26.06.2011

Design Models als Entwurfsmethode

Ben van Berkel über Entwurfsstrategien und die digitale Revolution im Architektenalltag DETAIL: In Ihrem Buch "Design Models"plädieren Sie dafür, das Entwerfen aus dem Tätigkeitsbereich der Architekten zu eliminieren. Meinen Sie das wirklich ernst?

Ben van Berkel: In gewisser Weise schon, aber in erster Linie ist es natürlich als Provokation gemeint. Wir stellen zur Debatte, ob man nicht das Design eliminieren soll. Zunächst gibt es ein Missverständnis zwischen dem angelsächsischen Begriff "Design" und dem "Entwerfen" im Deutschen oder im Holländischen. Heutzutage ist "Design" schon beinahe ein stigmatisierter Ausdruck, der oberflächliche modische Tendenzen bezeichnet. Wir möchten das Design in der Architektur nicht komplett abschaffen, aber wir wehren uns dagegen, dass es immer mehr nur als äußerliche Präsentation eines Entwurfs verstanden wird. Wir möchten dazu anregen, wieder neu über Entwurfstechniken nachzudenken. Bevor man sich über neue Designmethoden Gedanken macht, sollte man das Wort Design abschaffen und durch ein passenderes ersetzen.

DETAIL: Früher haben Sie mit Diagrammen als Entwurfsinstrumenten gearbeitet, die zum Beispiel den Strömungsverlauf um ein Raumschiff darstellten. Was ist neu an den Design Models?

Ben van Berkel: Wir haben heute fast unendlich viele Möglichkeiten, ein Gebäude zu gestalten - und Computerprogramme, die jede Form ermöglichen. An so renommierten Hochschulen wie der Columbia University in New York oder der Architecture Association in London werden die Konzepte, die wir mit einer kleinen Gruppe von Architekten in den 90er-Jahren erfunden haben, zwar nicht nur wiederholt, sondern weiterentwickelt. Trotzdem sehen viele Entwürfe ähnlich aus, anstatt das Potenzial der Vielfalt zu nutzen. Wir glauben, dass das an der Komplexität von Architektur liegt.

Die "Design Models" sollen helfen, diese Komplexität aufzuschlüsseln und eine disziplinierte Arbeitsweise zu entwickeln, quasi als Richtschnur auf dem Weg durch die unbegrenzten Möglichkeiten. Künstler oder Modedesigner sind uns einen Schritt voraus, wenn es darum geht, Entwurfsmethoden zu entwickeln. Sie schaffen Innovation, indem sie sich auf einen Teilbereich konzentrieren und die anderen Aspekte zunächst ausblenden, wenn sie zum Beispiel bei einer Kollektion die Farbe zum Hauptthema machen.

Wenn man ein solches Leitthema einmal gefunden hat, fällt es nicht mehr schwer, auch den richtigen Stoff zu finden, der die Farbe noch besser zur Geltung bringt. Oder denken sie an Andy Warhol, der die Drucktechnik von Roy Lichtenstein als Ausgangspunkt genommen hat und mit seinen Übermalungen etwas völlig Eigenständiges, Neues schuf.

DETAIL: Welche Rolle spielt für Sie die digitale Revolution im Hinblick auf Ihre Entwurfsstrategien?

Ben van Berkel: Sie spielt wirklich eine entscheidende Rolle. Mithilfe des computergestützten Entwerfens können wir die grundsätzlichen Typologien, die sich in der Baugeschichte herausgebildet haben, radikal hinterfragen und mit neuen Ingredienzen arbeiten. Um das zu verstehen, muss man sich zuerst die bisher gebräuchlichen Ordnungssysteme vergegenwärtigen. Die "Zutaten" der Moderne sind Stütze, Deckenplatte und offen verglaste Fassaden. Ein beliebtes System ist das orthogonale Raster oder die Collage bzw. Ordnungsraster, die sich durchdringen oder collageartig überlagern. Jede dieser Strategien kam im Laufe der Geschichte mal stärker, mal schwächer zum Tragen. Das eigentlich neue am Entwerfen mit Computern ist, dass wir uns nicht mehr für ein System entscheiden müssen, sondern mehrere Prinzipien miteinander zu einem weit komplexeren Ergebnis verschmelzen können.

DETAIL: Aber führt nicht genau diese Verschmelzung zu den immer gleichen Blob-Designs?

Ben van Berkel: Nicht, wenn man sich selbst ständig klarmacht, was man mit den digitalen Werkzeugen eigentlich tut. Interessant ist zum Beispiel, dass man den Übergang bei einer Durchdringung unterschiedlicher Elemente fließend steuern kann. Belässt man beide Elemente weitestgehend, erzeugt man die Wirkung einer Collage; mit zunehmender Verschmelzung schafft man immer mehr einen Hybrid. Diese Art des Hybrids, bei dem die Ausgangselemente noch spürbar sind, aber dennoch etwas völlig Neues entsteht, haben wir am Beipiel des "Manimals" veranschaulicht, einer Synthese aus Mensch (man) und Tier (animal).

DETAIL: Wie hat sich durch den Einsatz des Computers Ihr Arbeitsprozess geändert?

Ben van Berkel: Heute kann man den gesamten bisherigen linearen Ablauf der Planung neu denken. Früher sagten wir: Das ist die Skizze, das ist das Modell, daraus machen wir jetzt die Werkpläne. Noch vor zehn Jahren haben wir mehr oder weniger so gearbeitet. Seit fünf Jahren setzen wir komplexe Ingenieurtechnologien ein, um frühzeitig herauszufinden, wie weit wir ein bestimmtes Material verformen können. Indem wir unterschiedliche Materialien in unser parametrisches 3D-Datenmodell eingeben, können wir die jeweiligen Wechselwirkungen zwischen Kräften aus dem Tragwerk und äußeren Einwirkungen voraussehen. Erst wenn wir die Sicherheit haben, was im Detail technisch möglich ist, gehen wir zurück an formale Überlegungen.

Das ist eine revolutionäre Entwicklung mit enormem Potenzial. Heute gibt es viele technische Möglichkeiten. Wenn ich ein zweifach gekrümmtes Fassadenblech möchte, muss man sich rechtzeitig überlegen, ob ich das bereits in der Fabrik verforme oder erst auf der Baustelle biege oder etwa mit Fiberglas verstärke. Dadurch können Fassadenelemente dünner ausgebildet werden. Mit dem Computer untersuchen wir die Grenzbereiche eines Materials aufgrund seiner technischen Eigenschaften, aber ebenso innovative optische und haptische Effekte.

DETAIL: Heißt das, dass es in Ihrem Büro weder Zeichenstifte noch Modellbauer gibt?

Ben van Berkel: Wir beginnen nicht sofort am Rechner. Arbeitet man ausschließlich mit dem Computer, läuft man Gefahr, seine immaginativen und kreativen Möglichkeiten nicht voll auszuschöpfen oder falsch einzusetzen. Wir wechseln zwischen den Medien und wenden experimentelle Techniken an wie Modedesigner oder Komponisten zeitgenössischer Musik. Meist beginnen wir ganz spielerisch, indem wir uns vorstellen, welche Konsequenzen es hätte, wenn das Gebäude etwa ein Ball wäre.

Oder mitten im Entwurfsprozess bringe ich ein kleines Diagramm aus einem anderen Kontext ein, wir arbeiten also viel mit Metaphern. Dabei helfen uns physische Modelle, meist ganz einfache Papiermodelle, die die Idee klar veranschaulichen. Wir haben eine große Modellbauwerkstatt im Büro, nur die komplexen Modelle, die in Rapid-Prototyping-Technik hergestellt werden, vergeben wir nach außen. Um den Entwurf mit unterschiedlichen Materialien zu testen, stecken wir dann die Baukörper in verschiedene Kleider.

DETAIL: Sie könnten doch auch das digitale Modell mit Texturen, jeweils in verschiedenen Materialien, belegen. Worin liegen die Vorteile der physischen Modelle?

Ben van Berkel: Der entscheidende Vorteil physischer Modelle liegt in der Übersichtlichkeit. Außerdem vermitteln sie ein Gefühl für den Maßstab, was bei digitalen Modellen weitaus weniger gegeben ist. Aber natürlich arbeiten wir auch am digitalen Modell. Beim Bau der Erasmusbrücke haben wir diese Arbeitsweise der Ingenieure schätzen gelernt. Heute verwenden wir selbst fortschrittliche Ingenieurprogramme wie Topsolid und kombinieren sogar Programme miteinander, um die für uns beste Lösung zu erhalten.

DETAIL: Wäre es denn überhaupt möglich, ein so räumlich komplexes Gebäude zu schaffen wie das Mercedes-Benz Museum, ohne die Hilfe des Computers?

Ben van Berkel: Ehrlich gesagt, ich glaube, es wäre möglich. Aber es wäre niemals in der kurzen Zeit möglich, die wir zur Verfügung hatten. Was man aber wissen muss und was nicht selbstverständlich ist: Die Bauherren von Mercedes schufen die Voraussetzungen, damit wir mit den modernsten technischen Möglichkeiten arbeiten konnten. Da die gesamte Haustechnik in den Sichtbetonbauteilen intergriert ist, musste jedes Detail mit den Ingenieuren und Firmen abgestimmt sein. Schließlich galt es, ständig alle Planänderungen umgehend an bis zu 500 verschiedene Beteiligte zuverlässig zu versenden; zeitweise hatten wir bis zu 200 Aktualisierungen pro Tag.

DETAIL: Was machen Sie, wenn eine beauftragte Firma nicht das Know-how besitzt, an diesem digitalen Prozess teilzunehmen?

Ben van Berkel: Das haben wir von vornherein ausgeschlossen, indem wir Kenntnisse in digitalen Bauprozessen zu einer wesentlichen Bedingung bei der Auftragsvergabe gemacht haben. Wir haben sämtliche Fachplaner und Firmen genau gebrieft, ob sie das 3D-Modell verstehen und mit ihm arbeiten können. Bei der Kürze der Planungs- und Bauzeit waren wir darauf angewiesen, dass jeder Beteiligte von Anfang an mit den digitalen Techniken bestens vertraut ist.

DETAIL: Was ist der Vorteil eines parametrischen Modells?

Ben van Berkel: Ein parametrisches Modell bedeutet, dass es nicht nur die Lage verschiedener Punkte im Raum definiert, sondern die Beziehungen zwischen diesen Punkten. Beim Mercedes-Benz Museum sind kaum zwei der Tetrapodenstützen gleich. Wir haben diese Stützen aber nicht einzeln gezeichnet, sondern die Parameter für sie definiert beruhend auf der Lasteintragung, Schlankheit und der gekanteten Form. Ändert sich zum Beispiel der Gebäuderadius und damit Lasteintragung und Lage der Stützen, muss man nicht alle neu zeichnen und berechnen, sie generieren sich innerhalb der gesetzten Parameter von selbst. Die Verwaltung des Ausgangsmodells reduziert das Risiko von Fehlern und Fehlberechnungen. Sie hilft dabei, Material zu sparen und macht den Bauprozess kontrollierbar. Wir nennen dies digitale Nachhaltigkeit.

DETAIL: Benötigen Sie aufgrund des intensiven Computereinsatzes einen neuen Typ von Architekt in Ihrem Büro? Tobias Wallisser, der das Mercedes Museum betreut hat, ist ja ein ausgewiesener Computerspezialist.

Ben van Berkel: Auf jeden Fall. In den 90er-Jahren war Tobias einer der führenden Vordenker auf diesem Gebiet. Aber die Entwicklung verläuft rasant schnell. Ich sagte scherzhaft zu ihm, er sei aus der Maya-Generation, weil wir damals mit dem Computerprogramm Maya unsere 3D-Modelle erstellten. Heute benutzen wir unter anderem das Programm Topsolid und unsere jungen Mitarbeiter sind meist Computerfreaks, die sehr viel mit Scripting-Techniken arbeiten und Programme modifizieren. Viele von ihnen haben an der Städelschule in Frankfurt studiert, wo ich gemeinsam mit den besten Programmierspezialisten lehre. Sie machen während des Studiums bei UNStudio ein Praktikum und kommen nach dem Diplom wieder zu uns.

DETAIL: Zeichnen Sie selbst am Computer?

Ben van Berkel: Ich habe mich schon immer für Entwurfstechniken interessiert und war deshalb sehr aufgeschlossen gegenüber dieser Technologie, auch wenn ich eine ganz klassische Architekturausbildung hatte. Ich möchte immer genau die neuesten Techniken kennen, die gerade auf dem Markt sind, und halte mich über unsere Mitarbeiter auf dem Laufenden. Vor rund acht Jahren habe ich begonnen, mir das Programm 3D Studio Max beizubringen, ich kenne also die Prinzipien. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich mich heute hinter eine Tastatur setzen könnte, um selbstständig ein 3D-Modell zu bauen: Dazu wäre ich wohl nicht in der Lage. Ich bin eher der Komponist, der ein Orchester dirigiert, ohne alle Instrumente selbst spielen zu können.

DETAIL: Seit wann arbeiten Sie mit digitalen 3D-Modellen?

Ben van Berkel: Ich glaube, wir waren zumindest unter den Architekten eines der ersten Büros. Es begann mit der Erasmusbrücke 1992. Der Mitarbeiter, der das damals eingeführt hatte, ist noch heute im Büro. Die Ingenieure waren damals geradezu glücklich, dass sie auf unser Koordinatenmodell aufbauen konnten. Vielleicht sind wir so aufgeschlossen gegenüber Neuerungen auf diesem Gebiet, weil wir sehr früh begonnen haben, damit zu arbeiten. Das ausführliche Interview können Sie nachlesenin: DETAIL 12-2007,S. 1424-1433 Weiterführende Informationen: UNStudio. Design Modelle, Architektur, Urbanismus, Infrastruktur, 399 Seiten, Niggli Verlag 2006,
ISBN-10: 3721205820, ISBN-13: 978-3721205824, 58 Euro
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