09.11.2018 Jakob Schoof

Ein Haus für die ganze Stadt: Amorepacific-Verwaltungszentrale in Seoul

Foto: noshe

2009 gewannen David Chipperfield Architects den eingeladenen Architektenwettbewerb für die Verwaltungszentrale von Südkoreas größten Kosmetikkonzern Amorepacific. In dem chaotisch wirkenden Häusermeer der von Seoul setzt der Neubau ein klares Zeichen: nahezu würfelförmig, mit 110 Metern nur unwesentlich höher als breit. In den Obergeschossen ist er mit drei Dachgärten versehen, die sich wie riesige Fenster zur Stadt öffnen.

Diese Öffnung hat nicht nur Symbolcharakter, wie Christoph Felger von David Chipperfield Architects betont. »Wir sind davon überzeugt, dass Gebäude dieser Größenordnung und stadträumlichen Bedeutung – wir sprechen immerhin von 220.000 m2 Bruttogeschossfläche – eine gesellschaftliche Verantwortung in sich tragen. Also haben wir uns gefragt: Kann eine so große Firmenzentrale auch ein öffentliches Haus sein?«

Die Wettbewerbsauslobung sah neben Büros vor allem gewerbliche Flächen in den unteren Geschossen vor. »Das entspricht leider heute den allgemeingültigen Vorstellungen von »Öffentlichkeit« und reduziert damit die Öffentlichkeit und den öffentlichen Raum auf rein merkantile Konstrukte«, so Felger. Doch dabei blieb es nicht: „Gemeinsam mit dem Bauherrn sind wir im Verlauf der Planung zu der Entscheidung gelangt, komplett auf gewerbliche Flächen im Erdgeschoss zu verzichten und sie ausschließlich der Muße beziehungsweise der Erfahrung von Schönheit, Wissen und Begegnung zu widmen.«

Heute trifft man beim Betreten des Gebäudes auf kleine Ausstellungsflächen, das Museumsfoyer und eine Bibliothek. Zwei Teeläden und ein Blumenladen sind auch dabei, aber »diese Läden müssen keinen Umsatz generieren, sondern sind einfach nur da, um Menschen Genuss und Schönheit zu bescheren«, so Christoph Felger.

Die Öffnung zur Stadt hat aber auch eine großräumige, städtebauliche Komponente. »Man könnte meinen, in Korea spielt jemand Gott. Selten habe ich so viele gravierende und substantiell bauliche Veränderungen und Eingriffe in Stadtstrukturen, aber auch in die Erdoberfläche erlebt wie in den acht Jahren, die wir in Seoul tätig waren«, berichtet Christoph Felger. Ein positiver Aspekt: Ein großes Kasernenareal der U.S. Army unweit östlich des Amorepacific-Gebäudes soll in einigen Jahren zu Seouls größtem Landschaftspark umgewidmet werden. »Unser Haus wird dann zu einer Art Torhaus für den neuen, weitläufigen Naturraum werden. Daher wollten wir die Gegenwart von Natur von Anfang an mit in unser Konzept integrieren. Daraus ist später die Idee der Dachgärten entstanden«, sagt Christoph Felger.

Die Hofstruktur soll auch die öffentliche Zugänglichkeit des Gebäudesockels fördern. Klassische Hochhäuser, sagt Christoph Felger, seien im Grunde antiurbane Gebilde. Wo sie auf den Boden treffen, findet man meist nur Fluchttreppenhäuser, Tiefgarageneinfahrten, Anlieferungszonen und repräsentative Empfangsbereiche. »Für öffentliche Nutzungen bleibt da wenig bis kein zusammenhängender Raum.«

Dieses Problem wollten die Architekten vermeiden. »Statt mit einem Hochhauskonzept mit zentralem Erschließungskern haben wir mit der Idee eines niedrigeren und breiteren Hauses begonnen. In dieses Haus schnitten wir einen Hof hinein, um die Erschließung dezentral auf vier Kerne in den Ecken verteilen zu können. Außerdem ermöglichte uns das Hofkonzept im Zusammenspiel mit den drei großen, seitlichen Öffnungen im Kubus, Tageslicht von allen Seiten in das Gebäude hinein zu lassen.«

Welche Eigenheiten des lokalen Klimas haben den Entwurf geprägt? Christoph Felger: »Vor allem der extremen Klimaunterschied zwischen sehr heißen und feuchten Sommern und sehr kalten und trockenen Wintern. Aber auch die sogenannte »Yellow Season« in den Monaten April oder Mai – Sandstürme der Mongolei, die über mehrere Tage den Himmel gelblich verdunkeln –ist nicht zu unterschätzen. Aus diesem Grund sollte man in Südkorea zum Beispiel auf außen liegende, motorisch betriebene Elemente an Fassaden verzichten.«

Die elliptischen Aluminiumlisenen, die das ganze Haus mit Ausnahme des Erdgeschosses überziehen, sind daher unbeweglich. Diese Lösung ist konstruktiv einfach, bewirkt aber laut Christoph Felger eine effektive Verschattung und Lichtlenkung, zumal der Baukörper um 45 Grad aus der Nord-Südrichtung gedreht ist.

Die Fassade ist ein wesentlicher Baustein des Nachhaltigkeitskonzepts, das dem Neubau eine LEED-Gold-Zertifizierung eingebracht hat. »Mindestens genauso wichtig war es jedoch, unsere Überlegungen zu verschiedenen Aspekten in einem ganzheitlichen Ansatz zusammenzuführen«, so Felger. »Dazu zählen der Städtebau – die klare einfache Form und das angehobene Erdgeschoss –, die Architektur – der Hof, die horizontale Gliederung, die großen Öffnungen, die dem Gebäude einen Maßstab geben, die raumhohen Fenster mit dem vorgelagerten Brise Soleil –, oder unsere Gedanken zu Well-Being, die unter anderem zu den begrünten Dachgärten als Sozialräume führten. All diese Faktoren haben sich schon früh im Planungsprozess gegenseitig beeinflusst.«

Für David Chipperfield Architects war das Amorepacific-Gebäude der erste Bauauftrag in Südkorea. Werden weitere folgen? »Bisher haben wir keine weiteren Anfragen erhalten. Es wird wohl schwierig sein, dort noch einmal so hochwertig zu planen und zu bauen und vor allem einen so klugen und weitsichtigen Bauherrn zu finden«, so Christoph Felger, der die südkoreanische Bauindustrie als »rauh und ziemlich gnadenlos« charakterisiert. »Ohne den Schutz eines »Patrons«, in unserem Fall des Firmeneigentümers, wären wir als ausländische Architekten zum Beispiel nicht so lange als Qualitätskontrolleure im Bauprozess verblieben. Das war eine absolute Ausnahme, die explizit vom Bauherrn gewünscht und gegen den Willen der lokalen Partner und Unternehmer durchgesetzt wurde. Er war sozusagen unser Schutzengel. Ob wir ein zweites Mal einen Schutzengel finden, weiß ich nicht. Ich würde es mir aber wünschen.«

Christoph Felger ist Partner und Design Director von David Chipperfield Architects Berlin.

Mehr zum Städtebau, zum Nachhaltigkeitskonzept des Neubaus und zur Planungskultur in Südkorea erfahren Sie in der kompletten Fassung des Interviews, die hier zum Download hinterlegt ist.

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