03.03.2010

Klimawandel im Innenraum

Welche Auswirkungen das Bauen aufs Weltklima hat, ist inzwischen wohl hinlänglich bekannt. Weniger üblich ist es jedoch, Klimaphänomene zum Entwurfsparameter in der Architektur zu machen. Diese Herangehensweise vertritt seit Jahren der Schweizer Architekt Philippe Rahm, dessen Entwürfe nun in der Architekturgalerie am Weißenhof in Stuttgart zu sehen sind.
Mit der Ausstellung „Meteorological Typologies“ zeigt die Architekturgalerie am Weißenhof noch bis zum 4. April Rahms jüngste Entwürfe, in denen nicht Beton, Stahl und Glas die Hauptrolle spielen und auch nicht die Auseinandersetzung mit Standort und historischen Bezügen, sondern Phänomene wie Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Konvektion oder Wärmestrahlung.

Viel ist auf den ersten Blick nicht in den Räumen der Galerie zu sehen: zwei Videos und vier eng bedruckte und daher wenig lesefreundliche Schautafeln. Doch wer sich die Mühe macht, die englischsprachigen Texte zu entziffern, taucht ein in eine Architektur, die meilenweit entfernt scheint vom aktuellen Architekturdiskurs um „Icons“, Stadt-Typologien oder digitale Formfindung, und die dennoch hoch aktuell ist. Rahm verwendet Begriffe der Bauphysik, der Gebäudetechnik und des Innenraumklimas als Ausgangspunkte für seine Entwürfe wie den einer Sporthalle in Slowenien, die konzipiert ist wie ein Gegenstromwärmetauscher in Gebäudegröße: Außenluft tritt durch den Eingangskorridor ins Gebäude ein, erwärmt sich dabei, zirkuliert durch die Halle und gibt ihre Wärme schließlich beim Austritt aus dem Gebäude über eine Stahlwand wieder an die einströmende Luft ab. Jeder Raum ist im Gebäude dort angeordnet, wo die für ihn optimale Lufttemperatur herrscht.

Grafik: Phillippe Rahm

Oder das Projekt „Mollier Houses“: Ein Wohnhaus ist in vier nutzungsneutrale Zonen mit unterschiedlicher Luftfeuchte – von 0 bis 100% - aufgeteilt. Der Bewohner selbst kann die Nutzungen später anhand der jeweils idealen Feuchte festlegen. Ähnlich, aber mit unterschiedliche Temperaturzonen, funktioniert das Projekt „Digestible Gulf Stream“: In einem Gebäude wird eine Bodenplatte auf 28 Grad aufgeheizt, eine andere auf 12 Grad gekühlt. Dazwischen entstehen unterschiedliche Temperaturzonen im Raum, die wiederum mögliche Nutzungen vorgeben. Des öfteren macht Rahm einzelne Bauelementen zum Leitbild für ganze Gebäude. Der Entwurf für ein Museum in Polen etwa ist strukturiert wie eine Isolierglasscheibe: Zwischen fünf – mehr oder minder – parallel angeordneten Wandscheiben entstehen vier Zonen mit unterschiedlichen Innenraumtemperaturen. Je nach Jahreszeit ist mal die innere, mal die beiden außen liegenden Zonen die wärmste oder kälteste.
Über die Arbeit seines Büros schreibt Rahm in einer Begleitbroschüre zur Ausstellung: „Unsere Kompositionselemente ? sind nicht mehr traditionell. Sie verlagern sich vom Sichtbaren ins Unsichtbare, vom Körperhaften zum Klimatischen. Unsere Pläne werden meteorologisch.“ Und: „Wenn der Einklaing mit dem Klima und sein Schutz zum eigentlichen Ziel der Architektur werden, ist es ebenso möglich, dass das Klima zum Rohstoff und zum Werkzeug der Architektur wird.“

Philippe Rahm, der in Lausanne und Zürich studierte und in Paris ein Architekturbüro betreibt, hat bislang mit Ausnahme einiger Ausstellungsinstallationen nichts gebaut, seine Entwürfe und Ideen jedoch mit zahlreichen Büchern, Vorträgen, Lehraufträgen und Ausstellungsteilnahmen (darunter zwei Architekturbiennalen) einem breiten Publikum bekannt macht. Seine Ideenwelt fasziniert, wenn man sich eingehender damit beschäftigt. Man ahnt jedoch auch, warum bislang kein Bauherr den Mut hatte, einen von Rahms Entwürfen zu realisieren: In einer Zeit, da es Ingenieuren und ausführenden Betrieben schwer fällt, selbst so etablierte Konzepte wie eine Bauteilkühlung zum Funktionieren zu bringen, würden Rahms Ideen, überführte man sie in den Maßstab 1:1, wohl scheitern. Die Gebäude glichen Vorzeigebauten vergangener Tage wie dem Farnsworth House oder der Villa Savoye: Ikonen konzeptionellen Entwerfens, aber aufgrund von bauphysikalischer Unkenntnis der Entwerfer oder von Ausführungsmängeln langfristig unbewohnbar. So ist es womöglich nur zu begrüßen, wenn Rahms Entwürfe noch eine Weile auf dem Papier bleiben und weiterhin Denkanstöße für Leser und Ausstellungsgänger geben.

Grafik: Phillippe Rahm

Grafik: Phillippe Rahm

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