30.07.2013

Und sie rechnet sich doch: Energetische Sanierung ökonomisch betrachtet

Immer wieder wird angezweifelt, dass sich eine energetische Sanierung überhaupt rechnet. Sie tut es in den allermeisten Fällen, behauptet nun das Passivhaus Institut in einer neuen Veröffentlichung. Hier die wichtigsten Ergebnisse.
So kann es gehen: „Die große Lüge von der Wärmedämmung“ titelte „Die Welt“ Ende März 2013 in einem Online-Beitrag. Das Blatt bezog sich dabei auf eine von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Auftrag gegebene Studie der Prognos AG. Sie belegte angeblich, dass energetische Sanierungen volkswirtschaftlich betrachtet unwirtschaftlich seien. Die KfW widersprach dieser Darstellung jedoch. Denn die Redakteure der „Welt“ hatten eine Grundregel der Wirtschaftlichkeitsrechnung missachtet: Bei der energetischen Sanierung dürfen auf der Kostenseite nur diejenigen Kosten angesetzt werden, die wirklich dem höheren Energiestandard zugute kommen. Das sind je nach angestrebtem Energiestandard nur rund 25% bis 45% der Gesamtkosten einer energetischen Sanierung, wie die Prognos-Studie ebenfalls herausstellt.

Rechnet sich das? Energetische Sanierung eines Wohngebäudes, Foto: Jakob Schoof

Konkret heißt das: Muss bei einer Fassadensanierung ohnehin der Putz erneuert werden, und wird die Außenwand bei dieser Gelegenheit zugleich gedämmt, gelten nur die Kosten der zusätzlichen Dämmschicht als energiebedingt, aber nicht die Kosten für den Verputz. Auf diesen Zusammenhang macht nun auch das Passivhaus im Protokollband 42 des „Arbeitskreises kostengünstige Passivhäuser“ aufmerksam. Die Autoren schreiben: „Niemand kann erwarten, dass die Gesamtkosten einer Maßnahme aus der Energieeinsparung refinanziert werden. Schließlich wird nicht gebaut, um Energie zu sparen.“ Sondern um Menschen komfortablen und behaglichen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Selbst Passivhäuser lassen sich kostenneutral errichten
Energieeffizienz im Bauwesen rechnet sich in aller Regel - so lautet die Kernbotschaft des Protokollbandes. Die Autoren tragen auf den knapp 300 Seiten eine Fülle an Material zusammen, das ihre These stützt. Doch das Buch vermittelt auch das notwendige Grundlagenwissen, um eigene Wirtschaftlichkeitsrechnungen für energieeffiziente Neubauten und Sanierungen anstellen zu können. Gleichzeitig weist es  auf die Fehler hin, die dabei – irrtümlich oder wider besseres Wissen – bei solchen Berechnungen oft begangen werden.

Speziell Passivhäuser haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten eine steile „Lernkurve“ hingelegt, was ihre Baukosten betrifft. Bei Passiv-Reihenhäusern liegen die spezifischen Mehrkosten gegenüber dem EnEV-Standard heute meist unter 100 Euro je Quadratmeter. Angesichts gestiegener Energiepreise und niedriger Hypothekenzinsen sind sie damit „unter Marktbedingungen rentabel“, wie Wolfgang Feist, Leiter des Passivhaus Instituts, im Protokollband schreibt.

Eine Vergleichsstudie aus Wien ergab 2010 sogar überhaupt keine statistisch nachweisbaren Kostenunterschiede zwischen Passivhäusern und anderen Niedrigenergiehäusern mehr. Wesentlich stärker als der Energiestandard wirkt sich eine geringe Kompaktheit des Gebäudes (ungünstiges A/V-Verhältnis) als „Kostentreiber“ aus. Das leuchtet ein: Wenig kompakte Gebäude benötigen schlicht mehr Baumaterial, Anschlussdetails und Arbeitsstunden, um das gleiche Volumen zu  umhüllen – von  den tendenziell höheren Wärmeverlusten ganz zu schweigen.

Hocheffiziente Neubauten müssen nicht mehr kosten als Standardgebäude: Passiv-Wohngebäude von Adolf Krischanitz in Wien, Foto: Jakob Schoof

Optimaler U-Wert: 0,16 W/m2K
Wie aber sieht die Wirtschaftlichkeit nun bei energetischen Sanierungen aus? Dies hatte das Passivhaus Institut schon 2008 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) untersucht. Dabei beantworteten die Autoren auch einen „Klassiker“ in der Sanierungsdiskussion: Welche Dämmstärke ist wirtschaftlich gesehen optimal? Unter den (in der Studie zugrunde gelegten) Marktbedingungen von 2006 lautete die Antwort: Auf einer zuvor ungedämmten Außenwand sind 22 cm Wärmedämmung (oder ein Ziel-U-Wert von 0,16 W/m2K) das Optimum. Zumindest dann, wenn man die Frage stellt, welche Dämmung über 20 Jahre betrachtet – und unter Einbezug von Verzinsung und Inflation – die höchste Rendite bringt. Eine Dämmung von 40 Zentimetern hingegen wäre nicht nur ästhetisch, sondern auch ökonomisch suboptimal. Denn sie spart zwar noch einen Tick mehr Energie(kosten) ein, kostet aber auch in der Erstellung deutlich mehr.

Jährliche Rendite , die durch eine Außenwandsanierung mit unterschiedlichen Dämmstärken erwirtschaftet wird (Quelle: Passivhaus Institut; Stand 2008). Das (sehr flache) wirtschaftliche Optimum liegt bei U-Werten um 0,16 W/m2K. Seit 2008 sind die zu erwartenden Renditen nochmals deutlich gestiegen, Grafik: Passivhaus Institut

Die Debatte um die Wirtschaftlichkeit von Gebäudesanierungen wird also mit Sicherheit bald wieder aufflammen. Mit der Veröffentlichung des Passivhaus Instituts sind Architekten und Planer allerdings in der Lage, konstruktiv und gut informiert an ihr teilzunehmen. Außerdem vermittelt der Protokollband das Handwerkszeug, auch Kosten- und Ertragsrechnungen für eigene Sanierungsprojekte anzustellen.
Jakob Schoof

Ökonomische Bewertung von Energieeffizienzmaßnahmen
Protokollband 42 des Arbeitskreises kostengünstige Passivhäuser.
Passivhaus Institut (Hrsg.) Darmstadt 2013.
296 Seiten; Bezug über: www.passiv.de
Interessant wird es nun, wenn man zwei Fragen näher betrachtet. Zum einen: Lohnt sich auch eine zusätzliche Dämmung bereits gedämmter Fassaden bei der Sanierung? Und zweitens: Wie hat sich die Wirtschaftlichkeit von Dämmmaßnahmen seit 2008 entwickelt?

Dämmung ist nicht auf jeder Wand wirtschaftlich
Zur ersten Frage: Dämmmaßnahmen sind nur dann wirtschaftlich, wenn der U-Wert der Bestandswand schlechter als 0,6 W/m2K ist – das ergab zumindest die Studie 2008. Seither dürfte sich auch diese Grenze leicht in Richtung besserer Dämmwerte verschoben haben, weil die Energiepreise gestiegen sind. Dennoch bleibt die Feststellung: Bei heutigen Neubauten, die „gerade so“ den EnEV-Standard erreichen, dürfte eine energetische Sanierung in 20 oder 30 Jahren wenig wirtschaftlich sein – man spart dadurch einfach nicht genug Energiekosten ein, um die Kosten der Maßnahme zu refinanzieren.

Dämmung ist nicht in jedem Fall wirtschaftlich, wie dieses Diagramm des Passivhaus Instituts (Stand 2008) zeigt. Ist die Bestandswand „zu gut“ (besser als etwa U=0,6 W/m2K) gedämmt, lassen sich durch zusätzliche Dämmung einfach zuwenig Energiekosten einsparen.

Die Autoren begründen hiermit ihre eindringliche Forderung, nach dem Prinzip „wenn schon, denn schon“ vorzugehen: Wer ein Gebäude neu errichtet oder saniert, sollte gleich einen hohen Energiestandard wählen – sonst bleibt das Gebäude auf Jahrzehnte hinaus auf einem mittelmäßigen Energiestandard „stecken“, weil weitere Verbesserungen unwirtschaftlich sind. Betrachten wir nun die Entwicklung seit 2008. Die Baukosten (einschließlich jener für Wärmedämmung) sind seither um rund 15% gestiegen, was auch Dämmmaßnahmen entsprechend teurer gemacht hat. Im Gegenzug hat sich auch Heizenergie deutlich verteuert – auf rund 9 Cent pro Kilowattstunde. Ferner sind die Realzinsen gesunken, was wiederum die Finanzierung von Investitionen in Energieeffizienz günstiger gemacht hat. In der Summe überkompensieren gesunkene Zinsen und gestiegene Energiepreise die gestiegenen Baukosten sogar. Das heißt: Der wirtschaftlich optimale Ziel-U-Wert bei Sanierungen dürfte heute sogar unter 0,15 W/m2K liegen und die jährlich zu erwartende Rendite durch Dämmmaßnahmen liegt sogar noch höher als 2008.

Selbst denkmalgeschützte Bauten lassen sich im Passivhausstandard sanieren: Reihenhaus in London (Sanierung: Prewett Bizley Architects), Foto: Prewett Bizley Architects

Welche Maßnahmen rechnen sich heute?
Auch zur Wirtschaftlichkeit anderer Effizienzmaßnahmen machen die Autoren nähere Angaben. Als Kriterium ziehen sie hierfür die Kosten der eingesparten (Wärme-)Energie heran. Solange diese unter Berücksichtigung von Wartungskosten, Zins und Teuerung unter dem Energiepreis (9 ct/kWh) liegen, ist eine Maßnahme wirtschaftlich.

Wirtschaftlich sind demnach Dämmmaßnahmen, solange sie im Bereich des ökonomisch optimalen Dämmstärke durchgeführt werden. Hier liegen die Kosten der eingesparten Energie bei 1-4,6 Ct/kWh. Auch ein Austausch eines alten Gas-Niedertemperaturkessels im Einfamilienhaus ist wirtschaftlich (Kosten der eingesparten Energie: zwischen 2 ct/kWh, wenn stattdessen ein Gas-Brennwertkessel installiert wird, und 7,5 ct/kWh bei einer Sole/Wasser-Wärmepumpe). Einzige Ausnahme: Solare Warmwasseranlagen sind nach Berechnungen des Passivhaus-Instituts immer noch unwirtschaftlich – hier liegt der Preis der eingesparten Energie bei 12 Cent pro Kilowattstunde.

Energetische Sanierung der anderen Art: „Coat House“ von Sofie Thorning in Middelfart/DK, Foto: Fiberline A/S

Eine besonders starke Marktentwicklung hat in den letzten Jahren bei Fenstern und Verglasungen stattgefunden. Dreischeibenverglasungen kosten heute nur noch 10 Euro pro Quadratmeter mehr als Zweischeibenverglasungen. Die Differenz zwischen einem Standard- und einem Passivhausfenster beträgt etwa 76 €/m2. Damit sind solche Fenster nicht nur bei Neubauten, sondern auch in der Sanierung attraktiv geworden.

Bei Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung hängt die Wirtschaftlichkeit entscheidend von der Anlagengröße ab. Während große Anlagen sich fast immer rechnen, sind Lüftungsanlagen in kleineren Wohngebäuden oft nicht wirtschaftlich. Hier sieht Wolfgang Feist die Hersteller, Planer und Installateure in der Pflicht, Kostenreduktionen herbeizuführen: „Immer noch werden Anlagen mit viel zu langen Leitungsnetzen, überdimensionierten Luftmengen, ungünstig platzierten Zentralgeräten und überflüssigem handwerklichen Aufwand realisiert.“

Je größer und kompakter ein Gebäude, desto eher rechnet sich tendenziell die Sanierung: Volksschule Mähdle in Wolfurt (Passivhaussanierung: Gerhard Zweier), Foto: Jakob Schoof

Häufige Fehler bei Wirtschaftlichkeitsrechnungen
Zu guter Letzt weist der Protokollband auch auf die Fehlannahmen hin, mit denen sich Effizienzmaßnahmen – bewusst oder unbewusst – „schlechtrechnen“ lassen. Dazu zählen zum Beispiel zu gering angesetzte Energiepreise, zu hohe Zinserwartungen, ein übertrieben kurzer Betrachtungszeitraum oder die Wahl falscher Kenngrößen bei Maßnahmenvergleichen. Merke: Wer nur solche Maßnahmen durchführt, die sich in kürzester Zeit amortisieren und geringstmögliche Investitionskosten verursachen, „verschenkt“ dadurch womöglich langfristigere, viel größere Einsparpotenziale.

Ebenfalls oft vergessen wird der Restwert der sanierten Bauteile am Ende des Betrachtungszeitraums. Vergleicht man etwa verschiedene Sanierungsmaßnahmen über einen Zeitraum von 15 oder 20 Jahren, und haben die neu eingebauten Bauteile eine Lebensdauer von 30 oder 40 Jahren, so sind diese Bauteile natürlich nach Ablauf der Betrachtungsdauer noch „etwas wert“. Diesen Restwert gilt es bei der Betrachtung zu berücksichtigen.

Die Debatte wird weitergehen
Natürlich kann man gegen die Befunde des Passivhaus Instituts allerhand Einwände erheben. Zum Beispiel: Restwert hin oder her - Investitionen in eine Sanierung steigern nur dann den Wert einer Immobilie, wenn vor Ort auch eine Nachfrage für sanierte Immobilien existiert. Oder das ungelöste Investor-Nutzer-Dilemma: Nicht überall können Vermieter nach einer Sanierung die Miete genügend erhöhen, um ihre Maßnahme zu refinanzieren. Weiterhin gilt es Rebound-Effekte zu betrachten: In sanierten Gebäuden heizen die Bewohner oft mehr als in unsanierten, und daher treten Energiekosteneinsparungen oft nicht in der erwarteten Höhe ein. Dem lässt sich freilich entgegenhalten, dass der Komfort höherer Raumtemperaturen in sich einen Mehrwert darstellt, der bezahlt sein will – ob mit oder ohne Sanierung.

Werthaltigkeit ist auch eine Standortfrage. Hier erübrigt sich diese wohl: Passivhaussanierung eines Wohngebäudes in Brüssel von A2M Architectes, Foto: Jakob Schoof

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