21.06.2018 Bettina Sigmund

Der öffentliche Raum ist keine Galerie

Medienfassade des Klubhaus St. Pauli, Hamburg (Foto: Urbanscreen)

Die Nachfrage nach Lichtinstallationen im urbanen Kontext, nach medialer Bespielung von Gebäuden und der Inszenierung von Fassaden als temporäre Installation oder auch als dauerhafte Fassadengestaltung steigt – und das nicht nur in den Megametropolen. Thorsten Bauer, selbstständiger Berater und Konzepter von Medienfassaden-Projekten sowie Gründer von Urbanscreen, einer Künstlergruppe und Kreativagentur, ist Soziologe und hat sich der künstlerischen Interpretation der Medienfassade verschrieben. Ein berichtet über Medienkunst und Lichtinstallationen im Stadtraum, über die Auswirkungen der Digitalisierung sowie die Verantwortung von Architekten, die mediale Bespielung des öffentlichen Raums zu kuratieren. Welche Bedeutung spielt für Sie bei Ihren Medieninstallationen die Architektur? 
Urban Screen waren 2005 Pioniere der Inszenierungen von Architektur, darunter z.B. auch der Oper in Sydney. Die Gruppe formierte sich aus Architekten, Medienkünstlern, Kulturwissenschaftlern und Technikexperten und schafft seitdem ortsspezifische Medieninstallationen in öffentlichen Räumen, darunter Architekturprojektionen, Augmented Sculptures und mittlerweile auch Medienfassadenkonzepte. Die audiovisuellen Inszenierungen bewegen sich dabei an der fließenden Grenze zwischen virtuellem und realem Raum und verändern die Wahrnehmung von Architektur. Der künstlerische Kern ist es, das Narrativ von Architektur weiter zu erzählen. Die Herangehensweise ist experimentell und immer die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Gebäudes. Die Projektionen binden das Reale in die Bilder ein und lassen die Grenzen verschwimmen. Irgendwann im Prozess kam die Erkenntnis: Wir kreieren keine Medien mehr, sondern wir kreieren Räume. Die Frage ist also: Können wir Mediengestalter bei der Bespielung von Architekturen überhaupt unsere bisherige Denkweise und unsere Werkzeuge beibehalten oder müssen wir komplett umdenken? Das Fazit kann ich vorwegnehmen: Wir Mediengestalter müssen denken wie Architekten! Wir schneiden nicht mehr nur Bilder, sondern wir schneiden ganze Architekturen. Diese Tatsache hat mich nachhaltig geprägt. Was möchten Sie mit den Fassadenbespielungen erreichen?
Temporäre Installationen haben die Zielsetzung den bestehenden Charakter des Ortes bzw. der Architektur zu konvertieren. Die bestehende Identität wird durch eine Projektion interveniert und verändert. Eine temporäre Installation ist immer ein Kommentar des Bestands. Das ist unser künstlerischer Ausgangspunkt. Bei einer permanenten Installation haben wir eine andere Ausgangssituation. Die Medientechnologie ist Bestandteil des Gebäudes. Hier stellt sich bei jedem Projekt die Frage: Zu was nimmt die Medienfläche Bezug? Ist das Medium selbst dafür verantwortlich eine architektonische Identität zu kreieren? Wie können Medium und Architektur zu einer Einheit verschmelzen? Wie kann ein Medium, das ständig seine Form und seinen Inhalt ändert, so etwas Beständiges schaffen wie eine architektonische Identität? Diese Frage treibt mich an. Werden die Fassaden für Sie zu Screens?
Die Bandbreite der Möglichkeiten ist groß. Man muss Gebäude nicht komplett in Screens einpacken. Es reichen auch Abstraktionen, verdichtete Pixel oder Lichtinszenierungen. Es sollte darum gehen, das Gebäude in seiner Struktur zu stärken und nicht zu überschreiben oder zu übermalen. Es geht darum, eine Balance zwischen Architektur und Inszenierung zu finden. Das ist nicht einfach! Architekten stehen dem Thema der medialen Fassadenbespielung nicht selten kritisch gegenüber. Weshalb, denken Sie, ist das so? 
Jahrtausende lang wurde Architektur als statisches Objekt gebaut. Die nun neu hinzugekommene Zeitkomponente entspricht eigentlich nicht der Denkweise des Architekten. Darin liegt die Konfrontation. Durch Medienfassaden ändert sich das Erscheinungsbild der Architektur. Es ist nicht mehr statisch, sondern wird dynamisch. Um der Architektur gerecht zu werden, müssen wir es schaffen, in dieser sich verändernden Zeitleiste trotzdem noch eine kontinuierliche Identität zu erhalten. Um mich diesem Thema zu nähern, habe ich andere Kunstformen betrachtet. Die Musik schafft es beispielsweise, einem Musikstück eine klare Identität zu geben, ohne dass diese auf einen einzelnen Moment festgelegt werden könnte. Bei vielen Klassikern weiß man schon nach wenigen Takten, um welches Stück es sich handelt. Man muss nicht erst auf den Schlussakkord warten, um das Musikstück stattfinden zu lassen. Es ist die Veränderung über die Zeit, der Rhythmus und das Verhältnis der Töne zueinander, die eine Identität schaffen. Diese Denkweise könnte auch zu erfolgreichen Medienarchitekturen führen: Stetige Veränderung über die Zeit, bei gleichzeitiger Konstanz einer Identität. Ist der Medienarchitektur-Hype nur eine Mode?
Ich glaube daran, dass es das kollektive Bedürfnis gibt, die digitale und die analoge Welt in Gleichklang zu bringen und dadurch wieder als Einheit erleben zu können. Wir sind als Menschen schlicht und einfach nicht dazu gemacht, in zwei Welten zu leben. Die Entwicklung der letzten 20 Jahre, die Spaltung in eine analoge Realität und eine digitale Fake-Realität, wird sich wieder auflösen. Ein Anfang dieser Entwicklung ist bereits auch zu erkennen. Ich glaube nicht an Virtual Reality, ich glaube an Augmented Reality. Bei der Digitalisierung geht es nicht darum, noch weiter in das Digitale abzuwandern. Wir sind an einem Punkt, an dem wir lernen, das Digitale wieder in die reale Welt zu transformieren. Medienfassaden sind eine optimale Fläche, um zu lernen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Ich kann jeden verstehen, der keine Medienfassaden sehen möchte. Viele sind überfordert und finden die Durchdringung der realen Welt durch die digitale Welt gruselig. Die Horrorvorstellung der mentalen Projektion des Digitalen, wie wir es heute kennen, in unsere Städte hinein, wird jedoch so nicht stattfinden. Ich bin überzeugt davon, dass sich das Digitale dem Realen anpassen wird. Die Skepsis Medienfassaden gegenüber fußt also auch in der Angst vor der Digitalisierung?
Mediaarchitektur besteht aus den Elementen Stein, Licht und digitale Medien. Das Analoge und das Digitale stehen bei Medienarchitektur als perfekter Platzhalter für die Diskussion um die Digitalisierung. Die Architektur vertritt das Analoge in einer enormen Prägnanz. Erst die Architektur schafft es, das digitale Medium in die Realität zu befördern, aus dem Datennetz herauszuholen und präsent zu machen. Medienfassaden sind eine Begegnung, die sehr viel mehr in sich trägt als einfach nur Medien und Architektur. Es stellt sich die Frage, welcher Qualität sich die beiden begegnen. Bekommt ein Gebäude allein durch eine Projektion einen digitalen Charakter? Um dem digitalen Medium und dem Gebäude eine Chance zu geben, sich mit zu vereinen, haben wir über die letzten 10 Jahre gelernt, die Geschwindigkeit, die in der digitalen Welt stattfindet, für Gebäudebespielungen stark zu reduzieren. Die Architektur hat uns beigebracht, minimalistisch und reduziert zu arbeiten, damit wir einen magischen Moment schaffen können, an dem sich Medium und Architektur vereinen. Deshalb glaube ich auch daran, dass wir bei der Rückführung der digitalen Komplexität in die Realität das Digitale wieder radikal an uns anpassen müssen – und nicht anders herum. Medienfassaden sind momentan noch eine Seltenheit. Die Gestaltung von Lichtfassaden ist aber schon gängiger. Durch die digitale Steuerung werden nun auch Lichtkonzepte immer dynamischer. Verschmelzen beide Disziplinen?
Ja, es gibt durchaus Schnittstellen von Medien- und Lichtdesign, die für diesen Kontext relevant sind. Die beiden Disziplinen fangen an, sich zu vermischen. Es ist vorstellbar, dass Projektoren zukünftig als kombinierte Bild-Licht-Quellen eingesetzt werden und es ermöglichen digitales mit klassischem Licht zu vermengen. Das ist beispielsweise auch eine Grundidee der Medienfassade des Klubhaus St. Pauli in Hamburg, dessen Fassade wir gemeinsam mit akyol kamps Architekten gestaltet haben. Wir wollten ein hybrides Objekt schaffen, das gleichsam identitätsstiftende Architektur ist und eine virtuelle Ebene hat. Und zwar in einem Kräftegleichgewicht. Wir haben dazu unterschiedliche Formate von Medienflächen – teils bespielbar, teils unbespielbar – in eine Art Topographie überführen. Wir wollten, dass die beleuchteten Flächen von der Ferne als Architektur zu erkennen sind und sich ein Gesamtbild erschließt. Das Gebäude selbst sollte dadurch stark bleibt und nicht mit Medien komplett »zugeschmiert« werden. Welche Rolle nehmen Architekten bei der Gestaltung von Medienfassaden ein?
Dieses Thema gehört eigentlich den Architekten. Und es ist aber so, dass es im Moment nicht von Architekten besetzt wird. Es gibt eine Scheu. Architekten wagen sich entweder nicht an das Thema heran oder lehnen es auch bewusst ab, so dass Künstler herangeholt werden, um Fassadenbespielungen zu machen. Ich denke aber: Der öffentliche Raum ist keine Galerie! Es ist kein Raum in den Kunst kommuniziert werden muss. Die Medienfassade ist primär eine Fassade. Sie ist Architektur. Sie fällt in den Hoheitsbereich der Architekten. Ich halte es für unglaublich wichtig, dass dies in das Verständnis der Architekten rücken muss. Nur so werden wir in nachhaltigen Orten leben und nicht in »Geblinke«. Es ist wichtig, dass Architekten diesen Prozess mitgestalten und kuratieren, wie der Umgang mit Licht, Medien und Werbung zukünftig im öffentlichen Raum sein wird.
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