30.09.2012 Cordula Vielhauer

Gemeinsame Ideen / Common Ideas

In unserer Vorschau zur Architekturbiennale äußerten wir die Vermutung, dass es bei dem von David Chipperfield ausgegebenen Thema Common Ground um mehr gehen könnte, als den kleinsten gemeinsamen Nenner der Architektur – Räume für die Gemeinschaft und das Individuum in ihr zu schaffen. Nämlich, dass mit Common Ground womöglich auch die thematischen Beziehungen gemeint sein könnten, die sich im Rahmen der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Architektur immer wieder auftun. „Zu selbstbezogen!“, lautete denn auch die polternde Kritik an dieser Biennale und ihrem Direktor von einigen Seiten, noch bevor die Löwen der Biennale überhaupt vergeben worden waren. Mag sein. Trotzdem finden wir, hat es sich gelohnt, dass die Verantwortlichen einiger Biennale-Beiträge ganz gezielt den Blick nach innen gewendet und jeweils zu einem sehr spezifischen architektonischen Thema Beiträge zusammengetragen haben. Von diesen Sammlungen „Gemeinsamer Ideen“ wollen wir hier zwei vertiefen. 

Die Biennale-Beiträge von Steve Parnell (mit seiner Zusammenstellung von Architekturzeitschriften), Caruso St. Johns Pasticcio zu historische Anknüpfungen suchenden Architekten, Thomas Demands Auseinandersetzung mit Modellen, Toshiko Moris Genealogie architektonischer Detaillösungen, Fulvio Iraces Fassadenstudien, Cino Zucchis Schaukästen oder die von Diener + Diener zusammengetragenen Essays zu den einzelnen Pavillons der Giardini würden wir ebenfalls dazu zählen...

OMA: Public Works – Architecture by Civil Servants

Diese Geschichte beginnt mit einer Leerstelle – nämlich mit dem Fehlen eines Namens: Als Reinier de Graaf (OMA/AMO) in den achtziger Jahren zum Arbeiten nach London kam, ging er täglich an einer Schule vorbei, der Pimlico School. Das 1970 fertig gestellte, dem Brutalismus zuzuordnende Gebäude faszinierte ihn, jedoch fand er beim Recherchieren nach einem Autor keinen Namen eines Architekten. Lediglich die Bezeichnung einer Behörde war in seinem Londoner Architekturführer zu lesen: Greater London Council Departement of Architecture and Civic Design (GLC). Damit begann für ihn das „Sammeln“ von Gebäuden, die er „Beamtenarchitektur“ nennt und die er auf der Biennale 2012 erstmals zeigt: Architekturbeispiele der sechziger und siebziger Jahre hat er zusammen getragen – aus fünf europäischen Ländern, von sechs verschiedenen Behörden. Diesen Gebäuden ist nicht nur die „Anonymität“ ihrer Autoren gemeinsam, sie sprechen auch alle eine ähnliche, äußerst robuste Formsprache: Es ist eine Architektur, die – anders als die eleganten fünfziger Jahre – nicht gefällig sein will, sondern die rau ist und karg und robust, und daher meistens aus Beton.

Public Works, Foto: Jonas Stürzebecher

In Italien stieß de Graaf auf die Kirche San Giovanni Bono (1968), geplant vom Ufficio Technico del Commune di Milano, in Deutschland auf die zahlreichen Bauten Werner Düttmanns, der zwar als freier Architekt ein eigenes Büro führte, jedoch als Stadtbaurat und später als Senatsbaudirektor in West-Berlin immer auch „im Dienste des Staates“ tätig war: Die Kirche St. Agnes, die Akademie der Künste und das Brückemuseum werden im Rahmen von Public Works gezeigt. Dabei stellt man sich erneut die Frage, ob der in England geborene Brutalismus ein Architekturstil sei, der auch in anderen Ländern angetroffen werden könne. Die Tatsache, dass Düttmann einige Zeit als Kriegsgefangener in England lebte und später im Rahmen eines Stipendiums dort studierte, zeugt für de Graaf durchaus von einer Art Brutalismus-Export.

Public Works, Foto: Jonas Stürzebecher

Aus Frankreich zeigt OMA/AMO vor allem die Bauten des Conceil du Ministére de la Reconstruction et de l’Urbanisme, so das Verwaltungszentrum in Pantin, die Architekturfakultät in Nanterre und die Präfektur von Val-d’Oise. Sorgfältig hat de Graaf Namen und teilweise Fotos der beteiligten Verwaltungsarchitekten recherchiert und sie so aus ihrer Anonymität gelöst. Zusammengehalten wird die Präsentation all dieser in Vitrinen und auf gläsernen Schautafeln dokumentierten Projekte durch ein den gesamten Raum umspannendes Wandpanorama, das den Untergrund der vom GLC geplanten Hayward Gallery (1968) in der Londoner South Bank zeigt. Den von Skatern in Beschlag genommenen Raum dominieren Graffiti und andere Spuren von Aneignung durch Teile der  Öffentlichkeit. Dennoch oder gerade deshalb zeugen diese quasi-anonymen Bauten von einem großen Selbstbewusstsein der demokratischen Staaten und der Bauverwaltungen, in denen sie entstanden – und einem ebenso großen Vertrauen in die avantgardistische Architektur dieser Zeit.

Public Works: Fotos von Werner Düttmann und Kollegen

De Graaf schildert dazu die bemerkenswerte Arbeitsweise des GLC: Hier waren zwischenzeitlich bis zu 3.000 Architekten beschäftigt, viele von ihnen waren sehr jung, es gab einen regen Austausch mit den Architekturschulen AA und der Cambridge Universität. Die einzelnen Planungseinheiten waren klein und ähnelten in ihrer Struktur freien Architekturbüros. Ein entscheidender Aspekt fehlte jedoch: Bauherr und Architekt waren hier in einer Verwaltung vereinigt, weshalb auch die Rolle des Bauherrn simuliert und einem Kollegen als „Einsatzleiter“ übertragen wurde. Strenge Hierarchien und Anweisungen „von oben“ fehlten, die Philosophie der Bauverwaltung formulierte Direktor Hubert Bennett wie folgt: „Neue Ideen wurden gefördert, auf allen Ebenen war das Üben von Phanthasie und Selbstdisziplin das Hauptcharakteristikum der Arbeitsweise.“ John Bancroft, den de Graaf als Architekten der Pimlico School identifizierte, war 28, als er die Schulbauabteilung des GLC übernahm. Er arbeitete bevorzugt im Malerkittel.

Public Works, Foto: Jonas Stürzebecher

So groß waren Einfluss und Selbstbewusstsein des GLC und seiner Mitarbeiter, dass selbst Direktor Hubert Bennett den monolithischen Betonbau der South Bank nicht stoppen konnte, da er zu spät von dem Entwurf erfuhr. Ein Selbstbewusstsein, das nicht allen gefiel, ebenso, wie die brutalistische Formsprache der hier geplanten Architektur immer weiter in die Kritik geriet. Die liberalkonservative Thatcher-Regierung, die 1979 in Großbritannien an die Macht kam, schraubte den Einfluss des London Council Departement of Architecture and Civic Design (GLC) immer weiter zurück – bis zu seiner Auflösung im Jahr 1985. 

OMA hatte in seiner vor zwei Jahren zur Biennale 2010 gezeigten Ausstellung Cronocaos in einer plakativen Grafik bereits einen Zusammenhang zwischen dem „Siegeszug der Freien Marktwirtschaft“ (OMA) und dem politischen Bedeutungsverlust von Architekten hergestellt: 1979 erschien das letzte Cover des Time Magazine mit einem Architekten auf dem Titelbild – Philip Johnson. Danach, so der damalige Kurator des OMA-Beitrags Rem Koolhaas, seien die Architekten zwar „immer prominenter, gleichzeitig aber immer unwichtiger“ geworden. 

Im Jahr 2000 wurde in London zwar eine GLA Greater London Authority in Anlehnung an den GLC eingerichtet – nach einem Referendum der Labour-Partei. Dennoch endet diese Geschichte mit einer Leerstelle: Im Jahr 2008 wurde die Pimlico School trotz des vehementen Protests von John Bancroft und vielen Unterstützern abgerissen.

Public Works: Foto von der Pimlico School

FAT
Unterschiedlichen Formen der Nachahmung sowie Strategien der Aneignung (Appropriation) widmet sich auf der Biennale das Britische Büro FAT Fashion Architecture Taste  von Sean Griffiths, Charles Holland und Sam Jacob „The Museum of Copying“ heißt ihre Mini-Ausstellung, in der sie Beiträge aus den Feldern Kunst, Architektur und Architekturpublikation versammeln. Die Villa Rotonda von Andrea Palladio dient ihnen dabei als exemplarisches Beispiel, ein fünf Meter hohes Modell der Architekturikone wurde dazu im Gang des Arsenale aus zwei Hälften aufgebaut. Das Vexierbild von positiven Abdrücken auf der einen und negativen Eindrücken der Fassadenelemente auf der anderen Hälfte des Modells spielt auf die oszillierende Rolle der Rotunda sowohl als „Objekt“ des Kopierens als auch als (selbst antike Stilelemente kopierendes) „Subjekt“ an.

Villa Rotunda Redux von FAT (und Kopiergerät von San Rocco), alle Fotos: Jonas Stürzebecher

Auch die Arbeit von Ines Weizman und Armin Linke „Repeat Yourself“ zum Entstehungsprozess und Urheberschafts-Streit der nicht mehr im Original vorliegenden Pläne von Adolf Loos’ Haus für Josephine Baker gehört zur Sammlung: Bei diesem nie realisierten jedoch architekturhistorisch und -theoretisch wichtigen Entwurf sind die Pläne das einzige Zeugnis dieser „gezeichneten Liebeserklärung“.  Und der vom Magazin San Rocco beigesteuerten Beitrag The Book of Copies besteht aus einer Lose-Blatt-Sammlung von Kopiervorlagen: Jeder Biennale-Besucher kann sich aus den Gebäudetypologien, die von Architekten wie Andrea Branzi oder Ryue Nishizawa vorgeschlagen wurden, sein eigenes „Book of Copying“ zusammenstellen. 

(Cordula Vielhauer)

Arbeit von Ines Weizman zum Copyright der Pläne von Adolf Loos' Haus für Josephine Baker, Fotos: Cordula Vielhauer

Kopiervorlagen des „Book of Copies“ von San Rocco

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