Familiäres Kulturerbe: Haus Tugendhat

1930 wurde eines der bedeutendsten Gebäude moderner Architektur fertiggestellt: Die Villa Tugendhat im heute tschechischen Brno. Entworfen und bis ins Detail designt von Ludwig Mies van der Rohe. Regisseur Dieter Reifarth fängt in seinem Dokumentarfilm die Geschichte, die Geschichten und die Seele des weltberühmten Hauses ein.

Was erwartet man von einem Film über eines der bedeutendsten Gebäude der europäischen Moderne? Die ersten Minuten von Dieter Reifarths Dokumentation widmen sich gänzlich dem Haus. Liebevoll durchstreift die Kamera die Villa und zeigt die klare Eleganz. Diesen Aufnahmen nach der Restaurierung 2012 werden schwarz/weiß Fotos von 1930/31, nicht lange nach der Erbauung, zwischengeschaltet.

Darüber gelegt sind ebenfalls aus den 30er Jahren stammende Aussagen über das Haus, die die polarisierende Wirkung der Villa aufzeigen. Hier geht es um die Architektur, die in den Raum integrierte Stahlkonstruktion, die Glasfassade mit versenkbaren Scheiben, die Onyxwand, die hohen Türen und um das künstlerische Gesamtkonzept. „Ob die Bewohner die großartige Pathetik dieser Räume dauernd ertragen werden ohne innerlich zu rebellieren? Ist dieser herrlich reine und zugleich aber in seiner Strenge und inneren Monumentalität als ständige Umgebung unerträgliche Stil des Hauses Tugendhat nicht im eigentlichen Sinne ein Repräsentationsstil für Empfangsräume?“ Leider lassen sich die Zitate niemandem zuordnen, aber sie erfassen den Esprit. „Wenn ich diese Räume und alles, was darin ist, auf mich als Ganzes einwirken lasse, dann empfinde ich deutlich: Das ist Schönheit. Das ist Wahrheit.“

Haus Tugendhat - ca. 1930/1931 - Foto: Rudolf de Sandalo, © strandfilm, Pandora Film Verleih

Nach der Flucht vor dem Naziregime wird die Familie Tugendhat enteignet, die Villa vermietet. Von einer Tanzschule wird sie zu einem Krankenhaus, zu einem Verhandlungsort politischer Diskussionen. 2001 erklärt die UNESCO die Villa Tugendhat aufgrund ihrer Bedeutung als architektonisches Kunstwerk zum Weltkulturerbe. 2010 beginnen die Restaurierungsarbeiten und seit 2012 ist sie als Museum der Öffentlichkeit zugänglich.

Barclelona Chairs (Replikate), © strandfilm, Pandora Film Verleih

Anhand der Geschichte des Hauses zeichnet Reifarth das Portrait einer Familie und erzählt von der Bedeutung, die die Villa für die Menschen hatte und noch immer hat. Das Haus selbst gerät so einerseits in den Hintergrund und bleibt gleichzeitig als unaufdringliche Konstante präsent. In Interviews, mittels Fotos und alten Videoaufzeichnungen lässt der Regisseur die Tugendhats sowie ehemalige Bewohner, Kunsthistoriker und Wissenschaftler zu Wort kommen. Oft sind es die Aufnahmen der Interviewpartner, in denen nicht gesprochen wird, die am meisten sagen. In seiner Schlichtheit wird „Haus Tugendhat“ so ein sehr komplexer Film. Denn Reifarth greift die Struktur der Villa Tugendhat und die Prämisse Mies van der Rohes auf und macht sie zum Konzept der filmischen Machart: „Weniger ist mehr“.

Wenn man keinen Film über Architektur erwartet, sondern an der identitätsstiftenden Wirkung eines Gebäudes und einer Familiengeschichte interessiert ist, ist dieser Film auf jeden Fall sehenswert.
Die DVD bringt nun noch 167 Minuten an Zusatzmaterial mit sich. Darunter eine 90 minütige detaillierte Dokumentation über die Restaurierung, einen Beitrag über „Architekturfotografie, Mies van der Rohe, Neues Bauen“ oder aus dem Hauptfilm herausgelassene Outtakes. So werden das Filmerlebnis und das Wissen über das Haus Tugendhat noch einmal deutlich erweitert.

Der Dokumentarfilm "Haus Tugendhat" wird aktuell in ausgewählten Kinos gezeigt. Kinotermine 11. Juli - 17. Juli 2013
Alternativer Filmteaser

Haus Tugendhat - Detailaufnahme:
Onyxwand im durchscheinenden Sonnenlicht
© Strandfilm, Pandora Film Verleih

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