12.09.2019 Bettina Sigmund

Kleinstadtforschung: Was Planer wissen sollten

Eine Kleinstadt im Südharz (Foto: Hans Linde, Pixabay)

Obwohl ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland in Kleinstädten lebt, wird die Kleinstadt weder von der Stadt-Land-Debatte noch der Stadt- und Raumforschung adäquat berücksichtigt. Die Kleinstadt ist in eine Forschungslücke zwischen Urbanität und Ruralität gerutscht, so die Ausgangsthese. Wissenschaftliche Stadtforschung und Planungspraxis sind in Deutschland großstadtorientiert und suchen Lösungen für die urbanen Strukturen, Trends und Probleme von Großstädten, Agglomerationsräumen oder Schwarmstädten. Die über 2.000 Kleinstädte mit 5.000 - 20.000 Einwohnern werden dabei nicht ausreichend wahrgenommen. In wissenschaftlichen Arbeiten aus Stadtgeographie oder Stadtsoziologie werden Kleinstädte oft zusammen mit Mittelstädten in einer Mischkategorie als Forschungsgegenstand betrachtet oder als Teilkategorie unter ländlichen Räumen subsumiert, obwohl 56 % der Kleinstädte in räumlich zentralen Lagen angesiedelt sind. Vorhandene wissenschaftliche Studien zu kleinstädtischen Stadtforschungsthemen bekommen nicht die Aufmerksamkeit, die ihnen zustehen müsste. In der öffentlichen und teils auch in fachlichen wie der planungswissenschaftlichen Diskussion werden Kleinstädte nicht selten als Stereotypen, entweder als Orte idyllischen Landlebens oder als kleinbürgerlicher und rückwärtsgewandter Gegenentwurf zur weltoffenen Großstadt thematisiert.

Der Arbeitskreis erfasst im Positionspapier den Statusquo kleinstädtischer Strukturen und bündelt diese in Themen- und Forschungsfeldern nach Siedlungstyp, demographischen Strukturen und Entwicklungen, Sozialstruktur und sozialen Beziehungen, Wohnen und sozialräumlicher Differenzierung, wirtschaftlicher Entwicklung und Innovationsdynamiken, Mobilität, digitaler Transformation, Stadtplanung und Governance, Zentralität sowie Methoden und Daten in der Kleinstadtforschung. Das Team kommt über alle Kategorien zu dem Fazit, dass sich die Ausgangslagen und Problemstellungen kleiner Städte als auch ihre Chancen je nach Lage im Raum, wirtschaftlichen Gegebenheiten und baulichen Strukturen stark unterscheiden. Alle gemein haben jedoch, dass die Funktionen, Leistungen und Potenziale für die dort lebenden und arbeitenden Menschen bisher zu wenig betrachtet wurden. Im Positionspapier der Akademie für Raumforschung und Landesplanung heißt es: »Auch wenn es keine einheitliche Definition oder Abgrenzung für Kleinstädte gibt (und geben kann), zeigt die kompakte Aufbereitung des Forschungsstandes den Bedarf an systematischen Untersuchungen dieses Stadttyps: Kleinstädte erschöpfen sich weder aus quantitativer oder qualitativer Sicht allein in ländlichen Räumen noch in der undifferenzierten, in der wissenschaftlichen und planerischen Diskussion häufig verwendeten Sammelkategorie der Klein- und Mittelstädte. Kleinstädte sind kein homogener Stadttyp – weder hinsichtlich ihrer Größe, Geschichte oder inneren Struktur noch bezogen auf ihre aktuellen Entwicklungstendenzen. Eine allgemeingültige Kleinstadt-Typologie ist deshalb nicht möglich. Kleinstädte können und sollten jedoch je nach Forschungsfrage und Zielsetzung typisiert werden, um sie vergleichend und abstrahierend zu untersuchen und daraus Erkenntnisse zur Weiterentwicklung der Raumforschung und für die Politikberatung abzuleiten.«

Interne Differenzierungen der Kleinstädte, etwa zwischen der Kernstadt, den Erweiterungsgebieten der Nachkriegszeit und den eingemeindeten Dörfern oder zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen finden in der Wissenschaft kaum Beachtung. Dies ist meist nicht vorhandenen oder nur schwer zugänglichen Daten geschuldet. Wunsch der Autoren ist daher es eine systematische und interdisziplinäre Kleinstadtforschung unter Berücksichtigung geographischer, sozial- und kulturwissenschaftlicher, planungs- und wirtschaftswissenschaftlicher Aspekte als Teildisziplin der Stadt- und Raumforschung zu etablieren. Weiterhin muss zwischen der Kleinstadt als realer Lebensraum mit seiner Vielschichtigkeit und dem verzerrten Bild als Topos oder Narrativ der ländliche Idylle und des Spießbürgertums etc. differenziert werden. Durch die soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Heterogenität von Kleinstädten eignet sich die »Kleinstadtforschung (...) für eine transdisziplinäre Arbeitsweise. Von der Problemdefinition über interaktive Forschungsformate und -methoden (wie Reallabore und Szenarien-Entwicklung) bis hin zur Aufbereitung und Verbreitung vorhandener Wissensbestände können Wissenschaft und Praxis kooperativ zusammenarbeiten. So könnten auch anwendungsorientierte und lebensweltliche Fragestellungen noch besser adressiert werden.« Die Autoren des Positionspapiers sehen hier Lehre, amtliche Statistik und Forschungsförderung aber auch die Planungspraxis gleichermaßen in der Verantwortung. Es gibt also noch viel Wissenswertes über Kleinstädte und jede Menge schlummernde Potenziale – auch für Architekten und Stadtplaner.

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