15.12.2013 Florian Maier

Achtung Kunst! FRAC Centre in Orléans von Jakob + MacFarlane

Als einziges der 23 regionalen zeitgenössischen Kunstsammlungen in Frankreich (FRAC) präsentiert das jüngst eröffnete Museum in Orléans auch Architekturmodelle und Pläne. Der bereits etablierte Veranstaltungszyklus ArchiLab bildet regelmäßig die neuesten architekturrelevanten Entwicklungen in den Bereichen Gestaltung und Technologie ab. Diesen Innovationsgedanken will auch das Pariser Architekturbüro Jakob + MacFarlane mit seinem skulptural geformten Erweiterungsbau transportieren. Der Name ist auf jeden Fall Programm: „Les Turbulences“.

Architekten: Jakob + MacFarlane, Paris
Standort: Les Turbulences, 88 rue du Colombier, F-45000 Orléans

Foto: Nicolas Borel, © Jakob + MacFarlane

Im Zuge der kulturellen Dezentralisierungspolitik wurden in Frankreich Anfang der 1980er Jahre in jeder der 23 Regionen ein „Fonds Régional d’Art Contemporain” (FRAC) gegründet. Nach drei Jahrzehnten des Sammelns erhalten einige der FRACs nun ein neues Zuhause, um ihrem Auftrag auf moderne Art gerecht werden zu können: Kunstwerke konservieren, untereinander austauschen, Wissen vermitteln und das Bewusstsein für zeitgenössische Kunst zu schärfen.

Sieben Regionen haben sich entschieden, mit Unterstützung des Ministeriums für Kultur und Kommunikation sowie lokaler Behörden neue Einrichtungen zu bauen: Brittany, Provence-Alpes-Côte d’Azur, Franche-Comté (bereits geöffnet), Centre, Nord-Pas de Calais (Eröffnung September 2013), Aquitaine und Basse-Normandie (Fertigstellung 2015).

Foto: Nicolas Borel, © Jakob + MacFarlane

Standort
Die Anlage war im 18. Jahrhundert als Gefangenenlager angelegt und zwischenzeitlich als Hospiz genutzt worden. 1837 folgte eine Umnutzung als Militärdepot und erhielt den Namen „Subsistance militaires“. In den 1980er Jahren wurde das Gelände stillgelegt, von 1999 bis 2006 nutzen die Veranstalter des internationalen ArchiLab die Gebäude mit ihren Architekturforschungsprojekten. 2006 fiel die Entscheidung, dem FRAC Centre hier ein neues Zuhause zu geben.

Die große Herausforderung im Wettbewerb war, das alte Militärdepot zu sanieren, in ein Museum umzugestalten und gleichzeitig ein urbanes Signal zu setzen. Die Verantwortlichen verlangten, dass der letztliche Entwurf in Zusammenarbeit mit den Künstlern von Electronic Shadow angefertigt wird, was dem Projekt eine neue Dimension verlieh.

Postkarte vom damaligen Militärdepot.
Quelle: Stadtarchiv

Foto: Nicolas Borel, © Jakob + MacFarlane

Jakob + MacFarlane generierten eine dynamische Form, die auf parametrischer Deformation und dem Extrudieren vorhandener Raster in den alten Gebäuden basieren. Im Herzen der „Subsistances“ erheben sich drei Ausstülpungen aus Glas und Metall. Deren flüssige, hybride Gestalt sendet ein deutliches architektonisches Signal und interagiert mit der Umgebung. Das Prinzip des Auseinanderstrebens wurde auf die angrenzenden Bereiche ausgedehnt: Der Innenhof fungiert nun als öffentlicher Raum, dessen modulierte Oberfläche die Topografie interpretiert und  eine Verbindung zwischen den einzelnen Gebäuden herstellt – die Eingänge liegen den natürlichen Gegebenheiten angepasst auf verschiedenen Ebenen.

Foto: Nicolas Borel, © Jakob + MacFarlane

Durch den Abriss eines Gebäudes und der umgebenden Mauer am Boulevard Rocheplatte öffnet sich der vorher abgeschottete Komplex nun weit zur Stadt hin. Die urbane Fassade des FRAC Centre soll somit auch eine sichtbare Verbindung zum kulturellen Netzwerk von Orléans herstellen. Gleichzeitig bewirkte die Öffnung, dass der Innenhof jetzt als öffentlicher Platz genutzt werden kann. Das neue Eingangsgebäude verleiht den „Subsistances“ eine durchgehende Struktur und Geometrie und wird selbst zum Gravitationszentrum. Im Inneren der Kamine aus Glas und Stahl befindet sich der Empfangsbereich des FRAC. Von dort werden die Besucherströme zu den Ausstellungen in den Hauptgebäuden gelenkt. Die röhrenförmige Metallstruktur besteht außen aus Aluminium-Paneelen – teilweise perforiert – und innen aus Holzpaneelen, sämtliche Einzelteile einzigartig geformt. Eine innenliegende, zweite Struktur verleiht dem Ganzen Halt. Der untere Teil ist mit vorgefertigten Betonplatten verkleidet, die das Gebäude mit dem Innenhof verschmelzen.

Grundriss

“Les Turbulences” wurden vollständig digital entworfen. Alle betroffenen Gewerke leiteten sich von der selben, urspünglichen Modelling-Datei ab. Die vorgefertigten Teile wurden zuerst probeweise in der Fabrik zusammengesetzt, die Röhren anschließend verschweißt und dann auf der Baustelle montiert.

Foto: Nicolas Borel, © Jakob + MacFarlane

Der zeichenhafte Eingriff in den Bestand verleiht den „Subsistances“ schlagartig einen völlig neuen Charakter. Spannung entsteht dabei zwischen der facettenhaften Geometrie der „Turbulences“ und der Symmetrie und Nüchternheit der Bestandsgebäude, die nach wie vor sichtbar sind. Architektur und zeitgenössische Kunst sollen sich im FRAC künftig auf Augenhöhe begegnen. Die „Turbulences“ wollen durchlässig sein für urbane Strömungen und damit Sinnbild für einen Ort, der dem Experimentieren in allen Formen gewidmet ist, dem Verschmelzen von Disziplinen, sowie allen Veränderungen in der Architektur im digitalen Zeitalter.

Foto: Nicolas Borel, © Jakob + MacFarlane

Der Beitrag von “Electronic Shadow”
Der Erweiterungsbau führt das Prinzip der Interaktion mit der städtischen Umgebung ein – verkörpert durch eine “Außenhaut aus Licht” auf den “Turbulences”, die vom Künstlerduo “Electronic Shadow” in Person von Niziha Mestaoui und Yacine Aït Kaci entworfen wurde. Sie waren am Wettbewerb beteiligt und gewannen gemeinsam mit Jakob + MacFarlane.

“Electronic Shadow” überzogen Teile des Erweiterungsbaus mit hunderten von Leuchtdioden, um eine Medienfassade zu erzeugen als dynamische Schnittstelle zwischen Gebäude und öffentlichem Raum. Die Verteilung der Dioden entlang der Entwurfslinien erfolgte in unterschiedlicher Dichte. So wachsen die Lichter vom Punkt zur Linie, von der Linie zur Oberfläche, von der Oberfläche zum Volumen und vom Volumen zum Gesamtbild. Diese Haut aus Licht reagiert in Echtzeit auf Impulse von außen, zum Beispiel auf Tageslicht oder Wind, oder kann von den Künstlern gestaltete Animationen wiedergeben.

Foto: Nicolas Borel, © Jakob + MacFarlane

Funktionen im neuen FRAC

Die Nutzfläche beträgt ca. 3.000 m² und bietet alles, was die Einrichtung zur Stärkung der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Sammlung braucht.
  • Eine Dauerausstellung auf 375 m² ist der Kunst und experimentellen Architektur gewidmet und zeigt die kennzeichnenden Arbeiten der Sammlung des FRAC Centre.
  • Ein Rundgang führt die Besucher durch die temporären Ausstellungsflächen von 1.100 m² innerhalb eines U-förmigen Gebäudes. In fünf Räumen werden hier monographische und Themen- Ausstellungen zu sehen sein.
  • Für Schulkinder wurde auf 180 m² das „MicroLab“ für Workshops eingerichtet. Studenten und Wissenschaftler können nach Anmeldung im Dokumentationszentrum recherchieren.
  • Darüber hinaus stehen auf 1.500 m² Lagerräume für Kunstwerke nach modernen Standards zur Verfügung.
  • Der öffentliche Bereich ist für verschiedene Zwecke geeignet und umfasst Gastronomie, einen Buchladen, Räume für Präsentationen usw.
  • Der Garten hinter dem Zentralgebäude soll  der Entspannung dienen, ist aber auch für Veranstaltungen wie Kino-Open-Air vorgesehen.

Level 0: 1. Café des Turbulences, 2. Screening Raum, 3. Galerie des Turbulences, 4. Galerie des Fours à pain, 5. Workshops / MicroLab, 6. Buchladen, 7. Garten

Level 1: 1. Dauerausstellung

Level 2: 1. Zentrale Galerie, 2. Galerie des Subsistances

Vincent Mauger, Cocon, 2012-2013

Matsys (Andrew Kudless), P_Wall, 2012-2013

Toyo Ito, Aluminium House, 1970-1971. Photograph: François Lauginie, Collection FRAC Centre, Orléans

Superstudio, Monumento Continuo, 1969. Collection FRAC Centre

Peter Cook (Archigram), Instant City Visits Bournemouth, 1968. Foto: Philippe Magnon, Collection FRAC Centre

Eröffnungsprogramm
Highlight der Eröffnung ist das 9. ArchiLab, Laufzeit 14. September 2013 bis 2. Februar 2014 unter dem Titel “Naturalizing Architecture”, begleitet von etwa 30 Veranstaltungen in Orléans und Umgebung. Das ArchiLab gilt international als wahres Versuchslabor der Architektur, bei dem die neuesten Möglichkeiten in Gestaltung und Technologie zu sehen sind.

Programm (PDF download) ArchiLab Galerie
Einmalige Architektur-Sammlung
Sammlung, Labor, Ressource, Forschungszentrum, Experimentierraum – das alles soll das FRAC Centre für Kunst und Architektur sein. So vereint die Sammlung Exponate aus zeitgenössischer Kunst und Architektur beginnend in den 1950er Jahren. Sie umfasst rund 15.000 Architekturzeichnungen, 800 Modelle und 600 künstlerische Arbeiten.

Einige Exponate der Dauerausstellung
Zur Eröffnung des neuen FRAC-Standortes in Orléans wurde das Projekt "HygroSkin - Metoesensitive Pavilion" beim Institute for Computational Design (ICD) der Universität Stuttgart in Auftrag gegeben und ist neben vielen weiteren Exponaten (siehe nachfolgend) ab sofort Teil der Dauerausstellung.

Innenraum des Pavillons. Foto: © ICD Universität Stuttgart

Innovative und mutige Architektur
Das FRAC Centre in Orléans entstand auf einem ehemaligen Militärgelände („Subsistances militaires“), das von den Architekten Jakob + MacFarlane renoviert und umgebaut wurde. Ziel war, Komfort und Funktionalitäten zu schaffen, die am alten Standort fehlten. Das neue FRAC beinhaltet nun eine Dauerausstellung, temporäre Ausstellungen, öffentliche Bereiche, ein Dokumentationszentrum, Räume für Workshops und ähnliche Einrichtungen.

Jakob + MacFarlane entschieden sich für ein Gebäude mit starker physischer Präsenz. Wie Kamine oder Turbinenschächte wachsen die kantigen, röhrenförmigen Gehäuse aus eloxiertem Aluminium aus dem Boden und prägen den historischen Ort neu. Die Aluminium-Paneele sind teilweise mit einem interaktiven LED-Netz überzogen, entworfen von zwei Künstlern, die unter dem Namen „Electronic Shadow“ zusammenarbeiten.
Mehr zum Thema in der DETAIL Sonderpublikation 12|2013 Integrative Fassaden.
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