06.08.2012 Cordula Vielhauer

Adhocracy oder Partizipationsfolklore? „Open-Source-Strategien“ in der Diskussion

Der aus der Computerwelt stammende Begriff der „Open Source“ wird in der Welt der Gestaltung derzeit herumgereicht wie eine dicke Tüte: In Mailand widmeten Domus und Audi dem Thema im Frühjahr 2012 mit der Ausstellung „The Future in the Making” eine große Plattform, Designkritiker Volker Albus erklärte unlängst partizipatorische Bürgerbewegungen zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren aktueller Gestaltungsprozesse* und Designmagazine sind voll von Produkten, die entweder „im Dialog mit dem Nutzer“ entstehen oder letzteren zumindest „in den Produktionsprozess integrieren“: Seien es die Niederländer von droog design mit ihrem 2011 in Mailand vorgestellten „Design for Download“ oder der Berliner Le van Bo mit seinen 2011 auf dem DMY gezeigten „Hartz-IV-Möbeln“. Der Nutzer als Mitgestalter ist das Credo, das über diesen Ansätzen steht.

droog: Design for Download

Fast hat man den Eindruck, nach Jahren des Kults um „Starchitects“ und Stardesigner werde hier eine mediale Antithese geschaffen, die den Autor zu Gunsten seiner Rezipienten aufgebe. Doch so einfach ist es nicht, denn auch die Protagonisten von partizipatorischen und Open-Source-Designstrategien sind selbstverständlich Autoren.

Joseph Grima, Chefredakteur des Architekturmagazins Domus, machte dies in seinem Vortrag im Rahmen des BMW Guggenheim Lab am 20. Juli 2012 deutlich. Kurator Carlo Ratti hatte den Abend unter das Thema „Open Source City“ gestellt, doch Grima ging immer wieder auf die Bedeutung Giorgio Vasaris ein, der im Rahmen seiner umfassenden Biografiensammlung italienischer Künstler als erster den Autoren künstlerischer Werke einen Platz in der Geschichte gesichert hatte. Zudem gab Grima einen Überblick über die Entwicklung partizipatorischer Designansätze: Von Enzo Maris siebziger-Jahre-Projekt „Autoprogettazione“ sowie den oben erwähnten droog designers über Fundraising-Plattformen wie „Kickstarter“ oder Flash-Mob-Aktionen zur Bespielung des öffentlichen Raums und der Individualisierbarkeit des Smartphones spannte er den Bogen bis zu den Raster-Zeichnungen der jungen Gruppe Open Structures, die er in eine Linie stellte mit den Entwürfen von Superstudio zum Infinite Monument.

Joseph Grima zu Open Source Cities in Berlin

In der anschließenden Diskussion ging es um die Frage, inwieweit Open-Source-Strategien in der Architektur zur Anwendung kämen. Der Publizist Andreas Ruby nannte als Beispiel die französischen Architekten Lacaton Vassal, die bei einem Projekt in Berlin einen offenen Entwurfsdialog mit einem ortsansässigen Büro sowie den Bauherren geführt hätten. Nachdem man den Architekten jahrelang eingebleut habe, sie müssten sich und ihr Büro zur „Marke“ stilisieren, solle das eigene Know-How nun plötzlich offen zur Verfügung gestellt werden?, war die naheliegende Gegenfrage. Hübsch war auch die Anekdote, das Lab habe kurz nach der Veröffentlichung des Programmpunkts mit dem Titel „Open Source City“ die erboste Zuschrift eines Lesers erhalten, er hätte sich ebenjenen Begriff urheberrechtlich schützen lassen... 

Autoprogettazione-Tisch in The Future in the Making

Netzwerkstruktur von Open Structures

Doch ist es tatsächlich der Gedanke der „Partizipation“, der den gemeinsamen Nenner für die von Grima vorgestellten Projekte bildet? Oder ist es nicht etwas Anderes? Wo fängt denn eigentlich Partizipation an? Und wo hört sie auf? Ist es wirklich schon „partizipatorisches Design“, wenn ich, wie Enzo Mari bei „Autoprogettazione“, dem Nutzer einen Bausatz zur Verfügung stelle, den er lediglich selbst zusammensetzen darf? IKEA macht das schließlich auch. Oder, wenn ich ihm diverse Pläne an die Hand gebe, nach denen er zu Hause „Hartz-IV-Möbel“ zimmern kann? Handelt es sich hier nicht vielmehr um Beispiele für „Partizipationsfolklore“?  

So nennt der Kunsthistoriker Christian Janecke in seinem Buch „Maschen der Kunst“ solche „interaktiven“ Kunstwerke, die den Betrachter letztlich zum „Handlanger“ des Künstlers machen – und ihn dadurch der Position einer kritisch-distanzierten Reflexion über das Kunstwerk berauben. Auf das Design übertragen, würde der Nutzer in den genannten Fällen schlicht zur erweiterten Produktionsstätte des Designers, ohne jedoch tatsächlich am eigentlichen Entwurfsprozess zu partizipieren. Fairerweise muss man an dieser Stelle jedoch hinzufügen, dass der Gedanke der Partizipation bei den genannten Designern gar nicht die Triebfeder ihrer Entwürfe war, sondern erst später als Attribut hinzugefügt wurde. Im Vordergrund stand vielmehr der Wunsch, ein kostengünstiges Möbel zu entwickeln. Lediglich bei droog’s „Design for Download“ darf der spätere Nutzer wenigstens ein paar Pixel verschieben, bevor er das nun maßgeschneiderte Möbel beim Schreiner um die Ecke bauen lässt. Fakt ist jedoch: Die Entwurfsleistung muss hier gerade besonders stark und einzigartig sein, damit sie den Imperfektionen einer Selbstproduktion wiedererkennbar standhält. 

Autoprogettazione 2.0: Schokolade aus dem 3D-Printer unter einem Deckengemälde von Tiepolo in The Future in the Making

Bei den Open-Source-Strategien, wie sie die Gruppe Open Structures (OS) pflegt, geht es dagegen wie in der Computerbranche darum, vom Wissen unterschiedlichster Personen bei der Entwicklung und Gestaltung verschiedenster Gegenstände zu profitieren: Grundlage sind hier das OS-Raster sowie die Regeln, die OS aufstellt, wie beispielsweise die Demontierbarkeit der Elemente. Die daraus gewonnenen Konstruktionselemente – wie diverse Lochplatten – sehen zunächst unspektakulär aus, können jedoch zu funktionsfähigen komplexen Maschinen wie beispielsweise preisgünstigen Traktoren zusammengesetzt werden. Ziel ist es, in einem kollektiven Prozess, Elemente für eine Art „flexibles dynamisches Puzzle“ zu kreieren. 

Auszug aus dem OS-Regelwerk

Was die vorgestellten Designstrategien jedoch verbindet, ist ihre Ästhetik eines „ad hoc“ (lat. „zu diesem“, verkürzt für „zu diesem Anlass gemacht“, spontan), wie Grima es nennt. Hier wird eine Imperfektion in der Herstellung antizipiert, da diese nahezu ohne Industrie stattfindet. Der gestalterische Entwurf kann „spontan“, ohne den Umweg über die industrielle Produktion, umgesetzt werden – ähnlich wie die via Social Media gesteuerten kollektiven Aktionen (scheinbar) ohne Vorbereitung „jetzt gleich “ stattfinden. Dass darin jedoch auch ein Zwang stecken kann, wird in dem von Grima dafür eingeführten Begriff „Adhocracy“ („Herrschaft des Spontanen“) deutlich, unter den er auch seine Ausstellung zur Designbiennale Istanbul stellen wird: „Eine Ideologie totaler Offenheit ist ebenso gefährlich wie die einer völligen Abschottung, da immer die Gefahr der Ausbeutung des kreativen Inputs besteht. Eine Technik an sich kann aber eigentlich nicht gut oder schlecht sein, sondern lediglich das Ziel, für das man sie einsetzt.“

(Cordula Vielhauer)

*im Rahmen der Präsentation des „Deutschen Design Museum“ im Herbst 2011 in Berlin
Weiterführende Links:

Open Structures: openstructures.net
droog design: www.drooglab.com
BMW Guggenheim Lab: www.bmwguggenheimlab.org
Designbiennale Istanbul: istanbuldesignbiennial.iksv.org 
Maschen der Kunst: www.zuklampen.de
The Future in the Making: www.domusweb.it
Autoprogettazione von Enzo Mari in einem Film auf www.artek.fi

Traktor nach dem Design von Open Structures, gezeigt von Joseph Grima in Berlin

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