Wohnen über den Dächern: Luxus oder Lösung für kostengünstigen Wohnraum?

Entwicklung eines Prototypen für die Aufstockung von Nicht-Wohngebäuden (Masterthesis, Lisa-Katrin Templiner, TU Berlin)

Welche Rahmenbedingungen müssen greifen, damit innerstädtische Aufstockungen wirklich eine Lösung für die Wohnraumknappheit darstellen und nicht durch weiteren Luxuswohnraum zur anhaltenden Gentifizierung beitragen? Eine Studie der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts legt dar, dass man mit Hilfe von Aufstockungen grundsätzlich neue Flächen für Wohnraum erhalten kann. Die Masterarbeit einer Studentin der TU Berlin befasst sich – am Beispiel Berlin – darüber hinaus damit, wie durch Aufstockungen kostengünstiger Wohnraum in innerstädtischen Lagen geschaffen werden kann und welche Rahmenbedingungen dafür greifen müssten.

Wenn es um die Nachverdichtung in deutschen Großstädten geht, drängt sich eine drohende Flächenknappheit in den Vordergrund. Innerstädtische Gebiete scheinen ausgeschöpft und doch möchte man möglichst viel Wohnraum in diesen Lagen anbieten. In Berlin gibt es bereits erste Pläne für Wohnhochhäuser, Hamburg erschließt neue Flächen im Hafengebiet und München wandelt ehemalige Kasernen- oder Brauereiflächen zu Wohnquartieren um. Die Thematik drängt wie selten zuvor und beschäftigt seit Jahren Behörden und mittlerweile auch Unternehmen: Erst im vergangen Jahr konnte man in der Presse lesen, dass Discounter oberhalb ihrer Supermärkte künftig neue Wohnflächen planen.

Neue Wohnungspotenziale
Die TU Darmstadt hat gemeinsam mit dem Pestel-Institut die wissenschafliche Studie »Wohnraum-Potenziale in urbanen Lagen – Aufstockung und Umnutzung von Nicht-Wohngebäuden« veröffentlicht, und zeigt anhand von Best Practice Beispielen, wie man zusätzlich rund 2 Millionen Wohnungen in Deutschland durch Aufstockung und Umbau schaffen könnte. Der Fokus liegt auf Nicht-Wohngebäuden – so ließen sich Geschäftshäuser, Fabriken, Bürokomplexe sowie öffentliche Bauten, Parkhäuser, aber auch Bestandsbauten der 1950er- und 1960er-Jahre für eine Umnutzung bzw. Aufstockung nutzen. Insbesondere Gebäude wie Tankstellen und Discounter bieten großes Potenzial in der vertikalen Nachverdichtung, da sie als Flachbauten lediglich über ein Geschoss verfügen und somit ausreichend Platz für den Bau in die Höhe bieten. Dass es notwendig ist, diese Wohnungsbaureserven effektiv zu nutzen, liegt für die Wissenschaftler auf der Hand: »Bundesweit fehlen über eine Million Wohnungen. Allein in Berlin liegt das Defizit bei 92.000 Wohnungen«, erklärt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Derzeit müssten jährlich bundesweit rund 400.000 Wohnungen (davon gut 18.400 in Berlin) neu gebaut werden. Branchen-Insider gehen allerdings davon aus, dass im gesamten letzten Jahr weniger als 300.000 neue Wohnungen entstanden sind.

Um die brachliegenden Potenziale für den Wohnungsbau zu nutzen, müssen sich die politischen Rahmenbedingungen verändern. Das fordern 16 Verbände und Organisationen der Bau- und Immobilienbranche, die die Deutschland-Studie 2019 bei der TU Darmstadt und dem Pestel-Institut in Auftrag gegeben haben. Notwendig seien Weiterentwicklungen im Bau- und Planungsrecht. So müsse beispielsweise eine Überschreitung der Geschossflächenzahl, die häufig auf vor Jahrzehnten erlassene Vorschriften zurückgeht, bei Dachaufstockungen zulässig sein. Auch bei Trauf- und Firsthöhen sei Flexibilität notwendig. »Wir brauchen weniger bürokratische Hürden und mehr Bereitschaft zu guten, konzeptionellen Lösungen. Dabei wären auch zentrale Anlaufstellen als Ansprechpartner wichtig«, so Holger Ortleb. Der Koordinator des Verbändebündnisses spricht sich zudem dafür aus, Anforderungen wie Stellplatzforderungen flexibel und für den Einzelfall zu gestalten.

Wohnen auf der Behörde
Doch mit der Debatte um die Bereitstellung solcher Potenzialfläche muss auch der Blick auf die Bezahlbarkeit dieser Räume gerichtet werden. Die Mietpreise schnellen Jahr für Jahr weiter in die Höhe – längst können sich Haushalte mit mittlerem Einkommen die frei finanzierten Wohnungen nicht mehr leisten. Stellen für diesen Fall Aufstockungen eine kostengünstige Alternative dar oder fallen die Bau- und Grundstückskosten so hoch aus, dass auch dieser Bautypus für Haushalte mit mittlerem Einkommen letztlich unerreichbar bleibt? Lisa-Katrin Templiner, Masterstudentin der TU Berlin, hat sich in ihrer Masterthesis (Erstprüfer: Prof. Jörg Stollmann, Chair for Urban Design and Urbanization Fachgebiet für Städtebau und Urbanisierung; Zweitprüferin: Prof. Dr. rer. pol. Kristin Wellner, Fakultät VI – Planen Bauen Umwelt Fachgebiet Planungs- und Bauökonomie / Immobilien Wirtschaft, TU Berlin) mit der Verknüpfung der Themen Aufstockung und kostengünstiger Wohnungsbau beschäftigt und zeigt auf: Ja, man kann kostengünstigen Wohnraum in innerstädtischen Lagen schaffen – aber dafür müssen, laut der Studentin, viele Voraussetzungen stimmen und der Wille der öffentlichen Hand vorhanden sein.

Im Mittelpunkt der Arbeit standen Flächen, die sich zentral in Berlin und in öffentlicher Hand befinden. Darüber hinaus sollten die Bauten über Flachdächer verfügen und in ihrer Nutzung kompatibel für die Schaffung von Wohnraum sein. Anhand eines ausgewählten Bestandsbaus wurde das Szenario der Aufstockung mit Wohnungen in Form eines Prototyps geplant. Um Kosten und Gewicht zu sparen, wird die Aufstockung komplett aus Holz vorgefertigt. Die Dämmung ist in den vorgefertigten Wandelementen, bereits integriert. »Das Material Holz bietet mit einem Eigengewicht von nur 5 kN/m3 ein ideales Material, für Aufstockungen. Im Vergleich dazu wiegt Beton mit 25,5 kN/m3 fünf Mal so viel. Noch gravierender wird der Unterschied bei einem Materialvergleich von Holz und Beton bezogen auf das Gesamtvolumen. So ist das Eigengewicht einer Wand aus Holztragwerk aufgrund von vielen, baukonstruktiven Hohlräumen nur 0,5 kN/m3 schwer. Die Betonwand wiegt hierbei mit gleicher Wandstärke 10-mal so viel.« Die Grundrisse der Aufstockung orientieren sich bei den exemplarischen Entwürfen und Kalkulationsbeispielen der Studentin an den Räumen des Bestandsbaus. Aus diesem Ansatz heraus entstanden übereinander stapelbare Module, die sich an die Townhouse-Thematik anlehnen. Die Module wurden so konzipiert, dass die Traglasten über die darunterliegende Konstruktion abgeleitet werden können. Die Wohnungen verfügen über eine Wohnfläche von mindestens 50 m2 und lassen sich auf bis zu 150m2 durch die Stapelung erweitern. »Eine solche Architektur mit komfortablen Wohnstandards für bezahlbaren Wohnraum ist aufgrund der schnellen Bauzeit, des günstigen Materials sowie der wegfallenden Grundstückskosten realisierbar«, erläutert Templiner den Denkansatz. Da sich das Gebäude in öffentlicher Hand befindet, fällt bei der Kostenberechnung der Grundstückswert weg: »Würde sich das Grundstück nicht im Besitz der öffentlichen Hand befinden oder wäre die Wahl des Bauherrn eine andere, so müsste man diesen Kostenpunkt mitberücksichtigen. Das Beispiel zeigt somit sehr gut, dass ein vergleichbares Projekt in vergleichbarer Lage in der freien Wirtschaft mit der Absicht der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum nicht umsetzbar wäre«, so Templiner.

Hinzu kommt ein hoher Planungsaufwand, da bei jedem Projekt eine Vielzahl von individuellen, komplexen Rahmenbedingen berücksichtigt werden müssen. Zahlreiche städtebauliche Auflagen und Zulässigkeiten, die sich insbesondere in diesen Lagen multiplizieren, führen dazu, dass eine unproblematische Ausführung nicht garantierbar ist, kostenintensive Maßnahmen könnten anfallen. »Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum war und ist schon immer eine politische Entscheidung gewesen. Solange das Gut Wohnen nicht als Gemeingut, sondern als Ware angesehen wird, werden Themen wie Bezahlbarkeit nebensächlich bleiben«, so die Studentin. Und somit auch das Thema der Aufstockung, das zwar einen Betrag zu Wohnraumschaffung leisten kann, aber unter aktuellen Voraussetzungen nicht zum kostengünstigen Wohnungsbau. Grundsätzlich kommen beide Projekte – die Masterthesis und die Studie der TU Darmstadt – so unterschiedlich die zugrundliegenden Rahmenbedingungen auch sein mögen, zu einem ähnlichen Fazit: Sie zeigen, dass eine kostengünstige Nachverdichtung in innerstädtischen Bereichen generell möglich ist. Aber finanzielle Anreize seien dafür notwendig: So macht sich das Verbändebündnis der Studie »Urbanes Wohnen« dafür stark, die Abschreibung von derzeit 2 Prozent bei Dachaufstockungen und der Umnutzung von Nicht-Wohngebäuden auf einen AfA-Satz von 4 bis 5 Prozent anzuheben. Nur so gelängen es, auch private Investoren verstärkt für Aufstockungen und Umwandlungen zu gewinnen. Für kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaften sollte es eine Investitionszulage von 15 Prozent geben. Zudem spricht sich das Verbändebündnis für eine verbesserte Förderung des Mietwohnungsbaus und für gezielte KfW-Förderprogramme aus.

Vielleicht werden sich tatsächlich in naher Zukunft Gesetze und Auflagen an den Bedarf anpassen müssen – viel Spielraum haben die Großstädte nicht mehr.

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