16.03.2011

Lernen von Masdar City?

Über die Planung CO2-neutraler Städte - einInterview mit Matthias Schuler

30 km außerhalb der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate entsteht die erste CO2-neutrale Stadt, die nur durch erneuerbare Energien versorgt werden soll. Der Masterplan für Masdar City ist in einem Wettbewerb entstanden.

DETAIL: Herr Schuler, das Emirat Abu Dhabi plant gerade mit Ihrer Hilfe die CO2-neutrale Stadt Masdar City. Wie gestaltet sich die Planung einer CO2-neutralen Stadt - organisatorisch und konzeptionell?

Matthias Schuler: Der Masterplan für Masdar City ist in einem Wettbewerb entstanden, der im Oktober 2006 ausgelobt wurde. Das Briefing war eines der ambitioniertesten, das ich in meiner Laufbahn gesehen hatte, und den Initiatoren war es offensichtlich ernst mit der Umsetzung, wie sich später herausstellte.

Schon in der Wettbewerbsphase formierte sich unter Leitung von Foster + Partners ein Team aus Architekten, Energie- und Infrastrukturplanern, Spezialisten für Gebäudetechnik und solare Systeme sowie Verkehrsplanern und Landschaftsarchitekten. In dieser Runde mussten wir zunächst die Rahmenbedingungen klären: Masdar City sollte CO2-neutral sein. Aber wo zieht man dabei die Grenze? Unser Konzept strebt nun einen CO2-neutralen Betrieb der Stadt inklusive des Verkehrs auf dem Grundstück, der Wasserversorgung und Müllentsorgung an. Die Energie für die Herstellung der Baustoffe sowie die Versorgung mit Verbrauchsgütern haben wir aus der Bilanz ausgeklammert. Berücksichtigt wird allerdings auch die CO2-Bilanz des Abfalls aus der Stadt. Er wird zu 80 % recycelt und zu 20 % verbrannt. Das dabei entstehende CO2 kompensieren wir mit einem Überschuss an Solarstrom, der ins Netz eingespeist wird.

DETAIL: Wie funktioniert die Energieversorgung in Masdar City?

Matthias Schuler: Der Auftraggeber hatte erst vor, eine autarke Stadt zu bauen. Wir konnten ihn jedoch überzeugen, dass eine Anbindung an das öffentliche Stromnetz essenziell ist, weil wir auf dem 600 ha großen Grundstück nicht ausreichend Strom speichern können. Überdies hat sich herausgestellt, dass der solare Strompeak von ca. 150 MW aus Masdar zur Mittagszeit im Netz sehr willkommen ist, da er sich mit der Bedarfsspitze deckt. Unser Konzept sieht vor, nicht die ganze Fläche der Stadt zu überbauen, sondern klar definierte Freiräume zu schaffen. Sie sollten zum Beispiel auch nicht mit einem Solarkraftwerk belegt werden. Dies hat wiederum die Konsequenz, dass uns zur solaren Energiegewinnung im Grunde nur die Dächer der Gebäude zur Verfügung stehen.

Auf der anderen Seite der Gleichung steht der Energieverbrauch der Gebäude. Bei einer Energieeffizienz, wie sie derzeit bei Neubauten in Abu Dhabi üblich ist, würde selbst die gesamte Fläche des Areals, belegt mit Photovoltaik, nicht einmal den halben Energieverbrauch der Stadt decken. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelten wir eine Drei-Schritte-Strategie: zunächst den Energieverbrauch der Gebäude senken, dann die Versorgungssysteme optimieren und schließlich den verbleibenden Bedarf aus regenerativen Quellen decken. Die Neubauten in Masdar City müssen zum Ausgleich der Bilanz 80 % weniger Energie und Wasser verbrauchen als der derzeitige Standard in Abu Dhabi.

DETAIL: Masdar City entsteht in einer Region mit Wüstenklima. Wie reagieren Sie darauf bei der Kühlung und Lüftung der Stadt?

Matthias Schuler: Abu Dhabi hat die Besonderheit, zugleich sehr heiß und sehr feucht zu sein. Das liegt daran, dass der Arabische Golf mehrheitlich nur 30 m tief ist und daher im Sommer 32 °C warm wird. Der Wind in Abu Dhabi kommt tagsüber vorwiegend aus Nordwesten, also vom Meer. Für das Klimakonzept war es wichtig, diese heißen Winde aus den Straßen fernzuhalten, die Nachtwinde aber zur Kühlung der Stadt zu nutzen. Die Straßen in Südost-Nordwest-Richtung sind deshalb meist nur 75 m lang, denn bei größeren Längen beginnt der Wind, in den Straßenraum zu »fallen«. Die Straßen in nordöstliche Richtung können dagegen über längere Strecken durchlaufen. Zusätzlich ziehen sich zwei lineare Parks durch die Stadt, die vor allem nachts Frischluft von Osten aus der Wüste ins Stadtzentrum bringen.

Tagsüber bewirken sie durch ihren Pflanzenbewuchs eine Verdunstungskühlung. Ein drittes Mittel, die Stadt kühler als die Umgebung zu halten, ist unsere Reinterpretation der arabischen Windtürme: Sie dienen normalerweise zur Versorgung von Gebäuden mit kühler Frischluft und können daher nachts geöffnet und tagsüber verschlossen werden. In unserem Fall stehen die Türme jeweils am Nordwestende der 75m kurzen Stichstraßen. Tagsüber verschatten sie diese, nachts bringen sie kühle (also im Sommer rund 30 °C warme) Luft aus der Höhe in den Straßenraum.

DETAIL: Wie gewährleisten Sie, dass die energetischen Ziele in der Umsetzung auch erreicht werden?

Matthias Schuler: Wir haben vier Kataloge von Richtlinien entwickelt, die unterschiedliche Maßstabsebenen und Themen betreffen: den Städtebau, die Energieeffizienz der Gebäude, die Haus- und Anlagentechnik sowie die Beeinflussung des Nutzerverhaltens. Die erste Ebene regelt den Städtebau, also Fragen des Straßenverlaufs, der Freiflächen und Straßenprofile. Die Straßen sind nun auf Erdgeschossebene 7 m breit; auf Höhe der Dachflächen beträgt der Gebäudeabstand nur noch 4 m. Das bedeutet, dass die Gebäude im Wesentlichen über Höfe mit Tageslicht versorgt werden müssen. Das Prinzip ist das gleiche wie bei historischen Städten in der Region: schmale Straßen, aber relativ breite Innenhöfe. Unser Ziel bei alledem ist eine Umkehrung des Wärmeinsel-Effekts: Innenstädte wie die von Tokio können bis zu 10 °C wärmer werden als ihr Umland; Masdar City soll dagegen 5 °C kühler sein als die Wüste ringsum. Damit senken wir von vornherein die Kühllasten für die Gebäude und ermöglichen deren energieeffizienten Betrieb.

Die zweite Kategorie unserer Richtlinien betrifft die Gebäude selbst: ihre Tiefe, die Größe der Höfe und der Fensteröffnungen, die wiederum von unten nach oben hin abnimmt, sowie Anforderungen an Verschattung, Dämmstandards, Verglasungen, aber auch die Effizienz der eingesetzen Gebäudetechnik. Die dritte Kategorie des Regelwerks betrifft die Gebäudeausstattung, also Forderungen wie: Kühlschränke müssen dem EU-Standard A++ entsprechen; die Beleuchtung darf nicht mehr als 7 W Strom je Quadratmeter verbrauchen, und in den Büroräumen dürfen aufgrund der Wärmeentwicklung nur Laptops betrieben werden, keine Desktop-Computer.

Die vierte Kategorie ist vermutlich die schwierigste: Der Nutzer soll lernen, dass er den Energieverbrauch in seiner Wohnung- etwa über die Wahl der Innenraumtemperatur- selbst bestimmen kann. 24-26 statt 18-20 °C bewirken einen erheblichen Unterschied im Energieverbrauch; aber die Bewohner müssen die Umstellung akzeptieren. Um bei ihnen eine Verhaltensänderung zu bewirken, setzen wir eher auf Anreize als auf Vorschriften. Zum Beispiel wird in Masdar City ein progressiver Strompreis gelten: Je höher der Verbrauch, desto mehr kostet die Kilowattstunde Strom- und nicht desto weniger, wie das in Europa meist üblich ist. Auch indem wir den Nutzern ihren Energieverbrauch anzeigen, möchten wir sie zu sparsamem Verhalten bewegen.

Mehr dazu in: DETAIL GREEN 2-2009

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