28.01.2014 Peter Popp

Selfies in 3D: Kinetische Fassade in Sotschi

Olympische Gesichtserkennung: Ausfahrbare teleskopische Zylinder sollen während der Winterspiele 2014 in Sotschi binnen Sekunden die Gesichter der Besucher in digitale Datensätze verwandeln und in Überlebensgröße auf die textile, weiße Membran einer interaktiven Fassade modellieren. Nach dem Beatbox Pavillon für die Olympischen Sommerspiele in London 2012 handelt es sich bei der kinetischen Fassade »MegaFaces« um die zweite Zusammenarbeit zwischen dem Londoner Architekten und Designer Asif Khan und dem interdisziplinär agierenden Baseler Ingenieurbüro für innovative Kommunikationskonzepte iart ag.

Rendering: Asif Khan

Die Entwickler der technisch komplexen Struktur vergleichen die Fassade "mit einem gigantischen Nagelkissen, auf dem dreidimensionale Abdrücke hinterlassen werden können". 10.000 teleskopische Zylinder aus Aluminium sorgen dafür, dass auf der Fassade gleichzeitig drei Gesichter in einer Dimension von je acht Meter Höhe und sechs Meter Breite angezeigt werden können. Diese sogenannten "Aktuatoren" sind trigonal angeordnet und können über ein Antriebs- und ein Seilzugsystem bis zu zwei Meter aus- und wieder eingefahren werden.
In weniger als 15 Sekunden kann maximale Plastizität erreicht werden.

Schnitt, Grafik: iart ag

»Das Digitalisieren von dreidimensionalen Objekten ist im Moment ein viel beachtetes Thema, insbesondere im Zusammenhang mit 3D-Druckern. Die Schwierigkeit in unserem Fall lag bei der Entwicklung eines Systems, das den spezifischen Anforderungen des Projekts bezüglich der Schnelligkeit, Benutzerfreundlichkeit und Bildqualität entsprach. Wir konnten nicht verlangen, dass jemand eine Minute still sitzt, um sich von einem 3D-Laser-Scanner abtasten zu lassen. Der Prozess musste schnell und einfach ablaufen wie bei einem handelsüblichen Passfotoautomaten. 

Das System, das wir schlussendlich gebaut haben, bietet die optimale Kombination eines schnellen Scanning-Prozesses und eines ausreichend guten Modells für die Darstellung auf der Fassade. Es basiert auf einem fotografischen Ansatz, sprich, es macht ‚klick‘ und die Fotos sind gemacht. Alles andere geschieht im Hintergrund. Im Moment beträgt die Berechnungszeit für eine dreidimensionale Darstellung des Gesichts aus den fünf aufgenommenen Bildern ungefähr eine Minute.«
(Valentin Spiess, CEO iart ag und Chief Engineer der MegaFaces Fassade)

Technical Workflow, Grafik: iart ag

Jeder einzelne der 10.000 teleskopischen Zylinder trägt an der Spitze eine videofähige RGB-LED-Kugel. Diese sind an der textilen Membran fixiert, welche die gesamte Fassade umspannt. Die Entwickler erhoffen sich dadurch ein cineastisches Erlebnis: "Der entstehende Effekt lässt den Pavillon zum Mount Rushmore des digitalen Zeitalters werden: Gesichter, wie in weißen Stein gemeisselt, erwachen zum Leben, nehmen Form an und verschwinden wieder, nur um sich in ein neues Gesicht zu verwandeln." 

Zwanzig Sekunden haben Selfie-Aficionados dafür Zeit all dies in sich aufzusaugen und ganz nebenbei als multiple Darsteller zu agieren, die sich selbst in einem großen Moment ablichten – wenn es gelingt in Form eines Hyper-Selfies. Es ist also Konzentration angesagt!
Insgesamt 170.000 verschiedene Gesichter werden während der Olympischen Spiele zu sehen sein. Es sollte nicht verwundern, wenn einzelne Profilbilder auf Facebook, Twitter oder Instagram zumindest für die Kurzlebigkeit eines Hypes auf den "Sotschi-MegaFaces-Look" setzen.

Rendering: Asif Khan

In Auftrag gegeben wurde der Pavillon vom russischen Telekommunikationsunternehmen MegaFon, einem der Sponsorenpartner der Spiele. Das trägt natürlich nicht unbedingt dazu bei, die gesamte Unternehmung von einem kapitalistisch motivierten Generalverdacht freizusprechen. Wo das Einsammeln sensibler persönlicher Daten immanenter Bestandteil einer marketingstrategischen Aktion ist, lassen sich Fragen nach dem Nutzwert recht eindeutig zuordnen. Abhalten lassen werden sich davon die Wenigsten. Wer mit seinem Konterfei während der Olympischen Winterspiele also einen überdimensonalen Abdruck hinterlassen möchte, sollte in der zweiten oder dritten Februarwoche unbedingt Station in Sotschi machen und sich dort scannen lassen. Eher spießige Zeitgenossen oder Verschwörungsphobiker betrachten das Spektakel besser aus der Ferne.
PhotoBooths
  • 8 3D-Fotoautomaten
  • 5 Fotografien bilden ein 3D-Porträt
  • 60 Sekunden Rechenzeit pro 3D-Porträt 

Fassade
  • jedes Gesicht hat eine Größe von 8 x 6 m
  • wird überspannt von einer extrem dehnbaren Stoffmembran
  • 170 Tonnen schwer (105 Tonnen Aktuatoren, 65 Tonnen Tragkonstruktion)
  • besteht aus über 10 000 teleskopischen Aktuatoren und 160 Modulen mit je 128 bzw. 64 Aktuatoren
  • die Aktuatoren bestehen aus 50 km Aluminiumprofilen, 190 km Kunstfaserseilen, 110 kW RGB-LED-Lichtern, 187 000 Kugellagern
  • die Gesamtsteuerung inkl. PhotoBooths besteht aus 100 Prozessoren mit insgesamt 200 GB RAM, 50 TB Disc Speicher

Rendering: Asif Khan

Die Teilnahme ist einfach: Wer sein Gesicht an der Fassade sehen möchte, lässt sich in einem der von iart eigens für dieses Projekt entwickelten 3D-Fotoautomaten scannen – entweder direkt vor Ort oder im Vorfeld der Spiele in ausgewählten MegaFon-Filialen. Dazu werden gleichzeitig fünf Fotos aus unterschiedlichen Winkeln aufgenommen, zu einem 3D-Bild zusammengefügt und an die Fassade gesendet.

Teilnehmer können zudem über eine Webseite live den Moment mitverfolgen, an dem ihr Gesicht an der Fassade erscheint und erhalten ein persönliches, zwanzig Sekunden langes Video. 
https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/M/e/Mega-Faces-Fassade-Teaser.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image
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