16.09.2009

Künstliche Wälder und Algenfassaden

Wenn Ingenieure Pläne gegen den Klimawandel schmieden, geht es ihnen nicht allein um Energieeffizienz und Erneuerbare Energien. Das britische Institute of Mechanical Engineers ist nun mit einer Reihe von Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten, die sich im Spannungsfeld zwischen Realismus, Science Fiction und Größenwahn bewegen.
Unter „Geo-Engineering“ fasst die angelsächsische Sprachwelt all jene Strategien zusammen, die auf technischem Weg in großem Maßstab in biologische Kreisläufe eingreifen. Dazu zählen so unterschiedliche Mittel wie die Düngung der Ozeane (um CO2 zu binden) oder die Erzeugung künstlicher Wolken durch Schwefelpartikel in der Stratosphäre. Auch die unterirdische CO2-Speicherung, auf die die fossile Energiewirtschaft große Zukunftshoffnungen setzt, fällt in dieses Gebiet.

Neue Vorschläge zum Geo-Engineering hat nun das britische Institute of Mechanical Engineers erarbeitet. Die Institution sieht ihre Pläne als „dritten Weg“ und Ergänzung zur Verringerung von CO2 -Emissionen sowie zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die ohnehin eintreten werden. Zahlreiche Optionen, die Erde kühl zu halten, haben die Ingenieure eigenen Angaben zufolge in ihrem Programm „Cooling the Planet“ untersucht und die drei vermeintlich meistversprechenden nun in einer Studie publiziert:

1. Künstliche Bäume:
Mehrere Forscher arbeiten derzeit an der Entwicklung von Apparaten, die CO2 aus der Luft „filtern“ können. In der Regel geschieht dies mittels eines Sorbenten (z. B. Natriumhydroxid), an das sich das Kohlendioxid anlagert. Ist der Sorbent mit CO2 gesättigt, muss dieses (z. B. mit Wasserdampf) „ausgewaschen“ und gespeichert werden, damit der Apparat wieder frisches Kohlendioxid aufnehmen kann.

Klaus Lackner von der Columbia University hat Konzepte für einen solchen „ CO2-Fänger“ entwickelt, der in der Lage wäre, täglich eine Tonne des Klimagases zu binden. Das Institute of Mechanical Engineers hofft, dass sich diese Rate durch neue Techniken in den kommenden Jahren verzehnfachen ließe. Damit brächte es ein künstlicher CO2-Sammler immerhin auf die tausendfache Aufnahmekapazität eines gleich großen, natürlichen Baums.
Die britischen Ingenieure schlagen die Errichtung künstlicher, mit Sorbenten versehener „Bäume“ vor, die überall im Land und auf See verteilt werden sollen. Gestalterisch erinnern die Apparate eher an gigantische Fliegenklatschen denn an gewachsene Bäume, doch von ihren Potenziale geben sich die Ingenieure überzeugt: Bei einer „Sammelrate“ von zehn Tonnen CO2 pro „Baum“ und Tag wären 100.000 Bäume notwendig, um alle Kohlendioxidemissionen aus nicht-stationären Quellen (wie Automobilen) in Großbritannien zu binden. Bei einem geschätzten Einzelpreis von 20.000 Dollar pro Stück betrügen die Gesamtkosten mithin zwei Milliarden Dollar.

Über die ideale Positionierung der Fliegenklatschen macht die Studie widersprüchliche Angaben: Einmal heißt es, die künstlichen Wälder sollten am besten entlang der britischen Autobahnen errichtet werden – also dort, wo das meiste CO2 entsteht – dann wieder möchten die Verfasser sie am liebsten weit draußen auf der Nordsee entstehen sehen, wo sie die geringste visuelle Störung verursachen bilden. Außerdem bleibt das Problem: Das Kohlendioxid muss irgendwo gespeichert werden, und die Techniken hierfür sind alles andere als erprobt. Niemand weiß, wie lange CO2, das zum Beispiel unterirdisch verpresst wird, auch dort bleibt. Das vermeintliche Atom-Endlager Asse zeigt in Deutschland gerade, dass auch und gerade unter Tage nichts ewig währt.

2. Gebäude mit Algenfassaden:
Begrünte Fassaden und Dächer sind zu einem beliebten Gestaltungsmittel in der Architektur geworden. Weniger ein ästhetisches Werkzeug denn ein technisches sind sogenannte Photobioreaktoren, in denen Algen wachsen. Das MIT in Cambridge/Massachusetts betreibt eine solche Anlage auf dem Dach seines Kraftwerks. Den Betreibern zufolge absorbiert sie 80% aller Schadstoffe aus den Rauchgasen, die im Kraftwerk entstehen.
Ein Photobioreaktor besteht aus geschlossenen Behältern (zum Beispiel Glasröhren), die mit Wasser und Algen gefüllt sind und von CO2-reicher Luft durchströmt werden. Das Einzige, was zum Algenwachstum noch notwendig ist, ist das Sonnenlicht.
Das Institute of Mechanical Engineers schlägt vor, vorfabrizierte Bioreaktoren für Gebäude zu entwickeln, die sich zum Beispiel an Fassaden befestigen ließen. Darin könnten zum Beispiel die Abgase der Heizungsanlage im Gebäude eingeleitet werden. Die Reaktoren müssten jedoch zugänglich sein, um den entstandenen Zuwachs an Algen regelmäßig ernten zu können, bevor diese absterben und das absorbierte CO2 wieder freisetzen.

Auch energetisch wäre die Algenzucht ein Gewinngeschäft: Getrocknete Algen sind ein perfekter, nachwachsender Brennstoff. Ihre Energiedichte ist mit 18,5 bis 35 MJ je Kilogramm weitaus höher als die von Holz und liegt teils sogar über der von Kohle (24 MJ/kg).

3. Reflektierende Gebäudehüllen:
„Albedo“ ist ein Begriff in der Klimadebatte, seit US-Energieminister Steven Chu im Frühjahr 2009 vorschlug, die Dächer der Welt weiß zu streichen, um unsere Städte kühl zu halten. Das Prinzip ist allgemein bekannt: Helle und reflektierende Materialien speichern weitaus weniger Wärme als dunkle und matte. Wie hoch die erreichbaren Wirkungen wären, darüber streiten die Wissenschaftler noch. Der Anteil der Erdoberfläche, den der Mensch durch geeignete Materialwahl wirklich verändern kann, ist zwar minimal – er liegt zwischen 0,05% und 0,17%. Die weltweit mögliche Temperaturreduktion schätzen Forscher im Bereich zwischen 0,01°C und 0,16°C. Spürbarer wäre der kühlende Effekt jedoch in den Städten und Gebäuden selbst: Bislang heizen sich Stadtzentren großer Metropolen in Spitzenzeiten bis zu 10 Grad stärker auf als deren Umland. Dieser „Wärmeinsel-Effekt“ ließe sich durch reflektierende Dächer deutlich reduzieren. Studien des Lawrence Berkeley National Laboratory in Florida haben außerdem ergeben, dass die in einem Gebäude erforderliche Kühlenergie durch Aufbringen eines hellen Daches um 10 bis 60 Prozent gesenkt werden kann.

Natürlich sind weiße Dächer nicht überall eine gestalterische Option. Das Institute of Mechanical Engineers weist jedoch darauf hin, dass die Hälfte der Sonnenstrahlung im infrarot-nahen Bereich auf die Erdoberfläche gelangt. Dieser Strahlungsanteil ließe sich auch durch reflektierende Oberflächen in anderen, gedeckteren Farben vorzüglich ins All zurückbefördern, ohne dass er in Wärmestrahlung umgewandelt würde.

zur Studie „Geo-Engineering. Giving Us The Time to Act?“
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