31.08.2006

Das zeitgemäße Museum: Formal inszeniert oder klassisch streng?

Wie ein silbern glänzendes Ufo ist das neue Mercedes-Benz Museum in der Stuttgarter Vorstadt gelandet und reiht sich damit ein in die Schar spektakulärer Kulturbauten der jüngeren Vergangenheit. Gleichgültig, ob es Werke der bildenden Kunst oder der Technikgeschichte zur Schau stellt: Das Museum als Institution hat sich längst vom erhabenen Bildungstempel zur glanzvollen Erlebniswelt entwickelt. Eine expressive Form dient dabei häufig der Selbstvermarktung. Bei kaum einem anderen Bautyp sind dem Entwerfer formal so große Freiheiten erlaubt, bei kaum einem anderen scheint der Kostendruck vergleichbar gering. Als Prototyp der extravaganten, gleichzeitig verschwenderisch teuren Form gilt nach wie vor Frank O. Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao, das mit seiner Aufsehen erregenden Geste als Katalysator für eine komplette Region fungiert. Gleichzeitig aber entfacht es die Diskussion, ob sich die Museumsarchitektur selbst derart in den Vordergrund drängen darf, anstatt als eher dezenter Behälter den Exponaten zu dienen. Eine Frage, auf die die beiden im vorliegenden Heft ausführlich präsentierten Bauten gegensätzliche Antworten geben. Sicherlich nimmt dabei das oben erwähnte Automuseum von Ben van Berkel und UN Studio eine Extremposition ein. Als computergenerierte Inszenierung scheint es wie geschaffen, zur Landmark zu werden. Damit folgt es dem aktuellen Trend der Autoindustrie, herausragende, meist futuristische Architektur zu nutzen, um das Markenimage zu stärken. Zusammen mit den Ausstellungsgestaltern ist den Architekten dabei ein dynamisches Raumwunder gelungen mit einer Vielfalt an Durchblicken, Bezügen und Perspektivwechseln, das mit theatralischen Showeffekten seinen Zweck als Automobil- und Firmenmuseum perfekt erfüllt. Eine vollkommen andere Haltung dagegen zeigt das (geographisch nicht weit entfernte) Literaturmuseum von David Chipperfield in Marbach. Unauffällig, ohne laute Gesten fügt es sich in die hügelige Topographie und verzichtet dabei auf alle überflüssigen Reize. Sein minimalistischer Ausdruck und die wenigen überwiegend edlen Materialien machen das Haus zu einem wahren Schatzkästchen für die empfindlichen Manu­skripte. Mit seiner klassischen Strenge wird es seinem Standort (der Geburtsstadt Schillers) sowie seiner Aufgabe als Literaturmuseum gerecht. Somit gehen beide Museen vorbildlich auf ihr jeweiliges Thema und ihre spezielle Situation ein. Die Frage kann also nicht lauten »Welches ist die für ein Museum zeitgemäße Form?«, sondern: »Welches ist die der jeweiligen Aufgabenstellung angemessene Haltung?«

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