Lebende Bauten: Platanenkubus Nagold

Der Platanenkubus Nagold ist die bislang größte baubotanische Konstruktion und gleichzeitig die erste, die konkret für einen urbanen Kontext geplant wurde. Das Projekt wurde von Dr. Ferdinand Ludwig, Institut Grundlagen Moderner Architektur IGMA der Universität Stuttgart, und dem Architekten und Stadtplaner Daniel Schönle als Beitrag zur Landesgartenschau 2012 in Nagold konzipiert. Das begehbare baubotanische Bauwerk besteht aus stählernen Konstruktionselementen, eingewachsen in lebende pflanzliche Strukturen. Etwa 1.000 junge Platanen wurden in sechs Ebenen übereinander angeordnet und bilden grüne Blätterwände, die einen Raum entstehen lassen, der einer künstlich gebildeten Baumkrone ähnelt.

Alle Fotos und Grafiken: Ludwig.Schönle

Baubotanik Der Begriff Baubotanik wurde am Institut Grundlagen Moderner Architektur IGMA der Universität Stuttgart geprägt und steht für den Ansatz, mit lebenden Pflanzen zu konstruieren. Bei dieser Bauweise werden Konstruktionselemente aus klassischen Baumaterialien mit pflanzlichen Strukturen verbunden. Im Laufe der Jahre entsteht so eine Konstruktion aus lebenden und nicht-lebenden Tragelementen. Einzelne Pflanzen verschmelzen zu einem neuen, größeren Gesamtorganismus, und technische Elemente wachsen in die pflanzliche Struktur ein. Die anfangs notwendige, unterstützende technische Konstruktion wird nach einigen Jahren teilweise entfernt. Hinter diesem Ansatz steht ein Wunsch, der sich in der Geschichte der Architektur in unterschiedlichster Art und Weise artikulierte: die Verlebendigung der Architektur.

Forschungsvorhaben Um Pflanzen im Sinne der Baubotanik als lebende Konstruktionselemente nutzbar zu machen, sind umfangreiche Untersuchungen von Verwachsungen und verschiedene Techniken des Pflanzenverbindens erforderlich. In einem Forschungsprojekt im Rahmen der Promotion von Dr. Ferdinand Ludwig bei Prof. Dr. Gerd de Bruyn (IGMA) und Prof. Dr. Thomas Speck (PBG Freiburg) wurde die Eignung unterschiedlicher Verbindungsmethoden und der Einfluss der Baumart auf das Verwachsungsergebnis untersucht. Dabei konnten mehrere Stufen dieses Verwachsungsprozesses dokumentiert werden: Zunächst kann an den Berührstellen meist ein gegenseitiges Umwallen der Verwachsungspartner beobachtet werden. Anschließend verbinden sich die Rindengewebe, indem an gegenüberliegenden Stellen der beiden Verwachsungspartner im äußeren Rindenbereich kallusartige Gewebe entstehen, die miteinander verschmelzen. Teilweise sind diese Verbindungen äußerlich erkennbar, teilweise werden sie erst im Schnitt sichtbar. Wenn die Rindengewebe über größere Bereiche miteinander verwachsen sind, kommt es partiell zu einer „Verschmelzung“ der Holzkörper. An Stellen, an denen es nicht zum Verbinden der Holzkörper kommt, verbleiben Reste lebender oder abgestorbener Rindengewebe in der Verwachsung. Durch Parallel- und Kreuzverwachsungen entstehen selbstständig lebensfähige, robuste und statisch belastbare Pflanzenstrukturen.

Modellprojekt Platanenkubus Nagold Der Platanenkubus Nagold ist das bislang größte baubotanische Bauwerk und gleichzeitig das erste, das konkret für einen urbanen Kontext geplant wurde. Es wurde als Beitrag zur Landesgartenschau 2012 in Nagold konzipiert. Das begehbare baubotanische Bauwerk besteht aus stählernen Konstruktionselementen wie Treppen und Galerien, eingewachsen in lebende pflanzliche Strukturen. Etwa 1.000 junge Platanen wurden in sechs Ebenen übereinander angeordnet und bilden grüne Blätterwände, die einen Raum entstehen lassen, der einer künstlich gebildeten Baumkrone ähnelt. Im Laufe der Zeit wächst die Stahlkonstruktion an definierten Punkten in die Pflanzenstruktur ein. Auf diese Weise entsteht ein stabiles, sich selbst versorgendes Pflanzenkonstrukt, sodass nach und nach die anfangs notwendigen Pflanzbehälter und auch die stählernen Eckstützen entfernt werden können. Dieser Prozess war während der Landesgartenschau bereits in Ansätzen sichtbar, da die Pflanzen an den Verbindungsstellen bereits erste Verwachsungen zeigen – insgesamt vergehen jedoch bis zu 20 Jahre, bis die Pflanzen eine entsprechende Tragfähigkeit erreicht haben.

Die Wachstumsprozesse der Pflanzenstruktur verändern im Laufe der Jahre nicht grundsätzlich die Geometrie des Bauwerks, sie verändern jedoch die Proportionen: Anfangs entsteht eine homogene, von der Basis bis zur Spitze durchgehende Blattfläche, eine grüne Wand. Im Laufe der Zeit – wenn die Pflanzen verwachsen sind – wird sich oberhalb der baubotanischen Struktur eine Baumkrone entwickeln, während gleichzeitig im unteren Bereich die fachwerkartig ausgebildete Stammstruktur immer stärker hervortreten wird. Das Grün weicht hier mehr und mehr einer hölzernen Struktur und es entwickelt sich die typische Rinde einer Platane. Oben wird sich durch die Kronenentwicklung der anfänglich zum Himmel hin offene Innenraum im Laufe der Zeit mehr und mehr schließen.

Das Planungsteam, Ferdinand Ludwig und Daniel Schönle, versteht das Bauwerk als einen konstruierten Baum, einen regelmäßigen Würfel, der seine Gestalt im Laufe der Jahre immer wieder verändern wird. In seiner geometrischen Gestaltung und durch die unterschiedlichen Ebenen und Treppen wird jedoch auch der architektonische Charakter deutlich. Diese räumlichen und sinnlichen Qualitäten machen auch die ökologischen Potenziale der Baubotanik unmittelbar erlebbar: Durch die hohe Verdunstungsleistung der Blätter kühlen sie die Luft und schaffen so ein angenehmes Mikroklima. Durch ihre große Blattfläche sind sie auch in der Lage, in erheblichem Umfang Feinstaub zu binden. Trotz seines technischen Charakters ist der Innenraum des Platanenkubus ein Ort der Stille. Die Atmosphäre ist einerseits durch Schläuche, Regler, Sensoren und Ventile geprägt, andererseits durch das frische Grün der jungen Blätter und Triebe oder die herbstliche Färbung der Baumkrone. Die Blätterwände filtern den Geräuschpegel des Veranstaltungsgeländes. Von den obersten Ebenen aus kann der Besucher unbemerkt das Treiben auf dem Gartenschaugelände überblicken und sich mit ein wenig Phantasie ausmalen, wie das Bauwerk in Zukunft aussehen könnte: Wenn in den Jahren nach der Gartenschau die Pflanzen dick und stabil genug geworden sind, sollen die temporären Stützen entfernt werden. Projektbeteiligte Planungsteam: Ludwig.Schoenle / Ferdinand Ludwig, Daniel Schönle
Forschungspartner: Institut Grundlagen Moderner Architektur und Entwerfen, Universität Stuttgart 
Auftraggeber: Landesgartenschau Nagold 2012 
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Brocke
Gartenbauliche Beratung: SecOp/GaLaTec 
Gartenbauliche Umsetzung: Karl Walker GmbH
Vorproduktion Pflanzen: Helix Pflanzensysteme 
Stahlbau: Stadler Stahlbau Quellen:
Landesgartenschau Nagold 2012 GmbH
Baubotanik Ferdinand Ludwig Weitere Informationen finden Sie hier 

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