10.12.2013 Cordula Vielhauer

Brandlhuber+ Von der Stadt der Teile zur Stadt der Teilhabe

„Brandlhubers Beharren auf den Grundätzen der Moderne – die Anbindung der Architektur an soziale Fragen sowie ein Verständnis von kultureller Praxis als Teilhabe an der Gesellschaft – machen seine Besonderheit innerhalb der zeitgenössischen Architekturszene aus.“ (Marius Babias, Herausgeber)

Er ist einer der wenigen Protagonisten seines Fachs, der die gesamte Palette diskursiver Medien und praktischer Möglichkeiten nutzt, um „die Stadt“ – insbesondere Berlin – mitzugestalten: Der Architekt Arno Brandlhuber baut, schreibt, forscht, filmt, lehrt, stellt aus – kurz, er mischt sich ein. Das nun im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienene Buch „Von der Stadt der Teile zur Stadt der Teilhabe“ ist der 14. Band der Reihe n.b.k. Ausstellungen und nimmt Brandlhubers 2012 im Neuen Berliner Kunstverein gezeigte Ausstellung „Archipel“ zum Anlass. Die Publikation zeigt die Projekte, die Brandlhuber in Kooperation mit anderen Architekten, Künstlern, Kuratoren oder Musikern unter dem Signet Brandlhuber+ in und um Berlin realisiert hat. Neben der Architektur – wie seinem vielfach ausgezeichneten Wohn- und Galeriehaus in der Brunnenstraße – sind das auch Ausstellungen, Filme und Aktionen. Mindestens genau so wichtig wie die durchnummerierten Projekte sind die für die Publikation ausgewählten Essays und Interviews: In Gesprächen mit Hans Ulrich Obrist oder Anh-Linh Ngo und Nikolaus Kuhnert von der Architekturzeitschrift ARCH+ werden Motive, Hintergründe und Dispositionen der eigenen Arbeit geklärt.

Projekt Brunnenstraße aus dem Bildessay von Erica Overmeer

Einer der wesentlichen Anknüpfungspunkte für Brandlhubers Arbeit mit „der Stadt“ ist O.M. Ungers Modell des Grünen Stadtarchipels. Die Ausstellung „Archipel“ bezieht sich schon im Titel direkt auf Ungers' Konzept von 1977. Der hatte damals vor dem Hintergrund einer schrumpfenden Bevölkerung einen radikalen Städtebau entworfen, in dem Berlin-West auf eine Auswahl einzelner prägnanter Stadtfragmente innerhalb eines fließenden Grünraums zurückgebaut werden sollte. Brandlhuber knüpft an Ungers „grundsätzlich neue Kultur-Natur-Verständnis“ an, bei dem es nicht darum geht, „Gegensätze zu vereinen, sondern für eine intensive Erfahrung der Metropole“ zu nutzen, so Herausgeber Marius Babias.

Shanzhai-Schloss "Palast des Luxus", Nr. 0143, mit Filmbeitrag für ZDF Aspekte

Im titelgebenden Essay aus der ARCH+ wird Brandlhubers auf Heterogenität in der Stadt zielendes stadtentwicklungspolitische Denkmodell vertieft. Ausgangspunkt ist die aktuelle zentralistische Entwicklung in Berlin, die das polyzentrale „Kiezmodell“ entkräftet, das vor allem den Westteil der Stadt prägt. Diese Entwicklung führt insgesamt zu einer Homogenisierung der zentral gelegenen „guten“ Quartiere und einem Verdrängungsprozess auf erschwinglichen Wohn- und Gewerberaum angewiesener Bevölkerungsgruppen an den Metropolenrand. Mit seinem – von ARCH+ als „Kreolisierung“ oder „Antillen-Modell“ beschriebenen – Ansatz will Brandlhuber dieser Entwicklung entgegen wirken: Anders als Ungers setzt er dazu nicht auf individuelle, großmaßstäbliche, aber in sich homogene „Inseln“. Vielmehr sollen – formal, sozial und funktional – heterogene „Stadtinseln“ entstehen, die dennoch eine spezifische eigene Identität aufweisen und sich auf ihre Umgebung beziehen.

Innenraum der Sankt Agnes Kirche von Werner Düttmann, aus dem Bildessay von Erica Overmeer

Dies geschieht mit gezielten Eingriffen, und häufig geht es um Räume für eine von kommerziellen Zwängen möglichst freie Kulturproduktion: So beim Umbau der St.-Agnes-Kirche von Werner Düttmann zu einer Kunstgalerie oder auch bei seinem eigenen, auf einer Investitionsruine gegründeten Gebäude in Berlin-Mitte. Hier ist die Auswahl einfacher Baumaterialien auch dem Willen geschuldet, günstige Mietflächen für die Redaktionsräume eines Kulturmagazins sowie einer Galerie zu schaffen. Gestalterisch grenzt Brandlhuber sich hier mit seiner zeitgenössischen Material- und Formsprache von der umgebenden Gründerzeitbebauung ab, ohne aus dem Kontext der Blockrandbebauung komplett auszubrechen.

Doch es geht nicht nur um den eigenen baulichen Eingriff in die Stadt: Viele Projekte von Brandlhuber+ setzen sich spielerisch mit dem Vorhandenen auseinander. So ist die "Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin" eine Art Stadt-Memory, bei der die durch die Teilung der Stadt entstandenen "Doppelfunktionen" geschützt werden sollen: vom Tierpark Ost / Zoo West über das Städtebau-Doppel Stalinallee / Hansaviertel bis zu den beiden Kongresshallen. Auch hier könnte man einen indirekten Bezug zu Ungers morphologisch forschendem Blick auf die Stadt entdecken, deren Formen er mit anderen Objekten in Analogie setzte – wie in den City Metaphors.

Projekt der Akademie c/o "Raumproduktion der Berliner Republik"

Von der Stadt der Teile zur Stadt der Teilhabe ist reduziert gestaltet und klar gegliedert in einen einführenden Textteil, einen Fotoessay von Erica Overmeer, einen illustrierten Projektteil mit Beschreibungen aller Berliner Projekte, eine Reihe Interviews sowie einen „Abspann“ mit „Werkliste“ und biografischen Daten. Insgesamt eröffnet Von der Stadt der Teile zur Stadt der Teilhabe einen Einblick in das auf Kooperation ausgerichtete Tätigkeitsfeld eines vielfältig engagierten Architekten. Daneben bildet es über die Auseinandersetzung mit realer Liegenschaftspolitik und theoretischen Stadtplanungsmodellen ein Stück Berliner Stadtentwicklung ab.

(Cordula Vielhauer)

Marius Babias (Hg.)
Brandlhuber+. Von der Stadt der Teile zur Stadt der Teilhabe. Berliner Projekte. n.b.k.

Walther König, 2013
ISBN 978-3-86335-259-2
19,80 Euro

"Rachel" in Krampnitz, aus dem Bildessay von Erica Overmeer

"San Gimignano in Lichtenberg", aus dem Bildessay von Erica Overmeer

"Antivilla", Krampnitz

"RGB 165/96/36 CMYK 14/40/80/20", Berlin

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