10.02.2007

Neues Interesse an regionaler Architektur

Anders als in Graubünden, in Vorarlberg oder in Südtirol spielte die regionale Kultur in der deutschen Architektur lange kaum eine Rolle. Doch jetzt keimt vor allem in Süddeutschland ein neuer architektonischer Regionalismus auf, der Tradition und Moderne verbindet.

Beim Begriff Regionalismus dachten die Deutschen lange Zeit an etwas Miefiges, Spiessig- Kleinkariertes, dem es zu entfliehen galt. Der fade Geschmack von Dorf und Kleinstadt wollte sich nicht zum verlockenden Duft der grossen weiten Welt fügen. Doch in den Zeiten der Globalisierung hat die einst als provinziell abgelehnte überschaubare Kleinheit von Heimat eine neue Qualität gewonnen. Regionalismen sind im «Europa der Regionen» längst zum Identitäts- und Marktfaktor aufgestiegen. Das reicht von den Reizen einer Küche mit regionalen Produkten bis zum marktgängigen Krimi mit Lokalkolorit.

Regionale Spielarten der Baukunst prägten über Jahrhunderte hinweg das Erscheinungsbild der Kulturlandschaften. Doch während schon in den 1970er Jahren im Tessin, danach in Graubünden, in Vorarlberg und jüngst auch in Südtirol eine schulbildende Auseinandersetzung mit der Region zeigte, dass Regionalismus viel innovatives Potenzial besitzt, begegnete man dem Thema in Deutschland mit Misstrauen. Das lag freilich nicht nur am lautstark propagierten Internationalitätsanspruch der Nachkriegsmoderne, hinter dem sich allerdings bei näherer Betrachtung sehr inpiduelle - und oft auch regionale - Idiome verbargen. Das regionale Bauen war in Deutschland vor allem durch den «Heimatschutz» in Misskredit geraten. Dessen wichtigste Protagonisten aus der Zeit um 1900 liessen sich später willig für die «Blut und Boden»-Ideologie der Nationalsozialisten einspannen. Gleichwohl lohnt sich ein Blick zurück auf die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts. Damals gelang es vielerorts, lokale Stilelemente und Baumaterialien mit einer modernen Architektur zu verbinden und so zeitgemässe Lösungen für neue Bauaufgaben zu liefern - vom Massenwohnungsbau über die Fabrikanlage bis zur städtischen Verwaltung.

Erst mit der Postmoderne kam auch in Deutschland die Geschichte zurück in die Entwurfszeichnungen - häufig in der Form des mitunter peinlichen Retrodesigns der Berliner Schule und des europäischen New Urbanism, der in Form einer «Kritischen Rekonstruktion» manchmal seltsame Blüten treibt. Erinnert sei nur an den Kulissenschwindel des Dresdner Neumarkts.

Weit entfernt davon bewegt sich jener Regionalismus, welcher derzeit vor allem in Süddeutschland zu beobachten ist und der sich aus der räumlichen Nähe zur Vorarlberger Architektur nährt. Erst kürzlich legte das «Architekturforum Kempten» eine Zwischenbilanz der «Architektur im Allgäu» der letzten fünfzehn Jahre vor (Verlag Josef Fink; Fr. 34.80), in der rund 50 Gebäude vorgestellt werden. Es sind Lösungen, die sich in einen Dialog mit ihrer Umgebung begeben. Vielfach aus Holz errichtete Bauten, welche die traditionelle Materialverwendung reflektieren, aber auch die Typologie der örtlichen Architektur aufnehmen, die zumeist in eine zeitgemässe Formensprache übersetzt wird. Doch trotz diesem bemerkenswerten Ansatz befindet sich die Entwicklung im Allgäu im Vergleich zu Vorarlberg «erst am Anfang», wie der Augsburger Architekt Titus Bernhard in der Einführung des Architekturführers feststellt.

Quelle: Neue Züricher Zeitung vom 02.02.2007 >> mehr unter nzz.ch

Foto: Paul Warchol

Foto: Paul Warchol

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