Agro-urbane Architektur

Algenbewuchs im Fassadendemonstrator (Foto: Yuri Soldatov)

Die vermehrte Flächenkonkurrenz von Städten und Agrarflächen, die zunehmende Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen und die Verknappung von fossilen Brennstoffen erzwingen ein Überdenken aktueller Energie-, Agrar- und Stadtplanungskonzepte. Bisherige Formen der urbanen Landwirtschaft konzentrierten sich vorwiegend auf horizontale Flächen in Form von kleinteiligem Urban Gardening oder im größeren Maßstab als landwirtschaftliche Flächen im Stadtgebiet. Hinzu kommen vertikale Formen der Agrarproduktion in mehrgeschossigen Gebäuden. Für eine wirtschaftliche urbane Lebensmittelproduktion sind Aspekte der Rückführung und intelligenten Vernetzung von Stoffflüssen, wie Wärmeenergie, Abwasser, Abluft und Emissionen richtungsweisend, sowie die Flexibilität neben der Basisernährung auch gesundheitsorientierte, funktionelle Lebensmittel, Wirk- und Wertstoffe zu produzieren. Dafür ist eine Erschließung neuer Agrarflächen durch intelligent vernetzte Mikroagrarsysteme mit multifunktionalen Anwendungspotenzialen notwendig.

Algen-Bioreaktor für die Fassade
Im Rahmen des Forschungsschwerpunktes »Ressourceneffizienz« der Hochschule Augsburg wurde mit Kooperationspartnern im BMBF-Projekt »Next Generation Biofilm« ein industrienaher Photobioreaktor zur Kultivierung von Algen am Gebäude entwickelt. Konventionelle Landwirtschaft mit typischen Agrarpflanzen lässt sich an vertikalen Flächen nur mit erheblichem Aufwand praktizieren. Als Alternative bietet sich die Kombination aus Mikroalgen als Agrarpflanzen und Photobioreaktoren als vertikale Agrarsysteme an. Mikroalgen verfügen über einen hohen Eiweiß-, Vitamin- und Mineralgehalt und eignen sich deshalb beispielsweise als Nahrungsmittelergänzung und für die pharmazeutische Nutzung, aber auch als hochwertiger Dünger für die Nahrungsmittelproduktion.

In einem Algen-Bioreaktor entsteht unter Sonneneinstrahlung bei Zugabe von CO2 und einem Nährmedium oder Wasser Biomasse, die im Anschluss geerntet werden kann. Bisherige, meist mit Mikroalgen in Flüssigkeit (submers) betriebene Techniken, sind jedoch den Ressourcen- und Energieeinsatz betreffend weniger effizient. Neue Möglichkeiten eröffnen an Luft geführte (emerse) Verfahren mit terrestrischen Mikroalgen. Im Vergleich zu den herkömmlichen Algen-Bioreaktoren können durch den Einsatz von Aerosolen (Nebel) etwa 90 % Wasser und 20 bis 40 % Energie eingespart werden, weil Durchmischungs- und Trocknungsprozesse wegfallen. Außerdem sind die luftgeführten Bioreaktoren nur etwa halb so schwer wie ihre submersen Pendants. Dadurch eignen sie sich für eine nachträgliche Wandmontage oder auch als Ersatz für Bestandsfassaden.

Reaktortypen zur Gebäudeintegration
Im Projekt wurden verschiedene Reaktortypen analysiert, darunter freistehende Anlagen ebenso wie Reaktoren im Gebäudeinneren oder fassadenintegrierte Lösungen. Anhand von Platten-, Folien-, Hohlkammer- und Röhrenreaktoren wurde die Gebäudeintegration unter den biotechnischen Rahmenbedingungen für die Algenproduktion erforscht. Hierbei können die Reaktoren neben der gestalterischen auch eine technische Zusatzfunktion im Gebäude übernehmen, wie die Luft zu filtern, Kohlendioxid in Sauerstoff umzuwandeln oder einen Beitrag zum Wärmeschutz zu leisten. Die wärmegedämmten Elemente dienen der Verschattung und haben durch die Zerstäubung des Nährmediums eine adiabatische Kühlleistung.

Als Ergebnis der Forschungen im Labor entstand ein erster Fassadendemonstrator in Form eines Röhrenreaktors. Dieses System ist gut zu kontrollieren und kann mit herkömmlichen aquatischen Systemen verglichen werden. Ein weiterer Typ auf Basis von Hohlkammerreaktoren wird derzeit entwickelt. Während des Forschungsprojekts wurden auch verschiedene Kultivierungs- und Ernteverfahren getestet. Im aktuellen Prototyp wachsen die Algen direkt an den Innenflächen der Glasröhren. Das Aerosol, das Nähstoffe und Flüssigkeit liefert, wird mit einem Ultraschallzerstäuber erzeugt und mit Hilfe eines Lüfters verteilt. Dieser erzeugt Unterdruck im geschlossenen System, sodass das Aerosol durch den Reaktor geleitet wird. Das Kondensat wird wieder aufgefangen und kann erneut eingesetzt werden.

Licht ist für das Wachstum der Mikroorganismen ein entscheidender Faktor, weshalb die Fronten der Stahlkonstruktion vollflächig verglast sind. Um den Reaktor im Sommer vor Überhitzung zu schützen, kann die Einstrahlung durch eine schaltbare, elektochrome Verglasung reduziert oder die adiabatische Kühlleistung durch eine zusätzliche Evaporation erhöht werden. Die Steuereinheit, die alle technischen Komponenten enthält, befindet sich unterhalb der mäanderförmig angeordneten Glasröhren.

Urbane Landwirtschaft der Zukunft
Um die reale Einbausituation an der Fassade erforschen zu können, wird das Reaktorelement als fassadenintegrierte Variante in eine Fensterlaibung der Hochschule Augsburg eingebaut und messtechnisch überwacht. Faktoren, die zur breiten Implementierung von Mikroagrarsystemen im urbanen Raum beitragen, werden in einem Folgeprojekt analysiert. Der Einsatz von Photobioreaktoren an Gebäuden bietet die Möglichkeit, für jeden Standort die optimalen Mikroorganismen auszuwählen, deren Wuchsbedingungen einzustellen sowie bauphysikalische Synergien und vorhandene Stoffströme zu nutzen. Um möglichst wirtschaftlich Biomasse zu produzieren und die Einbindung in ein städtisches Umfeld zu optimieren, sollten Aspekte wie die urbane Entwicklung, die architektonische Integration, die Energie- und Stoffstromvernetzung sowie die technischen und biologischen Systeme weiter erforscht werden.

In der Förderstrategie der Bundesregierung hat im Bereich der Bioökonomie bereits ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Nun besteht auch ringender Bedarf diesen Wechsel in der Bauforschung durch einer »Biologisierung«von Architektur und Städtebaus aufzugreifen.

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