Serpentine Pavilion 2023
À table – Ein Tisch ist wichtiger als ein Pavillon
Serpentine Pavilion 2023 entworfen von Lina Ghotmeh. © Lina Ghotmeh — Architecture. Foto: Iwan Baan, Courtesy: Serpentine
Mit dem 22. Serpentine Pavilion gelingt der libanesischen Architektin Lina Ghotmeh ein unscheinbares Meisterwerk. Anstelle der faszinierenden bis teils verkopften Raumkunstinstallationen ihrer Vorgänger schafft sie Architektur.
© Lina Ghotmeh — Architecture. Foto: Iwan Baan, Courtesy: Serpentine
Im Jahr 2000 hat die ebenfalls aus dem Nahen Osten stammende Zaha Hadid den Auftakt gesetzt. Seither ist der Serpentine Pavilion jeden Sommer die Plattform für Extravaganz, experimentelle Raumstrukturen sowie Licht-, Farb- und Klangeffekte. Lina Ghotmeh hat sich der fast zwanghaften Aufforderung, dem Rasen vor dem historischen Galeriegebäude noch einmal neue Aspekte abzuringen, entzogen und sich auf das archaische Raumprogramm konzentriert. Das Ergebnis nennt sie À Table, eine Aufforderung sich zum Essen hinzusetzen: Ein Tisch zum gemeinsamen Reden und Feiern in einer einfachen Hütte.
Bankett auf Holztischen
„Der Pavillon bietet einen Ort zum Feiern um einen gemeinsamen großen Tisch unter einem niedrigen Dach“, erklärt die Architektin, die sich mit ihrem Büro in Paris durch ein Wohnhochhaus in Beirut und neulich durch die Manufaktur für die Modemarke Hermès international einen Namen gemacht hat. Das Bankett setzt sich aus 25 Eichentischen und 57 Eichenhockern zusammen, die Ghotmeh eigens für den Pavillon entworfen hat. „Die Stimmung im Gebäude soll an die Toguna-Hütten der Dogon in Mali erinnern, in denen die gesamte Gemeinde zur Diskussion zusammenkommt.“
© Lina Ghotmeh — Architecture. Foto: Iwan Baan, Courtesy: Serpentine
Nachwachsende Rohstoffe
Die Form des Zentralbaus und die Referenz zu Afrika verbindet Ghotmeh mit dem Serpentine Pavilion, den Françis Kéré 2017 an gleicher Stelle errichtet hat. Während Kéré den Schwerpunkt auf eine abstrakte skulpturale Wirkung und eine fast fetischistische Betonung der Materialästhetik auf Wandschirme aus blau gestrichenem Holz, einer glänzenden filigranen Metallstruktur mit Deckung aus Polycarbonat legt, bleibt Ghotmeh bei naturbelassenem Holz. „Die Pfosten aus nachwachsenden Rohstoffen wirken wie ein hölzernes Skelett, das sich in viele Stränge auffächert, um das Dach zu tragen. Die Wände sind mit Laubmotiven perforiert, die mit den umgebenden Bäumen korrespondieren.“ Der Pavillon als Bekenntnis zu einem respektvollen Umgang mit der Natur.
© Lina Ghotmeh — Architecture. Foto: Iwan Baan, Courtesy: Serpentine
Hommage an den Bestand
Die Typologie des Zentralbaus aber auch der Tisch als Treffpunkt zum Essen und Trinken sindauch eine Hommage an das Bestandsgebäude Serpentine South Gallery, das James Grey West in den 1930er-Jahren ursprünglich als Teehaus errichtet hatte. Es bleibt abzuwarten, ob Lina Ghotmeh den Besucherrekord von Bjarke Ingels Serpentine-Version aus dem Jahr 2016 knacken wird. 250 000 Menschen hatten damals in den wenigen Wochen die Unzipped Wall von BIG aus hunderten Glasfaserkuben durchschritten. Für einen längeren Aufenthalt, nachhaltige Gespräche und soziales Miteinander eignet sich Ghotmehs Version mit Tisch jedoch bedeutend besser und hat damit den Zeitgeist 2023 voll getroffen.
Architektur: Lina Ghotmeh
Ort: Serpentine Gallery, Kensington Gardens, London (GB)
09. Juni bis 29. Oktober 2023
freier Eintritt
Weitere Informationen: serpentinegalleries.org
Galerie
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren
-
Serpentine Pavilion 2017 von Francis Kéré
Am 23. Juni findet die offizielle Eröffnung des Serpentine Pavilion 2017 statt. Der Entwurf stammt von Francis Kéré, dem preisgekrönten Architekten aus Berlin.
-
Geotop in Kensington Gardens: Serpentine Pavilion 2019 von Junya Ishigami
Der kommende Serpentine Pavilion 2019 von Junya Ishigami besteht aus Schieferplatten, die wie ein Felshang auf filigrane Tragelemente ruhen.
-
Serpentine-Pavillon in London eröffnet
Die Schwarze Kapelle von Theaster Gates
Jeden Sommer lädt die Serpentine Gallery einen Architekten oder Künstler ein, sein erstes Bauwerk in England zu schaffen. Den diesjährigen Pavillon, die Black Chapel, entwarf der Künstler Theaster Gates aus Chicago.