30.06.2010

Wie nachhaltig ist der EZB-Neubau in Frankfurt?

Am 20. Mai 2010 war Grundsteinlegung für den Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main. Wenige Bauvorhaben haben zuletzt die Gemüter so erregt wie die Doppeltürme von Coop Himmelb(l)au und noch mehr die Eingriffe in die dahinter liegende Großmarkthalle, die ebenfalls für die EZB umgenutzt werden soll.
Als Leuchtturm architektonischer Nachhaltigkeit ist der Entwurf von Coop Himmelb(l)au für den neuen EZB-Hauptsitz im Osten Frankfurts bislang nicht eben bekannt geworden. Und Wolf D. Prix, CEO des Wiener Architekturbüros, weiß mit dem Begriff auch wenig anzufangen, wie er selbst erklärt. Dennoch lohnt der nähere Blick auf das, was von nun an bis 2014 am Mainufer entstehen soll:

Abbildung: Coop Himmelb(lau)

Vorgeschichte
Schon 1998, im Jahr ihrer Gründung, begann die Europäische Zentralbank mit der Suche nach einem geeigneten Grundstück für den Neubau. Auf Grundlage einer Machbarkeitsstudie des Frankfurter Architekturbüros Jourdan & Müller folgte 2001 die Entscheidung zugunsten des Standorts an der Großmarkthalle, weitab des heutigen Bankenviertels, aber immer noch relativ innenstadtnah. Den 2002 ausgelobten internationalen städte- und hochbaulichen Wettbewerb gewann im Februar 2004 das Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au mit ihrem Entwurf zweier entlang ihrer Höhenachse verdrehter, rund 185 Meter hoher Türme. Diese sind als Konstante des Entwurfs bis heute geblieben, vieles andere – vor allem die Anbindung an die Großmarkthalle und ein ursprünglich vorgesehener, neben den Türmen platzierter Flachbau, der „ “ wurde mehrfach überarbeitet oder entfiel.
Der Entwurf
Der Entwurf, wie er sich heute präsentiert, besteht im Wesentlichen aus drei Elementen: den erwähnten, durch ein gebäudehohes Atrium verbundenen Doppeltürmen mit 45 und 43 Geschossen, der 1926-1928 durch Martin Elsaesser errichteten Großmarkthalle und einem diese durchstoßenden Querriegel als Verbindungs- und Eingangsbauwerk. Vor allem um Letzteres wurde lange gerungen: Die EZB betont, dass für seinen Bau lediglich Teile der Markthalle, die nach 1945 entstanden sind, abgerissen werden müssen. Die Kritik indes ist geblieben, ebenso wie die Tatsache, dass der Großraum der Markthalle künftig durch Einbauten unterteilt wird. Diese werden als „Haus im Haus“ in die Halle eingestellt und sollen alle halböffentlichen Funktionen der Bank enthalten wie Ausstellungsflächen, ein Besucherzentrum, das Mitarbeiterrestaurant, eine Cafeterie und Konferenzräume. Der als Eingangsbauwerk fungierende Querriegel wird vor allem den bereich für die Pressekonferenzen der EZB enthalten, die von hier aus nach ganz Europa übertragen werden.

Im Doppel-Büroturm wird der überwiegende Teil der 2300 Arbeitsplätze (1500-1800 EZB-Mitarbeiter sowie externe Berater, Praktikanten und Mitarbeiter der nationalen Zentralbanken) untergebracht sein. Verbindungs- und Umsteigeebenen unterteilen das zwischen ihnen platzierte gebäudehohe Atrium in drei je 45-60 Meter hohe Abschnitte. Sie sollen nach den Worten der EZB durch „Hängende Gärten“ ergänzt werden. Wie heute im Hochhausbau üblich, sind die Büroebenen so konzipiert, dass sich darin alle heute gebräuchlichen Büroformen einrichten lassen.
Das Energiekonzept
Für den Neubau galt die Anforderung, dass er um 30% energieeffizienter sein sollte, als es die Energieeinsparverordnung 2007 verlangt. Im Rahmen des Wettbewerbs für ihren Neubau hatte die EZB 2002das Raum- und Funktionsprogramm sowie spezifische Vorgaben hinsichtlich des Energieverbrauchs festgelegt.Eine der zentralen Vorgaben war der Wunsch nach einem integrierten Planungsprozess. Das bedeutet, dass der Architekt von Anfang an mit einem Statiker sowie einem Energie-und Klimadesigner zusammenarbeitet, um die Energieeffizienz und die Nachhaltigkeit des Gebäudes zu optimieren.
Das so entstandene Energiekonzept beinhaltet folgende Maßnahmen:
Nutzung von Regenwasser: Die Fläche des Daches der Großmarkthalle beträgt rund 10 000 m2. Es wird ein System zum Auffangen von Regenwasser installiert, das sowohl zur Bewässerung der Gärten in regenärmeren Zeiten als auch zur Versorgung der Toilettenspu?lungen genutzt werden kann.
Wärmerückgewinnung: Die vom Rechenzentrum generierte Abwärme wird in ein Deckenheizsystem zur Beheizung der Büros sowie in die Fußbodenheizung der Großmarkthalle rückgeführt. Der EZB-Neubau wird zudem an das kombinierte Wärme- und Stromversorgungssystem der Stadt Frankfurt am Main angeschlossen.
Wärmedämmung: Die Oberfläche der Großmarkthalle (d. h. Dach und Fenster) wird gedämmt bzw. durch höher wärmedämmende Bauteile ausgetauscht. Die Innenbereiche (wie u. a. der Konferenzbereich) werden über ihr eigenes Mikroklima verfügen, da sie als separates „Haus-im-Haus“-System in die Markthalle eingestellt werden.
Natürliche Belüftung der Büroräume: Zusätzlich zum zentralen Lüftungssystem werden motorisierte Belüftungselemente in die Gebäudefassaden integriert, die eine direkte und dezentrale Belüftung der Büroräume ermöglichen. Somit kann die Frischluftzufuhr individuell reguliert werden, und die Angestellten haben innerhalb des Gebäudes eine bessere Vorstellung davon, wie die Außenverhältnisse sind.
Sonnenschutz und Beleuchtung: Um die Wärmeeinträge ins Gebäude zu verringern, wurde ein Sonnen- und Blendschutz wird in die Fassadenzwischenräume integriert. Eine weitere Möglichkeit zur Energieeinsparung ist die Nutzung des natürlich vorhandenen Tageslichts. Die Büros werden mit Tageslichtsensoren ausgestattet, sodass sich das Kunstlicht bei ausreichendem Tageslicht automatisch abschaltet. Das Raumklima- und Tageslichtkonzept basieren auf umfangreichen Untersuchungen, die in den derzeitigen Büroräumen der EZB im Frankfurter Zentrum durchgeführt wurden.
Nutzung von Geothermie: Zur energieeffizienteren Beheizung und Kühlung des Gebäudes wurden Rohrleitungsschleifen in die Pfahlgründungen eingearbeitet. Letztere gehen etwa 30 Meter hinab, bis sie auf Frankfurter Gestein treffen. Die Leitungsschleifen können an den Wasserkreislauf und die Wärmepumpen im Heizzentrum angeschlossen werden, um im Winter die in der Erde gespeicherte Wärme bzw. im Sommer die in der Erde gespeicherte Kühlung zu nutzen
Nachhaltigkeit durch Nachnutzung?
Trotz aller Kritik am Entwurf bleibt eine Tatsache festzuhalten: Eine vernünftige Alternative zum Umbau durch die EZB, die eine sinnvolle Nachnutzung der Großmarkthalle (und damit ihren langfristigen Erhalt) gesichert hätte) war zu keiner Zeit in Sicht. So gesehen ist der Umbau womöglich das, was zur Zeit im europäischen Währungsraum so vieles zu sein scheint: alternativlos. Ferner verweist die EZB zum Beweis ihrer Nachhaltigkeitsstrategie auf einige „nette“ Details: Die beiden bereits abgerissenen Annexgebäude der Großmarkthalle (zwei viergeschossige Wohnhäuser) wurden Stein für Stein rückgebaut und die Fassadenklinker anschließend gereinigt, um damit Fehlstellen im eigentlichen Hallenbau ausbessern zu können. Die Bahngleise auf dem Gelände werden nicht eingeschmolzen, sondern gehen an eine Museumsbahn im Schwäbischen. Und überhaupt, die Freigelände: Sie sollen im Zuge des Umbaus großflächig entsiegelt und in eine künstliche Auenlandschaft umgestaltet werden.

Was den Energieverbrauch des Neubaus angeht, wäre indessen weniger mehr gewesen: Eine 30%-ige Unterschreitung der Energiestandards von 2007 ist bei einem Gebäude, das 2014 fertiggestellt werden soll, nicht übermäßig ambitioniert. Skeptisch machen auch die voll verglasten Fassaden der Doppeltürme – eigentlich ein Kennzeichen der Neunziger- bis frühen Nullerjahre. Um die dadurch entstandenen, notgedrungen höheren Wärmelasten abzuführen, setzen die Ingenieure nun auf die bereits erwähnte Geothermie – und auf ein „intelligentes“ Lüftungskonzept, das unter anderem den in Frankfurt vorherrschenden Westwind und die in den Fassadenzwischenräumen entstehende Thermik zur Be- und Entlüftung nutzen soll. Zu hoffen bleibt, dass die Rechnung aufgeht. Für viel zu viele Glashäuser wurden bereits derlei „intelligente“ Lüftungskonzepte entwickelt, die sich später als unzureichend herausgestellt haben. Die Leidtragenden sind die Angestellten – sie müssen schwitzen.
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