04.11.2019 Sabine Drey

Poesie der Vernunft: Architektur-Triennale in Lissabon

Economy of Means Opening, Foto: Lorenzo Roncaglione

Éric Lapierre, Hauptkurator der diesjährigen Triennale in Lissabon ließ mit dem Motto »Poesie der Vernunft« einigen Spielraum zur Interpretation. Die fünf großen Ausstellungen, allesamt kuratiert von seinen Kollegen der École d‘Architecture Marne-la-Vallée in Paris, tragen die Namen: Economy of Means, Agriculture and Architecture, Inner Space, What is Ornament? und Natural Beauty. Die Kuratoren gehen die weitreichenden, abstrakten Themenfelder mit akademischer Systematik an, es dominieren Studien und Vergleiche in Form von Zeichnungen, Fotos und Modellen. Wenn auch kritische, gesellschaftsrelevante Themen eher spärlich gesät sind, so erhält der Besucher doch umfangreiche, interessante Einblicke in universitäre Forschungsprojekte. Eine Vertiefung in die gesammelten Werke, die teilweise auch in Buchform erschienen sind, lohnt sich allemal.

Economy of Means

Im MAAT, dem Museum für Kunst, Architektur und Technologie in einem ehemaligen Elektrizitätswerk in Belém zeigt Éric Lapierre, was er unter »Wirtschaftlichkeit der Mittel« versteht. Die Beschränkung auf das Wesentliche bezeichnet er als die »DNA der guten Form«. Zusammen mit seinen Studenten zeigt er in fünf Kapiteln Zeichnungen und Modelle zu den Themen: Wirtschaftlichkeit der Wiederholung, der Leere, der Mittel, des Materials und des Prozesses. Wiederholung ist dabei in typologischem Sinne zu verstehen, so präsentiert er vor allem Gebäudegrundrisse, die sich als bewährte Muster herauskristallisiert haben. Im gleichen Maßstab einheitlich aufbereitet, zeigen sie interessante Parallelen auf, auch über Ländergrenzen und Epochen hinweg. Ähnlich analytisch zeigt er die Sammlung von Grundrissen stützenfreier Räume, als zeitlos von der Gesellschaft gefragte Typologie der Versammlung. Zum Thema Wirtschaftlichkeit liegt die Frage nach der Größe nahe: Wie klein darf es denn sein? Neben allerlei winzigen Behausungen werden auch Projekte der Surrealisten, wie Bilder von Magritte oder Marcel Duchamp´s Museum in a Box vorgestellt. Am Ende widmet sich die Ausstellung ganz der dritten Dimension, in bewährter Manier reihen sich Modelle von minimalistisch gestalteten Gebäuden im gleichen Maßstab aneinander und der Besucher kann ein Modell nach Plänen des Architekten Philibert de l´Orme bestaunen, der bereits in der Renaissance ein System aus hölzernen, kleinteiligen Elementen ersann, um auch große Strukturen wirtschaftlich machen zu können.

Agriculture and Architecture: Taking the Country´s Side

Der Philosoph und Historiker Sébastien Marot forscht seit vielen Jahren zum Thema Architektur und Landschaft und präsentiert nun Ergebnisse seiner Studien in der Garagem Sul, einer ehemaligen Parkgarage im Untergeschoss des Centro Cultural de Belém. Dank der Rauminstallation mit hängenden Bildtafeln und einer »Timeline« der Geschichte der Landwirtschaft verwandelt sich der große, niedrige Raum in eine Bilderlandschaft, die der Besucher wie einen Wald durchstreift. Die Zeichnungen der Timeline veranschaulichen plakativ wie Landwirtschaft und Architektur sich im Lauf der Zeit miteinander und nebeneinander entwickeln und gegenseitig beeinflussen. Von den ersten Siedlungen, über die industrielle Revolution, Stadtflucht und Landflucht, bis hin zu Zukunftsperspektiven ökologischer Modelle, werden alle Strömungen anhand der Schautafeln beleuchtet. Es lohnt sich jede Tafel genau zu betrachten, hier werden zum Beispiel skurrile Analogien von landwirtschaftlichen und repräsentativen Gebäudedetails aufgedeckt oder auch die Folgen von Raubbau oder Monokultur analysiert. Die Ausstellung springt dabei zwischen allen Disziplinen: Baukonstruktion, Geschichte, Politik, Ökologie oder Agrarwissenschaft tragen ihren Teil bei, verbunden wird das Potpourri durch die chronologische Anordnung und thematische Felder. Am Ende steht ein kreisförmiges Objekt, das Marot als »Kompass« bezeichnet. Vier große Zeichnungen veranschaulichen Zukunftsvisionen von Stadt und Land: werden sich Grünzonen und urbane Räume gegenüberstehen, vertikal miteinander verflechten oder horizontal verweben?

Inner Space

Im MNAC, dem Museum für zeitgenössische Kunst in einem renovierten ehemaligen Klostergebäude, werfen die italienischen Kuratoren Fosco Lucarelli und Mariabruna Farbrizi einen Blick ins Innerste des Architekten. Was motiviert Architekten Gebäude zu erschaffen? Welche Bilder tragen sie in sich und wie sind diese entstanden? Die Antwort auf diese Fragen ist eine Collage aus den unterschiedlichsten Bereichen. Hier summieren sich Modelle, Zeichnungen, Designobjekte, Naturstudien aus allen Epochen und digitale Medien zu einer vielfältigen Mischung.  Die Ausstellung ist im wahrsten Sinne des Wortes ein »Brainstorming« zum Thema Inspiration. Auf der Reise in die Vorstellungswelt des Architekten verfolgen die Kuratoren zwei parallele Bewegungen: die kollektiven Vermächtnisse der Gesellschaft und die innere Welt des Individuums, die sich im Entwurfsprozess ergänzen und immer beeinflusst sind vom der Außenwelt. Die Ausstellung gliedern neun Themenbereiche, von kollektiven Archetypen, wie den Turm von Babel, über Inspirationen aus anderen Disziplinen, seien es Comics oder Virtuell Realities, Collagetechniken zur Ideenfindung, dem Studium von Monumenten als Symbol einer Epoche oder Skizzen und Zeichnungen als Möglichkeiten der Visualisierung von Konzepten und Entwürfen.

What is Ornament

Zum Thema »Was ist Ornament?« machten sich Ambra Fabi und Giovanni Piovene Gedanken. In dem kraftstrotzenden Gebäudeblock des Culturgest, dem Kulturzentrum der Caixa Geral Depositos Group, ist es nicht damit getan die Exponate einer Ausstellung einfach an die Wand zu hängen. In den riesigen Räumen kommen kleinteilige Formate nur sehr schwer zur Geltung. Daher musste die Ausstellungsarchitektur gut überlegt sein. Richard Venlet installierte weiße, teilweise geschwungene Wände, die den Maßstab des Gebäudes auf ein der Ausstellung angemessenes Maß herunterbrechen und den Besucher durch die thematischen Einheiten leiten. Die Einstimmung bilden eine Reihe von architektonischen Gussformen als plastisches Element aus verschiedenen Epochen, die in loser Sammlung verglichen werden. Im folgenden Raum präsentiert das Team Stützen in Zeichnungen und Modellen, weiter geht es mit Wänden, als dekoratives oder statisch notwendiges Objekt. Spielerisch erscheinen dagegen die Exponate zum Thema Muster. Hier haben internationale Künstler exklusiv für die Ausstellung Arbeiten entworfen, die sich genreübergreifend Mustern aller Art widmen, von der Tapete bis hin zum Videoclip. Nach dem Thema »Gefäße«, bringen im letzten Raum Feuerwerke Licht, städtisches Leben und die vierte Dimension ins Spiel. Sehenswert ist der renovierte Film Ornamento e Delitto von Aldo Rossi, Gianni Braghieri und Franco Raggi, der im Jahre 1973 für die XV Triennale di Milano entstand. In der Collage aus Filmfragmenten italienischer Klassiker, Schriftstücken von Walter Benjamin und Co. und Architekturaufnahmen von griechischen Tempeln bis hin zu Wiener Jugendstilgebäuden gelingt es Aldo Rossi den Zuschauer zu einem Perspektivwechsel zu verführen. Ausgehend von der reinen Betrachtung von Architektur, stellt er diese zugleich in Wort und Film dar und verwandelt sie so vom protagonistischen Anschauungsobjekt in eine Kulisse im atmosphärisch belebten Genre des Films.

Laurent Esmilaire und Tristan Chadney stellen im Palácio Sinel de Cordes, mitten im Stadtzentrum Lissabons, Werke zum Thema »Schönheit der Natur« aus. Zunächst besticht vor allem die Schönheit des Palastes mit seinem maroden Charme. Die Kulisse machte es dem Team nicht schwer die großformatigen Architekturaufnahmen von Tatiana Macedo in Szene zu setzen. Im Mittelpunkt steht die Reproduktion eines statischen Modells von Antonio Gaudí, das die Kuratoren im Zentrum der Raumfolge platziert haben. Unter dem Hängesystem erlaubt ein flacher, runder Spiegeltisch mühelos die visuelle Umkehrung in eine Gewölbeform. Die Fotos an den Wänden zeigen eine Auswahl von bekannten Architekturprojekten, die mehr oder weniger von natürlichen Vorbildern inspiriert oder geprägt wurden. Die Auswahl ist etwas willkürlich, neben dem Modell von Gaudí, sieht der Besucher unter anderem Werke von Jules Hardouin-Mansart, Jean Nouvel, Lacaton Vassal und Jean Prouvé. Analogien zwischen Arbeiten unterschiedlicher Epochen werden gezogen, wie zwischen der Biosphäre von Buckminster Fuller und der Prada-Boutique von Herzog und de Meuron. Die achsensymmetrische Organisation der Ausstellung ergibt sich aus dem Grundriss des Palasts, folgerichtig wiederholt sich der Spiegeltisch mittig in den anderen Räumen und zeigt an den Stirnseiten, weniger sinnfällig als das Modell, einige Studentenarbeiten, die im Zuge der Triennale zu dem Thema entstanden und andertags in der Endrunde zur Wahl des Universities Competition Awards antraten.


Daten:

Economy of Means
MAAT - Central Tejo
11:00 - 19:00 Uhr
Mittwoch bis Montag
bis 13.01.2020
Eintritt: 5€

Agriculture and Architecture
Garagem Sul - CCB
10:00 - 18:00 Uhr
Dienstag bis Sonntag
bis 16.02.2020
Eintritt: 6€

Inner Space
MNAC - National Museum of Contemporary Art
10:00 - 18:00 Uhr, Dienstag bis Sonntag
bis 05.01.2020
Eintritt: 4,50€

What is Ornament?
Culturgest
11:00 - 18:00 Uhr
Dienstag bis Sonntag
bis 01.12.2019
Eintritt: 3€

Natural Beauty
Sinel de Cordes Palace
11:00 - 19:00 Uhr
bis 02.12.2019
Eintritt: frei


weiterführende Informationen:
www.trienaldelisboa.com

Economy of Means Opening, Foto: Lorenzo Roncaglione

Economy of Means Opening, Foto: Hugo David

Agriculture Architecture, Foto: Hugo David

Agriculture Architecture, Foto: Fabio Cunha

Agriculture Architecture, Foto: Sabine Drey

Innen Space, Foto: Fabio Cunha

Innen Space, Foto: Sabine Drey

Innen Space, Foto: Fundação Millennium bcp, JMC

What is Ornament?, Foto: Fabio Cunha

What is Ornament?, Foto: Hugo David

What is Ornament?, Foto: Fabio Cunha

Natural Beauty, Foto: Fabio Cunha

Natural Beauty, Foto: Sabine Drey

Natural Beauty, Foto: Hugo David

Boxing Box, Foto: Hugo David

A Certain Kind of Life, Foto: Sabine Drey

A Certain Kind of Life, Foto: Sabine Drey

Economy of Means, Foto: Fabio Cunha

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