Gestapelte Schweine, geschichtete Dörfer: 22 Jahre MVRDV

Schweine werden in einem Hochhaus gestapelt, ein ganzes Dorf wird übereinander geschichtet und Bücher türmen sich zu einer Pyramide auf: MVRDV gewähren Einblicke in ihre innovativen, humorvollen und manchmal provokanten Prozesse des Nachdenkens und Entwerfens. Die Ausstellung, am 15. Mai durch Jakob van Rijs eröffnet, dokumentiert unzählige Projekte und Forschungsarbeiten aus 22 Jahren MVRDV und kann noch bis zum 28. Juni besucht werden. Ort: Architekturgalerie München, Türkenstraße 30, 80333 München
Dauer: 15. Mai 2014 – 28. Juni 2014

Foto: Eva Janusch

Auf engstem Raum trafen am Eröffnungsabend unzählige Architekturbegeisterte in der Architekturgalerie München zusammen. Nach der Begrüßung durch Nicola Borgmann und dem niederländischen Generalkonsul Rob Zaagman eröffnet Jakob von Rijs die Werkschau mit einer kurzen humorvollen Ansprache.

Jakob van Rijs bei der Eröffnung, Foto: Eva Janusch

MVRDV sind der Meinung, dass eine Retrospektive über ihr eigenes Werk nicht selbst verfasst werden sollte. So entstand das sehr sympathische Konzept, nur darzustellen was andere über ihre Projekte schreiben. Kritische Pressezitate aus aller Welt über sämtliche Werke und Forschungsarbeiten werden auf Plakaten zusammengefasst und beeindrucken als bunte Patchworktimeline auf der Längsseite des Ausstellungsraumes.

Foto: Eva Janusch

Zusätzlich werden Arbeits- und Wettbewerbsmodelle auf unterschiedlich hohe Holzblöcke gesetzt, die ungeschützt zum Anfassen einladen und dem Besucher die Arbeitsatmosphäre des Büros vermitteln. Die nicht perfekten Ecken und Kanten der Arbeitsmodelle zeigen auf ehrliche Art und Weise, wie wichtig die Arbeit mit Modellen für die Vision von Gebäuden ist.

Modell DNB Headquarters für Oslo, Foto: Anne-Sophie Birnkammer

Unterschiedlichste Materialien, verschiedene Maßstäbe und Projekte von Einfamilienhäusern bis zu Megastrukturen geben einen Eindruck über die Ideenfülle von MVRDV. Auch kontrovers diskutierte Projekte werden gezeigt: Gleich beim Betreten wird der Besucher von den zwei raumhohen Türmen der »Cloud« überrascht. Das umstrittene Projekt in Seoul wird mit 9/11 konnotiert.

Das »Didden Village« ein Projekt, das eine Wohnung mit einem Dachaufbau erweitert und durch seine Dorfstruktur vorstädtisches Leben in die Stadt holt. Modell Didden Village, Foto: Eva Janusch

Schräg gegenüber eine riesige vertikale Stadt »Peruri 88« in Jakarta, sieht zwar ganz anders aus, spricht aber eine ähnliche Sprache, die der Vertikalität. Ein gestapeltes Volumen aus einzelnen Modulen, dass sich zu einer großen vertikalen Stadt auftürmt.
Einen besonderen Platz findet die Megastruktur der Markthalle in Rotterdam. Mit dem heiß diskutierten Projekt haben MVRDV ein architektonisches Wahrzeichen konzipiert. In der ikonischen Form eines Tunnels sind Markttreiben, Gewerbe und Wohnen untergebracht. Flexible 40 x 40 Meter Stahlseil-Glaskonstruktionen an beiden Stirnseiten des Gebäudes, ermöglichen genug Lichteinfall für Dachgärten auf den Marktständen. Konstruktiv hält die Fassade starkem Wind stand und funktioniert wie die Bespannung eines Tennisschlägers. Das Motiv an der monumentalen Hallen-Oberfläche wurde per Wettbewerb ermittelt. Interessant ist auch die schwierige Art der Konstruktion, da der Boden des Baugrunds schlammig und sehr nass ist, wurde eine darauf spezialisierte Firma aus Dubai mit der Ausführung beauftragt.

Modell Markthalle in Rotterdam, Foto: Anne-Sophie Birnkammer

Jan Knikker (Head of Public Relations & Business Development) erklärt vor der offiziellen Eröffnung, welch enormen Stellenwert MVRDVs Forschungsarbeit hat. Speziell bietet die Gründung des Think Tanks »The Why Factory« an der TU Delft die Möglichkeit, sich zusammen mit jungen Studenten mit der Stadt der Zukunft auseinanderzusetzen. Das Projekt »Vertical Village«, umgesetzt in einer Ausstellung in Taipei, untersucht ostasiatische Metropolen nach ihrer Wohnstruktur und kommt zu dem Ergebnis, dass Land zu ineffizient auf weiter Fläche bebaut ist. MVRDV entwerfen zusammen mit Studenten ein System für das Stapeln von Häusern mit einem sogenannten Core, dem vertikalen Herzstück für die Erschließung. An diesem Turm können sich die einzelnen Bewohner ein Grundstück kaufen und ihr Traumhaus selbst andocken. Nach der Befragung der Bewohner zu ihrem Traumhaus wurden die wildesten Formen mit verschiedensten Farben entwickelt und für die Ausstellung in Taipei aus Schaumstoff produziert. Die Besucher konnten sich vor Ort frei nach ihrer Vorstellung und Fantasie mit den bunten Elementen austoben und ihre eigene vertikale Stadt bauen. In der Architekturgalerie kann eine Miniatur aus Holz bestaunt werden. Wie in einem edlen Setzbaukasten können die Einzelstücke in die Hand genommen werden und zu einer Fantasiestadt gestapelt werden. MVRDV versuchen damit, den Grenzen der Unmöglichkeit aus dem Weg zu gehen und zeigen, dass sich die Stadt der Zukunft in die Vertikale orientieren sollte.

Setzkasten aus Holz, Foto: Anne-Sophie Birnkammer

Vertical Village, aus bunten Würfeln umgesetzt, Foto: Anne-Sophie Birnkammer

Nicht nur Häuser können geschichtet werden, sondern auch Schweine. Knikker erläutert, woher die Überlegung »Pig-City« stammt: In den Niederlanden fehlt der Platz zur Bio-Schweinzucht. Um eine durchgehende Versorgung zu ermöglichen, entwerfen die Architekten wieder in Zusammenarbeit mit der »Why Factory« einen Turm für Schweine. Obwohl MVRDV sogar Schweine stapeln, spricht sich Jakob van Rijs überraschenderweise für die flache Bebauung Münchens aus.

Pressetext, Foto: Anne-Sophie Birnkammer

Die Frage, inwiefern München als eine Non-high-rising-city noch als zeitgemäß und modern gilt, beantwortet er treffend: Gerade weil der alte Kern als Zentrum nicht verändert werden darf, bleibt München aus seiner Sicht spannend. Hochpunkte gruppieren sich dafür außerhalb des Stadtinneren in den peripheren Gebieten und steigern die Dichte.

Insgesamt ist es eine sehr bildhafte Ausstellung, die wenig Beschreibung nötig hat. Freundlich bunt und nah am Besucher werden Modelle gezeigt. Mit Mut präsentiert sich die Pressewand, gespickt mit skurrilen bis bösen Kommentaren und Bildern.
In den Räumen der Architekturgalerie wirkt die Ausstellung fast wie ein weiteres Exempel der Niederländer, auf einen engen Raum mit Dichte zu reagieren. Sie formulieren ihre Haltung in einem eindrucksvollen Werk aus geschichteter Vertikalität mit menschlichem Maßstab, was mit der von der niederländischen Kultur und Individualität geprägten architektonischen Philosophie MVRDVs zu tun hat. Sie achten trotz bunter vertikaler Stapel darauf nicht zu hoch zu stapeln und in ihrem Denken bodenständig ehrlich zu bleiben, was den Besuch der Ausstellung herrlich interessant macht.

Foto: Anne-Sophie Birnkammer

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