27.09.2016 Cordula Vielhauer

Die Kunst als Impulsgeber: ein Gespräch mit Christiane Lange

Foto: Cordula Vielhauer

Die Zusammenarbeit zwischen Mies, Ihrer Familie und der Textilindustrie war schon vor 85 Jahren etwas Besonderes. Wie kam es dazu und wie war die Entwicklung?

Das ist natürlich eine Riesengeschichte, wir bereiten gerade das dritte Forschungsprojekt dazu vor! (lacht) Einer der entscheidenden Akteure war seinerzeit sicherlich Hermann Lange. Er war damals ein sehr enthusiastischer und kenntnisreicher Kunstsammler. Das heißt, er bewegte sich in einem intellektuellen Umfeld, in dem Kunst, aber auch Design und Architektur eine wichtige Rolle spielten – und das bereits seit der Jahrhundertwende. Er war im ständigen Kontakt mit dieser Szene. Es ist daher plausibel, dass der Galerist Karl Nierendorf (1) später behauptet Mies mit Lange bekannt gemacht zu haben.

Nierendorf nimmt also für sich in Anspruch, den entscheidenden Kontakt hergestellt zu haben?


Ja, aber Kontakte allein nützen ja noch nichts, das alles muss ja auch fruchten. Hermann Lange hat sich mit unterschiedlichen Architekten getroffen, auch mit Theo van Doesburg und van Eesteren sowie mit Oud. Aber woher er nun diesen Spürsinn hatte, sich ausgerechnet für Mies zu entscheiden? Das war sicher ein besonderes Talent. Hermann Lange gehörte zu diesem Sammlertyp, wie man ihn heute vielleicht bei Menschen wie Christian Boros findet: Er war parallel zu seiner Tätigkeit für die Seidenindustrie – er war ja Gründer und Vorsitzender der Vereinigte Seidenwebereien AG – immer beschäftigt mit der Frage: »Was passiert in der aktuellen Kunstszene?«

Mies Tätigkeit in Krefeld begann bereits vor seiner Zeit als Bauhaus Direktor. Wie war das, als die Verseidag das Färberei- und HE- Gebäude errichten ließ?

Mies ist im August 1930 Bauhaus-Direktor geworden und wir gehen davon aus dass er parallel dazu in die Planung der Verseidag Bauten am Girmesgath in Krefeld eingestiegen ist. Es gab ja eine Vorplanung durch die Bauabteilung des Unternehmens. In die gleiche Zeit fiel aber auch seine Teilnahme am  Golfclub – Wettbewerb in Krefeld, außerdem entwarf er gerade gemeinsam mit Lilly Reich in Berlin die Einrichtung einer Wohnung für Hermann Langes Tochter Mildred Crous, auch die Abrechnungen zu Haus Lange und Haus Esters zogen sich noch bis 1931 hin. Also, es gab vielfältige Schnittstellen. Mies hat 1930 - 31 den Bau des Färberei- und HE-Gebäudes geplant und gemeinsam mit der Bauabteilung der Verseidag realisiert, das ist gut dokumentiert in der Korrespondenz, aber wie es danach genau weiterging, in wieweit er auf die Planung der Folgebauten Einfluss hatte wissen wir nicht. Belegt ist nur dass er 1938 noch mal einen Kommentar abgegeben hat zur Planung der sogenannten Filmdruckerei auf dem Gelände. Zu jener Zeit saß er ja schon am zweiten Auftrag für die Verseidag: die Planung der Hauptverwaltung.

Wie sah die Zusammenarbeit mit Mies nach der Machtübernahme der Nazis aus?

Mies hat nach 1933 noch drei Aufträge von der Krefelder Seidenindustrie bzw.  ihren Vertretern erhalten. Unter anderem plante er 1935 ein sehr schönes Haus für Ulrich Lange, den Sohn von Hermann Lange. Ulrich Lange hat später dem Leiter der Architekturabteilung des MoMA erzählt dass man ihm eine Bauerlaubnis erteilt habe aber unter der Bedingung, das Gebäude hinter einem Erdwall zu verstecken. Hätte er das mal getan. Zehn Jahre später hätte er den Erdwall wieder einebnen können! Mies hat relativ schroff reagiert. Und Ulrich Lange hat einen Wutanfall bekommen. Dann ist es nicht gebaut worden.

Haben Sie Quellen aus dieser Zeit?

Es gibt leider nur wenige persönliche Äußerungen von Hermann Lange. Aber man merkt in den wenigen privaten Briefen nach 1933, dass man sich über manches wohl bewusst nicht schriftlich äußerte. Seine Tochter schreibt ihm zum Beispiel 1937 dass sie sich in München die Ausstellung »Entartete Kunst« angesehen habe. Da war ich schon voller Hoffnung, vielleicht einen interessanten Kommentar von ihr oder ihrem Vater zu finden – schließlich hingen dort Arbeiten der Künstler die er sammelte und schätzte und die jetzt diffamiert wurden – aber sie schreibt darüber nicht. Nichts.

Mit Ihrem nächsten MIK-Projekt erweitern Sie den Fokus auf das spezielle kulturell-industrielle Netzwerk, das ja nicht nur Mies und Reich sondern auch zahlreiche weitere Bauhäusler seit den 1920er Jahren nach Krefeld zog.

Ja, das gehört in den Zusammenhang des Bauhaus-Jubiläums 2019. Dieses Jubiläum ist ja quasi das »Lutherjahr des 20. Jahrhunderts«. Wir haben dafür ein Projekt konzipiert, das sich auf Krefeld bezieht. Denn es gibt zum einen hier durch die Etablierung der Flächenkunstschule (2) mit den ehemaligen Bauhauslehrern Johannes Itten und Georg Muche eine enge Verbindung zwischen dem Bauhaus und der Industrie. Studierende des Bauhauses habe in Krefeld Praktika absolviert oder als Entwerfer in der Industrie gearbeitet. Viele kamen als Lehrer und haben noch lange hier gewirkt. Erst in den 1960er Jahren sind die letzten »Bauhäusler« in den Ruhestand gegangen.
Und der zweite große Anker ist natürlich Mies als letzter Bauhaus-Direktor und seine vielfältigen Verknüpfungen mit Krefeld. Wir erforschen dieses vielfältige Netzwerk. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Zusammenspiel von Industrie und Kunst: die Industrie, die ihre Ziele verfolgt, aber erkennt, dass die künstlerische Avantgarde dabei ein ganz wichtiger Partner sein kann. Dieses intellektuelle und industrielle Klima wollen wir sichtbar machen. Das ganze wird in einem dafür geschaffenen Ort stattfinden, in einer begehbaren Skulptur des Künstlers Thomas Schütte. Die wichtigen Impulse des Bauhauses kamen alle aus der Kunst, die ebenso im Denken und Handeln der Krefelder Akteure eine große Rolle spielte. Deshalb fanden wir es wichtig, diesen Ort von einem Künstler entwerfen zu lassen. Und das war Thomas Schütte. Einen anderen haben wir gar nicht gefragt.

Und wo wird dieser Ort sein?

Ich darf nur sagen, dass es eine begehbare, pavillonartige Skulptur wird. Das, was wir mit ihm realisieren möchten, wird ca. 200 Quadratmeter Grundfläche haben. Mehr darf ich im Augenblick noch nicht verraten.

Na, dann sind wir gespannt und freuen uns auf 2019! Vielen Dank für das Gespräch, Frau Lange.


(1) Die Galeristen Josef und Karl Nierendorf gehörten in den zwanziger und dreißiger Jahren zu den großen Förderern der expressionistischen und Modernen Kunst, sie vertraten u.a. die Künstlervereinigung »Die Brücke«. Sie betrieben zunächst in Köln, später in Düsseldorf und Berlin Galerien. Karl Nierendorf wanderte im Dritten Reich in die USA aus.

(2) Die Gründung einer »Flächenkunstschule« in Krefeld, die sich an den Prinzipien des Bauhauses orientiert, wurde ab 1927 von Hermann Lange forciert. Als Leiterin war auch Lilly Reich im Gespräch. Schließlich wurde 1931 aber Johannes Itten Direktor. Er blieb es bis zur Umstrukturierung der Schule 1938. Ihm folgte sein Bauhaus Kollege Georg Muche als Direktor.

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