07.08.2012 Florian Maier

Erste Plus-Energie-Schule Deutschlands

Die Grundschule Niederheide in Hohen Neuendorf ist in mehrfacher Hinsicht zukunftsweisend: Als erste Schule in Deutschland mit Plus-Energie-Standard erfüllt das Gebäude höchste Anforderungen unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit in Bau und Betrieb. Zudem veranschaulicht die Architektur, wie man die Schule als Lebensort begreifen und so gestalten kann, dass sich Schüler und Lehrer wohlfühlen können.

Architekten: IBUS Architekten und Ingenieure GbR
Ort: Goethestr. 1, D-16540 Hohen Neuendorf

Foto: Ali Moshiri

Der zweigeschossige Schulkomplex besteht aus drei Gebäuderiegeln, die sich kammartig über zwei längliche Höfe zum Freigelände hin öffnen. Eine langgestreckte, lichtdurchflutete Halle verbindet die drei Flügel und bildet damit das Rückgrat der Schule. An den nördlich gelegenen Klassenraumtrakt schließt die Sporthalle an. Auf der Eingangsseite befinden sich die Schülerbücherei, die Verwaltung, Fachunterrichtsräume sowie die Aula mit Nebenräumen.

Foto: Ali Moshiri

Die Gebäudestruktur der Grundschule Niederheide leitet sich aus funktionalen Anforderungen ab – so sind beispielsweise die Klassenräume nach Süden ausgerichtet und entsprechend der Jahrgänge angeordnet. Dabei nimmt das räumliche Konzept Rücksicht auf die unterschiedlichen Belichtungsbedürfnisse der verschiedenen Funktionsbereiche. Um beispielsweise in den Unterrichtsräumen eine zweiseitige, und damit gleichmäßige, Belichtung zu erreichen, wurden die Trennwände der einbündig organisierten Klassenzimmer zu den Fluren hin in Glas ausgeführt. So fällt auch über die Erschließungszone Tageslicht in die Zimmer. Ihre Ausleuchtung ist optimal, was nicht nur den Strombedarf senkt sondern ebenfalls die Konzentrationsfähigkeit der Schüler positiv beeinflusst. Ruhebereiche dagegen werden lediglich von einer Seite belichtet.

Klassenzimmer, Foto: Ali Moshiri

Ruheraum, Foto: Ali Moshiri

Im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionsbereiche wurden im gesamten Schulkomplex nicht nur angepasste Tageslichtsysteme sondern auch spezifische Sonnenschutzsysteme entwickelt. Für einen effektiven Schutz sind die Südfassaden der Klassenräume mit Vertikalmarkisen sowie einem außen liegenden feststehenden Sonnenschutz ausgestattet. Zudem kamen bei den Oberlichtern der Verglasung im Erdgeschoss Isoliergläser mit lichtlenkenden Lamellen im Scheibenzwischenraum zum Einsatz. Diese reflektieren bei hochstehender Sonne das Sonnenlicht nach außen. Bei geringerem Einfallswinkel lenken sie das Tageslicht flach zur Decke und sorgen damit für eine Ausleuchtung des Innenraums.

Foto: Ali Moshiri

Im Obergeschoss wurden die Oberlichter der Fenster mit einer lichtstreuenden Verglasung ausgeführt. Eine Füllung aus transluzentem Silika Aerogel im Scheibenzwischenraum verleiht dem Glas außergewöhnliche physikalische Eigenschaften: Es ist hochwärmedämmend, schallisolierend und streut einfallendes Tageslicht gleichmäßig in den Raum. Damit schafft es nicht nur in den Klassenräumen angenehme Arbeitsbedingungen, sondern sorgt insbesondere in der Sporthalle für optimale Trainingsbedingungen mit blendfreiem Licht ohne Schlagschatten. Hier kam in den Oberlichtern das transluzente Paneel als Zweifachverglasung mit 40 mm Aerogel im Scheibenzwischenraum zum Einsatz. Das verwendete Glas (OKAGEL) weist hervorragende U-Werte auf, die – im Gegensatz zu konventionell mit Luft oder Gas gefüllten Isoliergläsern – unabhängig vom Einbauwinkel sind.

Foto: Ali Moshiri

Mit dem CO2-neutralen Gebäude, das mehr Primärenergie erzeugt, als es verbraucht, stärken IBUS Architekten auch das Leitbild der »Stadt im Grünen« von Hohen Neuendorf. Projektdaten

Objekt: Grundschule Niederheide mit Dreifach-Sporthalle, Hohen Neuendorf
Bauherr: Stadt Hohen Neuendorf
Architekt: IBUS Architekten und Ingenieure GbR, Berlin/Bremen, Prof. Ingo Lütkemeyer, Gustav Hillmann, Hans-Martin Schmid
Gläser: OKALUX GmbH, Marktheidenfeld Nettogrundfläche: 6.563 m²
Bruttogrundlfäche: 7.414 m²
Hüllfläche A: 15.021 m²
Baukosten: 12,3 Millionen Euro
Anzahl der Nutzer: 540 Personen Energiemerkmale U-Wert Außenwände W/m²K 0,14
U-Wert Fenster (inkl. Rahmen) W/m²K 0,80
U-Wert Dachfläche W/m²K 0,11
U-Wert Oberlichter W/m²K 0,80
U-Wert Kellerdecke/Bodenplatte W/m²K 0,10
Mittlerer U-Wert der Gebäudehülle W/m²K 0,20

Foto: Ali Moshiri

Foto: IBUS Architekten

Energiekonzept
Bei der Erstellung des Energiekonzeptes stand die Nutzung von natürlichen Prozessen und passiven Technologien im Vordergrund, um eine Minimierung der aktiven technischen Komponenten im Sinne des Lean-Building-Konzeptes (schlanke Gebäudetechnik) zu erreichen. Durch sparsam eingesetzte aktive Systeme werden die Lebenszykluskosten der technischen Anlagen gesenkt und der Energiebedarf des Gebäudes deutlich verringert.

Das Energiekonzept umfasst
  • eine Gebäudehülle, die nach dem Passivhausstandard errichtet wurde, um den Wärmebedarf zu minimieren und Sonnenenergie zu nutzen.
  • eine Gebäudestruktur, die viel Speichermasse für eine freie Kühlung zur Verfügung stellt, um die sommerliche Überhitzung zu vermeiden und den Nutzungskomfort zu steigern.
  • ein Raumkonzept, das den Tageslichteinfall von mehreren Seiten ermöglicht, um eine hohe Tageslichtautonomie zu erreichen und damit den Strombedarf zu senken.
  • ein Beleuchtungskonzept, das eine präsenz- und raumtiefenabhängige Beleuchtungssteuerung vorsieht, um nur das notwendige Maß an künstlicher Beleuchtung nachzuführen.
  • ein hybrides Lüftungskonzept, das sich im Wesentlichen auf die natürliche Lüftung stützt und Luft nur dann maschinell bewegt, wenn es energetisch sinnvoll ist oder Nutzungs- und Witterungsbedingungen es erforderlich machen.
  • eine nachhaltige Energieerzeugung auf der Grundlage des kombinierten Einsatzes von nachwachsenden Rohstoffen (Pellet-Heizkessel und Pellet-BHKW) und solaren Energien (PV-Anlage), um CO2-Neutralität zu erreichen und die Zielstellungen aus dem Plus-Energie-Konzept zu erfüllen.

Energieeffiziente Architektur, äußere Gestalt und Image
Genau wie im Inneren des Gebäudes die funktionalen, technischen und räumlichen Aspekte zusammengeführt werden, soll dieser integrale Planungsansatz auch von außen erkennbar werden. So folgen die Kubatur und die Gestalt der Gebäudehülle den technischen und funktionalen Erfordernissen.

Die Photovoltaikelemente werden auf den Dachflächen in das Gebäudekonzept integriert, wobei die PV-Elemente mit den Aufbauten für die dezentral angeordneten Lüftungszentralen und die Installationen kombiniert werden und damit auch ausschlaggebend sind für die Ausbildung der Gebäudeform.

Nachhaltige Energieerzeugung
Es kommen drei Energiesysteme zum Einsatz:

Tabelle: BLS Energieplan

Der eingesetzte regenerative Brennstoff Holzpellets senkt den jährlichen Primärenergiebedarf und verursacht geringe CO2-Emissionen. Das Pellet-BHKW ist zur Unterstützung bei der Warmwasserbereitung und dem Ausgleich von Zirkulationsverlusten vorgesehen. Für den Pellet-Heizkessel wird ein Prototyp eines Elektrofilters eingesetzt, an dem untersucht wird, welcher Abscheidegrad mit dieser Art Filter in der o. g. Leistungsklasse erreicht werden kann. Mit der Erzeugung von elektrischer Energie durch das Pellet-BHKW und die Photovoltaikanlage wird der Primärenergiebedarf der Schule kompensiert und in der Primärenergiebilanz mehr Energie erzeugt, als von der Schule verbraucht wird. Zusätzlich wird CO2-Neutralität erreicht.

Schema der Energiebereitstellung: BLS Energieplan

Lebenszyklusanalyse, Lebenszykluskosten
Die Planung wurde durch eine intensive Betrachtung der Lebenszyklus des Gebäudes begleitet. Anhand des Programms LEGEP wurden die einzelnen Bauteile über den Lebenszyklus des Gebäudes untersucht. Dabei wurden sowohl die Ökoindikatoren (Treibhauspotenzial, Versauerungspotenzial u.s.w.) sowie die Lebenszykluskosten betrachtet.

Die Berechnung zeigt, dass im Vergleich zu einem Referenzgebäude gleicher Größe und Form (Standard-Variante), das den Anforderungen der EnEV 2009 genügt, die Herstellungskosten der Plusenergie Schule Niederheide in Hohen Neuendorf (EnOB-Variante) etwas höher liegen. Die Betrachtung des Lebenszyklus bezogen auf 50 Jahre jedoch ergibt, dass die Gesamtkosten etwa 25 % niedriger, die Betriebskosten sogar 70 % niedriger liegen als bei dem Referenzgebäude.

Lebenszykluskosten: H. König

Architektur
Für die richtungsweisende Konzeption der dreizügigen Grundschule mit Dreifach-Sporthalle haben die Architekten die Nutzungsanforderungen, die energetischen Anforderungen, die Anforderungen an Komfort sowie die konstruktiven Rahmenbedingungen bestmöglich aufeinander abgestimmt. Zugleich war es ihr Anliegen, in der architektonischen Gestaltung die Strategien und Funktionsweisen eines Plusenergiegebäudes verständlich zu machen. Innovative Bauteilkomponenten sind ebenso sichtbar, wie verschiedene Maßnahmen der aktiven oder passiven Solarenergienutzung, des Sonnenschutzes oder der Lüftung.

Lageplan: IBUS Architekten

Schulhof, Foto: IBUS Architekten

Aula, Foto: IBUS Architekten

Sportplatz, Foto: IBUS Architekten

Klassenzimmer, Foto: IBUS Architekten

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