22.05.2019 Bettina Sigmund

Klimaaktive Ziegelfassaden

Der relativ einfache Versuchsaufbau zeigte, dass eingeweichte Ziegel die Oberflächentemperatur signifikant senken können (Foto: TUM)

Etwa 30% der Weltbevölkerung leben in Ziegelgebäuden, Tendenz laut Prognosen steigend. Ziegelsteine als Mauerwerksmaterial bieten seit Jahrhunderten viele Vorteile: Die künstlichen Steine sind robust und widerstandsfähig, wasserresistent und verfügen über eine hohe Tragfähigkeit. Durch ihre Modularität bieten sie ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit. Die Ziegelproduktion wird stetig weiterentwickelt und die Eigenschaften der keramischen Steine optimiert. In den letzten Jahren betraf dies verstärkt deren Schall- und Wärmedämmeigenschaften. Bislang weniger erforscht sind jedoch die klimawirksamen Aspekte der Ziegelmaterialien und deren Potenzial, das urbane Mikroklima zu verbessern. An dieser Stelle setzt das Forschungsvorhaben Adaptive Brick der TU München unter Leitung von Philipp Molter, Associate Professor am Lehrstuhl für Entwerfen und Gebäudehülle, an. Das Team untersucht den Einsatz von bewässerten Vollziegeln als Bestandteil klimatisch wirksamer Fassaden, die dem Phänomen der urbanen Hitzeinseln entgegenwirken können.

Mikroklima optimieren
Ziegelfassaden beeinflussen, wie andere Materialien auch, durch ihre Strahlungstemperatur das städtische Mikroklima. Metall- und Glasoberflächen speichern Wärme nicht und kühlen etwa so schnell ab, wie sie sich erwärmen. Natürliche und künstliche Steine wie Beton- und Ziegelsteine verfügen über eine hohe Wärmekapazität. Daher sind sie in der Lage, Wärme auch langfristig zu speichern. Folgen nun mehrere warme Tage aufeinander, steigt ihre Materialtemperatur immer weiter. »Gebäudehüllen und deren Materialien zeigen einen großen Einfluss auf das Mikroklima unserer Städte. Die Überhitzung städtischer Räume, der so genannte Urban Heat Island-Effekt, ist in vielen Ländern bereits ein großes Problem, das sich im Kontext des Klimawandels und der innerstädtischen Verdichtung weiter verstärken wird. Studien zeigen, dass Ziegelfassaden mit niedrigem Reflexionsvermögen im Vergleich zu stark isolierten Hüllen die extreme Wärmebelastung für Fußgänger während des Tages um 26% reduzieren können. Eine weitere Studie untersucht die Auswirkungen einer bewässerten Ziegelmauer und die Ergebnisse zeigen, dass die Oberflächentemperatur der Wand tagsüber um durchschnittlich 5 ° C niedriger ist als die Umgebungstemperatur. Vor diesem Hintergrund werden Architektinnen und Architekten zukünftig vermehrt bei ihrer Materialauswahl für Fassaden auf die Wärmespeicherkapazität der Materialien und thermisch reflektierenden Eigenschaften achten müssen«, erläutert Philipp Molter die Ausgangssituation. Die besten Ergebnisse mit den niedrigsten Oberflächentemperaturen zeigen im Vergleich aller üblichen Fassadenmaterialien begrünte Fassaden. Dies ist auf die Verdunstungskühlung durch die Feuchtigkeit in den Blättern zurückzuführen. Die Studie der TU München soll nun ermitteln, ob dieser Effekt aufgrund ihrer Porosität und Wasseraufnahmefähigkeit auch auf Ziegel übertragbar ist.

Hygrothermik in Aktion
In einem Versuchsaufbau wurden die hygrothermischen Zusammenhänge, also der gekoppelte Wärme- und Feuchtetransport in den Steinen, ermittelt und die Oberflächentemperaturen sowie die Intensität der Verdunstungskühlung bei Ziegeln unterschiedlicher Dichte und Farbe gemessen. Dafür wurden verschiedene Arten der Bewässerung unter wechselnden Umgebungsbedingungen zu unterschiedlichen Tageszeiten erprobt. Im Durchschnitt zeigte sich, dass die Oberflächentemperaturen von nassen Ziegeln durch die Verdunstungskühlung rund 7°C niedriger liegen als die von trockenen Ziegeln. Auch die Farbe der Ziegelsteine beeinflusst die Temperaturkurve, wie eine Differenz von 5,4° C zwischen hellen und dunklen Steinen aufzeigte. Die Oberflächentemperatur der verschiedenen Ziegelsorten zeigt unterschiedliche Aufheizpotentiale sowie variierendes Verdunstungsverhalten. Ein roter Ziegelstein mit Löchern wies die kühlsten Temperaturen auf, vermutlich aufgrund der geringsten Dichte, der hohen Wasseraufnahmekapazität und daher auch der stärksten Verdungstungskühlung.

Die Wissenschaftler gehen nach den ersten Testreihen davon aus, dass die Ziegeleigenschaften Porosität, Wasserabsorptionsverhalten und Farbe in Kombination mit dem Effekt der Verdunstungskühlung gezielt dazu eingesetzt werden können, die Oberflächentemperaturen von Gebäuden zu senken und dadurch einen Beitrag zur Lösung des Problems der urbanen Wärmeinseln zu leisten. Derzeit arbeiten sie an einem konkret umsetzbaren Bewässerungssystem zur Integration in Ziegelfassaden.

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