28.08.2012 schoof@detail.de

Energieeffizienter Gipfelstürmer

Europas höchste Baustelle ist fast beendet: Mit dem kurz vor der Fertigstellung stehenden „Refuge du Goûter“ am Mont Blanc verfügt der französische Alpenverein künftig über ein Bauwerk, das in puncto Energie und Wasser fast vollkommen autark ist.

Groupe H, Paris

Bis zu 30.000 Alpinisten versuchen sich alljährlich an einer Besteigung des Mont Blanc. Rund ein Viertel davon übernachtete bislang im Refuge du Goûter. Die Berghütte des französischen Alpenvereins steht auf über 3800 Metern Meereshöhe und damit rund 1000 Höhenmeter – oder etwa fünf Stunden Fußmarsch – unterhalb von Westeuropas höchstem Berggipfel.

Das bisherige Bauwerk aus den 1960er-Jahren war über die Jahre viel zu klein geworden für die wachsenden Besuchermassen und verbrauchte überdies Unmengen an Energie. Zu ihren letzten Gästen zählten nun die Bauarbeiter des neuen Réfuge. 2013 soll die alte Hütte komplett abgerissen werden; nur der etwas jüngere Anbau bleibt als Notquartier für den Winter erhalten.

Denn die neue,  von dem Schweizer Architekten Hervé Dessimoz und seinem Pariser Büro Groupe H entworfene Berghütte wird auf ihren vier Geschossen zwar 120 Übernachtungsgästen zeitgemäßen Komfort bieten – dies aber nur im Sommer. Dafür wirtschaftet sie in puncto Energie und Wasser fast vollkommen autark. Auch ihre Konstruktion kann als Lehrbeispiel dafür dienen, wie sich beim Bauen in Extremlagen durch intelligenten Leichtbau Ressourcen sparen lassen.
Silber-Ei über dem Abgrund

Hervé Dessimoz und der Holzbauingenieur Thomas Büchi hatten schon 2002 gemeinsam den Palais de l’Equilibre für die Schweizer Nationalausstellung „Expo 02“ in Neuchâtel entworfen – einen Kuppelbau aus Holz, der seit 2004 auf dem Gelände des CERN in Genf zu sehen ist. Am Montblanc wählten sie eine ähnliche Form und Konstruktion aus Brettschichtholz, gaben ihr jedoch eine komplett andere Hülle. Edelstahlbleche, Photovoltaik- und Solarthermiepaneele sowie insgesamt 55 Dachfenster sind auf der Außenhaut des ovalen Baukörpers verteilt.

Groupe H, Paris

Die Gebäudehülle wurde als Holz-Leichtbaukonstruktion in Segmenten vorgefertigt und per Helikopter zur Baustelle geflogen. Die maximale Tragkraft des Helikopters, rund 500 Kilogramm, wurde so zum bestimmenden Faktor für Entwurf und Konstruktion. Schließlich sollte die Berghütte nicht nur im Betrieb höchste Energieeffizienz erreichen, sondern auch möglichst wenig „graue Energie“ (einschließlich Transportenergie) für den Bau und späteren Rückbau benötigen.

Wie die Holzbauingenieure zu Werke gingen, um dies zu erreichen, zeigt das Beispiel der Tragkonstruktion: Insgesamt wurden rund 150 Tonnen Holz am Gebäude verbaut. 30% davon stammen aus den Wäldern rund um das nahe gelegene Saint-Gervais, 60% aus dem Departement Haute-Savoie und lediglich 10% aus dem Burgund. Um die Tragkonstruktion möglichst schlank zu halten, wurden alle Bäume nach dem Fällen per Ultraschall und Scanner untersucht und lediglich die am gleichmäßigsten gewachsenen für das Gebäude ausgewählt. Auf diese Weise ließen sich bei den Brettschichtholzträgern verglichen mit Standard-Holzträgern bis zu 60% Material einsparen.

Um die einzelnen Elemente ohne Helikopter montieren zu können, ließ der Bauherr Europas höchstgelegenen Kran auf der Baustelle errichten. Knochenarbeit bedeutete der Bau für die Bauarbeiter dennoch – die dünne Luft zollte ihren Tribut. Gebaut werden konnte nur während der fünf bis sechs Sommermonate, weshalb sich die Bauphase über zwei Jahre hinzog.

Groupe H, Paris

Autark bis aufs Kochgas

Grundlage für den (fast) energieneutralen Betrieb des Gebäudes ist eine gute Dämmung, wobei teilweise ebenfalls auf Holzfaserdämmstoffe zurückgegriffen wurde.  Die Fenster sind dreifach verglast und erhielten darüber hinaus eine zusätzliche, 8 Millimeter starke Glasscheibe als Wetterschutz. Ab Werk waren in den Außenwandelementen jedoch nur die Fensterrahmen vormontiert. Die Glaspakete wurden separat angeliefert und anschließend eine Woche lang in der Höhe gelagert, um sich an den geringeren Luftdruck zu „akklimatisieren“, bevor die Fensterbauer sie in die Gebäudehülle einbauten.

Wärme bezieht die Berghütte im Wesentlichen aus der Sonne. Hierzu sind 54 m2 Solarthermiepaneele in die Gebäudehülle integriert. Für Spitzenlasten steht außerdem ein mit Rapsöl (und etwas Diesel) betriebenes Blockheizkraftwerk zur Verfügung. Die Solaranlage dient auch zur Trinkwasserversorgung. Eine mit der Solarwärme betriebene Schneeschmelzanlage hinter dem Haus schmilzt Schnee, solange die Sonne scheint, und speist das so gewonnene Wasser in einen 18 Kubikmeter großen Tank unter dem Gebäude ein. Dieser Tank dient außerdem als gigantischer , saisonaler Wärmepuffer und verleiht dem relativ leichten Gebäude so indirekt zusätzliche Speichermasse.

Strom für das Gebäude liefert eine 97m2 große Photovoltaikanlage, die zu Spitzenzeiten ebenfalls durch das Rapsöl-BHKW unterstützt wird. Von dessen Brennstoff abgesehen, ist das Refuge du Goûter nur noch auf Kochgas von außen angewiesen. Die Energie, um 120 hungrige Mägen mit warmem Essen zu versorgen, hätte sich nur unter hohen Kosten vor Ort gewinnen lassen.

Da auf 3800 Metern Meereshöhe nicht nur kein Gas- und Stromnetz, sondern auch kein Wasseranschluss vorhanden ist, muss die Berghütte auch ihr Trinkwasser selbst gewinnen und das Abwasser im Gebäude klären. Zur Trinkwasserversorgung dient die Schneeschmelzanlage. Abwässer hingegen gelangen in eine Kleinkläranlage, in der sie biologisch und durch Sauerstoffanreichung aufgearbeitet und abschließend filtriert werden. Danach können sie entweder nochmals zur Toilettenspülung verwendet oder an die Umwelt abgegeben werden.

 

Ökobilanz: 80% des Treibhauspotenzials durch Flüge

Die Ökobilanz des Refuge du Goûter liest sich ebenfalls außergewöhnlich: Für den Bau, die Nutzung und den späteren Rückbau des Gebäudes werden insgesamt 534 Tonnen CO2-Ausstoß veranschlagt. Allein 440 Tonnen hiervon entfallen auf Helikopterflüge. Diese Zahl illustriert, weshalb der Leichtbaukonstruktion eine so entscheidende Rolle zukam. Sparsam ist die Berghütte vor allem durch den großen Anteil erneuerbarer Energien, die sie verwendet. Nach Berechnungen der Ökobilanzexperten konnten allein aufgrund der „Erneuerbaren“ 43% der CO2-Emissionen (verglichen mit einem fossil betriebenen Bauwerk gleicher Konstruktion und Größe) eingespart werden.

Groupe H, Paris

„Refuge du Goûter“ am Mont Blanc

Bauherr: Club Alpin Francais, Paris

Architekten: Groupe H, Paris; Décalage Architecture, Chamonix

Holzbauingenieur: Charpente Concept, Paris

Tragwerksingenieur (Fundamente) Betech SA, Anemase

HLS-Ingenieure: Cabinet Strem, Lyon

Thermische Simulation: Albedo Energie, Bourget du Lac

Kostenberechnung: Cabinet Denizou, Villeurbanne

Groupe H, Paris

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