs: Lehm. Vor allem die klimaregulierende Wirkung des Lehms ist für seine Forschung relevant. Lehm und Holz in Verbindung, so stellte er heraus, kamen schon im Fachwerkhaus zum Einsatz. Ihre Symbiose im Sinne einer Klimaregulation und statischen Relevanz sind bekannt und erforscht. Für Eike Roswag-Klinge steht daher die Adaption positiver Werkstoffeigenschaften auf die Neuzeit im Fokus. Zahlreiche fruchtbare Kooperationen mit befreundeten Büros, z.B. mit Hütten & Paläste aus Berlin, ermöglichen ihm ein breites Arbeitsspektrum: vom Baugruppenprojekt über innovative Industriebauten bis zum hochgedämmten Betriebsgebäude aus Naturbaustoffen reichte die Bandbreite der in Stuttgart vorgestellten Bauten. Dabei würde er kein Material oder keinen Werkstoff pauschal negieren und nur mit Lehm und Holz bauen. Wichtige Triebfedern in der Arbeit von Eike Roswag-Klinge sind die Angemessenheit im Umgang mit Ressourcen, Lowtec, Nachhaltigkeit und bewusstes »Querdenken«.

Eike Roswag-Klinge forscht und entwickelt an Innenwandkonstruktionen, die klimaregulierend wirken. Lehm ist dabei wichtigster Baustoff: er bindet das Wasser und gibt es regulierend wieder ab. Abbildung: Eike Roswag-Klinge/ZRS Architekten Ingenieure

Die Wasserdampfsorption wurde gezielt untersucht: Sie ist sowohl von der stofflichen Zusammensetzung des Lehmputzes als auch von seiner Dicke abhängig. Abbildung: Eike Roswag-Klinge/ZRS Architekten Ingenieure

Für Wohnhäuser bieten die klimaregulierenden Wände ein gesundes Raumklima und lassen sich zum Beispiel mit der Wandheizung koppeln. Ergänzende Lüftungsanlagen sind damit nicht notwendig. Abbildung: Eike Roswag-Klinge/ZRS Architekten Ingenieure

Soziale Verantwortung und menschliche Architektur
Für Bernardo Bader, Bernardo Bader Architekten aus Dornbirn, ist das Einfache Bauen sehr stark mit dem Bauen mit der Natur verknüpft. Doch baut sein Büro durchaus über den ländlichen Kontext hinaus, wie er herausstellte. Die Balance, die notwendige Angemessenheit von Architektur und räumlichen Kontext – das sind für ihn wesentliche Qualitäten in den Projekten. Bernardo Bader zitiert Alva Aalto: »Es gibt nur zwei Arten der Architektur: menschliche und nicht menschliche Architektur«. Dass soziale Verantwortung wesentlich ist und der regionale Kontext essenziell sind, zeigte er unter anderem eindrucksvoll mit seinem eigenen Wohnhaus, das er selbst als Forschungsprojekt initiierte. Der Wohnbau ist komplett aus Holz gefertigt, welches im eigenen Wald eingeschlagen wurde. Bernardo Bader: »So konnten wir die beste und wirtschaftliche Ausnutzung der von uns gefällten Bäume gewährleisten. Ich bin viel behutsamer und verantwortungsvoller mit dem Werkstoff Holz umgegangen, weil ich die Geschichte dahinter kannte und viel über das Material lernen durfte.«
https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/Z/u/Zukunft-des-Bauens-Stuttgart-2016-Teaser-klein.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/Z/u/Zukunft-des-Bauens-Stuttgart-2016-Teaser-gross.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/Z/u/Zukunft-des-Bauens-Stuttgart-2016-Roswag-Klinge-1.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/Z/u/Zukunft-des-Bauens-Stuttgart-2016-Roswag-Klinge-2.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/Z/u/Zukunft-des-Bauens-Stuttgart-2016-Roswag-Klinge-3.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image
Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse ein, um einen Link zum Zurücksetzen Ihres Passworts zu erhalten.
Pflichtfelder
oder
Copyright © 2024 DETAIL. Alle Rechte vorbehalten.