11.10.2013 popp@detail.de

"To the sea, and not to see": BIG's Danish Maritime Museum

Text und Fotos: Frank Kaltenbach In Anwesenheit der dänischen Königin eröffnete das Team von BIG  (Bjarke Ingels Group) vergangenen Samstag das neue Dänische Schifffahrtsmuseum direkt vor Hamlets imposantem Schloss Kronberg. 1547 wurde mit dessen Bau begonnen, 1602 schließlich verfasste William Shakespeare sein berühmtes Theaterstück über das dänische Königshaus und den Prinzen HamletArchitekten: BIG Bjarke Ingels Group
Standort:
Kronborg 1, DK-3000 Helsingør

Der Rundgang beginnt schon Außen. Über die Zig-Zack-Rampe wird der Besucher immer tiefer in den Untergrund geführt, zum Eingang in der oberen Ebene der zwei unterirdischen Geschosse. Nach einer Rechtsdrehung verengt sich der Raum dramatisch und weitet sich kontinuierlich auf bis zum Heck des Docks, wo im Cafe die Betonwände aus nächster Nähe auch im Inneren erlebbar werden.

Grundriss Ebene -1, Grafik: BIG

Grundriss Ebene -2, Grafik: BIG

Die Lage ist exponiert. Auf einer Landzunge, die in den Öresund hinausragt, beherrscht Schloss Kronberg Jahrhunderte lang den gesamten Schiffahrtsverkehr am Nadelöhr der Ostsee zur Nordsee, wo das schwedische Ufer nur einen Steinwurf entfernt liegt.  Seit seiner Gründung 1915 ist in den Räumen des Schlosses auch das Dänische Schiffahrtsmuseum beheimatet. Als das Schloss Kronberg im Jahr 2000 auf die UNESCO-Welterbeliste gesetzt wird, erscheint die Suche nach einem neuen Standort für das Museum nicht einfach. Die Wahl fällt deshalb auf eine Baugrube, die direkt vor den Bastionen funktionslos ihr Dasein fristet: Ein 150 m langes, 25 m breites historisches Trockendock.

Lageplan, Grafik: BIG

Alle Teilnehmer des 2007 abgehaltenen Wettbewerbs halten sich an die Auschreibung und planen ihre Baumassen inmitten der Grube, bis auf ein Team: BIG organisiert die Ausstellungsräume in einem unterirdischen Ring um das Dock herum und lässt es als Atrium und größtes Ausstellungsstück des Museums fast unangetastet leer stehen. Trotz heftiger Proteste der Architektenschaft gewinnt das Projekt unter großem Zuspruch der internationalen Öffentlichkeit. Fast sieben Jahre später ist von dem neuen Museum tatsächlich nichts zu sehen. Die meisten Besucher kommen nach Helsingor mit der Bahn von Kopenhagen. Das neue Museum lässt sich perfekt mit einem Besuch des weltberühmten Louisiana Kunstmuseums verbinden, das nur wenige Haltestellen entfernt liegt. Wer vom Bahnhof am Hafen entlang geht, wird von der Silhouette von Schloss Kronberg angezogen. Eiligen Besuchern könnte es sogar passieren, dass sie eine Brücke über das Dock queren, das wie ein leerer Wassergraben das Schloss von der Stadt trennt, ohne das darunter liegende Museum zu sehen.
Einige der Brückenverbindungen waren schon vor dem Wettbewerb vorgegeben. Das Dock sollte aufgefüllt werden und als neues Grundstück von Straßen durchzogen sein.

Die Zig-Zack Brücken sind schließlich neue Zutaten des Entwurfs: Sie ergaben sich fast zwangsläufig durch die Anforderung, einen rollstuhlgerechten Zugang zum Haupteingang zu schaffen. Dort wo die Brücken an die Dockwand stoßen, ergeben sich auch für den Innenraum Orientierungspunkte mit Ausblicken ins Freie.  Bjarke Ingels führt durch das Gebäude:
Die schrägen Querverbindungen erinnern ein wenig an das Schaukeln eines Schiffes, und auch die Treppen sind eine Herausforderung an das Gleichgewicht: Nur jeweils eine Seite ist auf die erforderliche Breite nach dem baurechtlich zugelassenen Steigungsverhältnis ausgelegt. Zur anderen Seite verwinden und verziehen sich die Stufen, als seien sie in einem Sturm verformt worden. Am Bug reicht eine steile Treppe wie eine Leiter ins Dock hinab. Wie eine Skulptur ist sie an die Dockwand gelehnt und droht ständig abzurutschen.

Die Szenografie der niederländischen Architekten von Kossman Dejong harmoniert perfekt mit der Hülle: Glasvitrinen treiben wie Eisberge zwischen den kippenden Treppen und Rampen der Architektur.

»Wie eine Bugwelle stellt sich die breite Treppe am Ende des Rundgangs zum Ausgang hin auf. Im Foyer zieht am Ende der Eingangsrampe erneut die Silhouette von Hamlets Schloss alle Aufmerksamkeit auf sich.«

Bautechnisch war der Bau eine Herausforderung ohne Beispiel: Durch die Freistellung der Dockwand erhält die Wanne einen enormen Auftrieb, das gesamte Dock drohte sich zu heben. So galt auch für die Baustelle des Schiffahrtsmuseums nicht nur einmal: »To be or not to be«. Abhilfe konnte nur ein enges Raster von Verankerungen schaffen, das von Spezialtauchern in 40 Metern Tiefe in festem Grund verankert wurde. Somit ist das niedrigste Museum gleichzeitig eines der höchsten Bauwerke Dänemarks. 

Baustelle November 2011, Foto: Ole Thomsen

Besonders ist auch die Konstruktion der Brücken: Die obere Platte der Brücken muss als ebenerdige Fahrbahn Feuerwehrfahrzeuge tragen und die Längswände des Docks auseinanderdrücken, damit diese nicht vom Horizontalschub gegeneinander kollabieren. Deshalb ist sie aus Stahlbeton gefertigt. Die unteren Platten  sind mit rostbraunen Stahlketten von den Betondecken abgehängt. Der spezielle Schnitt der Passarellen im Fassadenbereich mit spitz zulaufenden Decken und Böden weitet den Blick  hinauf in den Himmel oder schräg hinunter zum Boden des Docks.

Schnitt, Grafik: BIG

Einen Spezialfall bildet das Auditorium: Als untere Plattform sind hier zwei dreieckige Stahlplatten gegeneinander verkippt und nur am Schnittpunkt gegenseitig aufgelagert. Die Platten wurden in China vorgefertigt, nach Helsingör geschifft und mit den größten Autokränen Skandinaviens in die Grube des Docks gehievt. Letztendlich sorgen elastische Auflager unter den Brückenplattformen für einen Spannungsausgleich, damit aufgrund unterschiedlicher Längendehnungen zwischen Betondecke und Stahlboden die filigranen Verglasungen nicht brechen.

»Das Neue Dänische Schiffahrtsmuseum wird gemeinsam mit Schloss Kronborg zu einer der wichtigsten Tourismusziele in Dänemark«, prophezeiht Kai-Uwe Bergmann, Partner bei BIG. »Bisher hatte das Museum 50 000 Besucher im Jahr. Das Louisiana- Museum zählt 1,5 Millionen. Wir rechnen damit, dass jeder dritte Louisiana-Besucher innerhalb seines Tagesausflugs nach Helsingör weiterfährt. Mit geschätzten 500 000 Besuchern würde sich die Besucherzahl verzehnfachen!« »Wie alter Wein, so werden auch Architekten mit den Jahren immer besser. Das heißt aber auch, dass sie nicht mehr so jung sind wie zuvor. Als wir den Wettbewerb für das Schiffahrtsmuseum begonnen haben, waren wir alle Anfang 30. Gestern haben wir meinen
39. Geburtstag gefeiert. Man kann also sagen, dass dieses Projekt fast ein Jahrzehnt unseres Lebens beansprucht hat.“

Der Einsatz aller Beteiligten bis zur letzten Minute vor dem Presserundgang hat sich gelohnt.
Mit dem Dänischen Schiffahrtsmuseum hat BIG erneut einen Bau abgeliefert, der durch konzeptionelle Innovation und städtebauliches Feingefühl überzeugt. Noch nie zuvor jedoch hatten die Architekten die Möglichkeit, ihre Materialkenntnis und Detailpräzision so präzise in die Realität umzusetzen. Die Qualität der Details ist es schließlich, die den Bau fast unsichtbar macht. Auch wenn sich das Gebäude in Reflexen aufzulösen scheint: Bei den Glashaltern, Ketten-Abhängungen und den Holzplanken des Bodens werden die Architekturelemente selbst zu Ausstellungsstücken, die sich nicht nur sehen lassen können, sondern eine Reise Wert sind. Eine Reise hinauf in den hohen Norden, wo innovative Architektur und die älteste Monarchie der Welt kein Widerspruch sind.

Visualisierung, erstellt im Büro von BIG:
Eine ausführliche Print-Dokumentation finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe
DETAIL 2014/4 zum Thema »Treppen, Rampen, Aufzüge«
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